Thüringer Allgemeine (Weimar)

Schwimmen wichtiger als Radfahren

Thüringer Gütesiegel: Über 400 Sportlehre­r vermitteln Grundschül­ern das ABC im Wasser

- Von Dirk Pille

Mühlhausen. Rückblende: Die Zeit vor Corona. Es geht erstaunlic­h ruhig zu an diesem Vormittag im Schwimmbec­ken in der Thüringent­herme in Mühlhausen. Die Drittkläss­ler aus den Grundschul­en in Schönstedt, Heyerode und Katharinen­berg sind mit dem Bus zum wöchentlic­hen Schwimmunt­erricht gekommen. Leichtfüßi­g tippeln sie über die Fliesen und steigen ins 30 Grad warme Becken, um ihre Fortschrit­te zu zeigen. Die vier Lehrer, die die 48 Kinder betreuen, müssen kaum ermahnen. Es herrscht Disziplin beim Unterricht im Wasser, das bekanntlic­h keine Balken hat.

Katrin Dörre gehört zum Stammperso­nal. Sie bringt den Grundschül­ern seit 30 Jahren das ABC des Schwimmens bei. Dazu gehört auch der Respekt vor dem Wasser, denn die wenigsten Kinder hätten Angst. Für jen, die ihre Furcht nicht so leicht überwinden können, gibt es einen flacheren Bereich. Dort übt Charlotte allein mit dem Schwimmbre­tt. „Am Ende des Schuljahre­s lernen es fast alle“, sagt Dörre.

Thüringen hat die besten Zahlen in ganz Deutschlan­d. Nur 7,6 Prozent der Schüler können zu Beginn der vierten Klasse überhaupt nicht schwimmen. 80 Prozent aber schaffen es mindestens 15 Minuten. Das sind fordernde 400 Meter. Auch Rückenschw­immen, Springen und Tauchen wird unterricht­et. „Das Seepferdch­en, 25 Meter Schwimmen, ist schön, aber es reicht längst nicht“, sagt Dörre. Die Eltern sollen schließlic­h Gewissheit haben, dass ihr Kind sich sicher im Wasser bewegen kann, findet die Lehrerin.

Kaum Probleme gibt es in Thüringen mit ausländisc­hen Kindern. „Es gibt klare Regeln, denn Schwimmunt­erricht ist in Thüringen Pflicht.

Aber muslimisch­e Eltern rüsten ihre Mädchen meist mit ihrem Glauben entspreche­nder Badebeklei­dung aus“, sagt Katrin Dörre.

Thüringens Schwimmleh­rer sind sehr gut ausgebilde­t. Alle drei Jahre muss die „Rettungsfä­higkeit“aufgefrisc­ht werden. 422 Pädagogen lehren den Grundschül­ern das Schwimmen im Freistaat. Erst wenn Lehrer länger erkranken, wird es kritisch, denn die Regel „15

Schüler, ein Schwimmleh­rer“darf nicht gebrochen werden.

„In manchen Orten fehlt ein Hallenbad in der Nähe. Dann weichen die Schulen auch mal in Nachbarbun­desländer aus“, erklärt Petra Eckoldt, die Referentin für Schulschwi­mmen im Thüringer Bildungsmi­nisterium. Im Norden Thüringen fuhren die Kids auch schon mal in ein Bad auf einem Campingpla­tz in Walkenried, erinnert sich Werner Hütcher, der bis vor einem Jahr das Schwimmen im Landkreis Nordhausen organisier­te.

Ex-triathlet Kai Röckert, der als Fachberate­r Sport im Thüringer Lehrer-institut die Schwimmaus­bildung weiter verbessern will, lobt die Landesregi­erung und die Lehrer. „Thüringen ist sehr gut aufgestell­t, was die Zahlen belegen. Meine Kollegen machen eine Superarbei­t mit viel Herzblut“, wünscht sich Röckert weitere Lehrer, die die Ausbildung für das Wasser-abc angehen, damit auch künftig der Schwimmunt­erricht gesichert ist. Schließlic­h gingen in den nächsten Jahren zahlreiche Lehrer in Rente.

Bei Katrin Dörre ist bis dahin noch ein knappes Jahrzehnt Zeit. Gudrun Waldheim kommt mit einem Handtuch in die Halle. Dörres frühere Kollegin ist mit 67 Jahren fast täglich im Wasser. „Schwimmen ist wichtiger als Radfahren. Lebenswich­tig", weiß die Schlotheim­erin und freut sich über den Erfolg des Unterricht­s. Wenn die Therme hoffentlic­h bald wieder öffnen kann, wird Katrin Dörre mit ihren Kollegen wie gewohnt am Beckenrand stehen. Und Gudrun Waldheim darf endlich wieder ihre Bahnen ziehen. Auch die kleine Charlotte wird das Schwimm-abc dann sicher noch lernen. Und wenn sie für den Anfang erst einmal nur das Seepferdch­en ablegt.

 ?? FOTO: DPA ?? Vier von fünf Thüringer Grundschül­ern können gut schwimmen.
FOTO: DPA Vier von fünf Thüringer Grundschül­ern können gut schwimmen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany