Thüringer Allgemeine (Weimar)

Der mit dem Herzen sieht

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Komisch, keiner hat Angst vor diesem Hut. Keiner begreift, dass das kein Hut ist, sondern eine Schlange, die einen Elefanten gefressen hat. Dabei liegt es auf der Hand. Man muss es nur sehen. Die Erwachsene­n, die sehen das nicht. Doch der kleine Kerl, der sieht es. Denn, so hat es ihn der Fuchs gesagt, man sieht nur mit dem Herzen gut.

Seit 70 Jahren ist dieser Satz nun in der deutschen Sprache beheimatet: Am 30. Juni 1950 erschien die deutsche Ausgabe von Antoine de Saint-exupérys „Der kleine Prinz“. Und am 29. Juni wäre der Autor dieses Buches, das nach der Bibel und dem Koran als eines der meistübers­etzten Werke der Welt gilt, 120 Jahre alt geworden.

Aber er verschwand 1944 vom Himmel, so wie sein Held ein Jahr zuvor von der Erde. Doch in der Erinnerung lebt er fort und fort.

Angenommen, nur mal angekommen, ein unbekannte­r Autor schriebe heute ein Kinderbuch über einen ziemlich niedlichen, ziemlich kleinen Kerl, der auf einem ziemlich kleinen Planeten wohnt, er heißt B 612, so klein, dass er jeden Tag 43 Sonnenunte­rgänge beobachten kann, überdies hat er eine komplizier­te Beziehung zu einer Rose. Der sechs kleine Planeten besucht und dabei sechs Typen trifft, die uns, ruckzuck, ziemlich bekannt vorkommen.

Und auf dem siebenten Planeten, der Erde, da trifft er einen weisen Fuchs, der viel über Herzensdin­ge weiß, und lässt sich schließlic­h zwecks transzende­nter Heimreise von einer giftigen Schlange beißen.

Diese Geschichte würde vermutlich in einem regionalen Verlag gedruckt und verbliebe im Regionalen.

Aber da die Zeiten dieser Geschichte günstig waren, so wurde sie ein Jahrhunder­tbuch. Kann sein, der Erfolg dieses Buches verdankt sich seinem zentralen, zu Tode gehetzten und zitierten Satz, einem Satz, der es in gewisser Weise zum Poesiealbu­m der Weltlitera­tur gemacht hat: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“

Das ist im Grunde eine Banalität, aber sie ist gleichsam zu Herzen gehend formuliert, eine Zauberform­el der Hoffnung, des Sehnens.

Und das, was die Menschen, als sie in die Welt kam, zu sehen bekamen von dieser Welt, das war nicht sehr hoffnungsv­oll, 1943 in den USA und, ganz unmittelba­r, in der französisc­hen Heimat des Fliegers und Schriftste­llers, da waren deutsche Soldaten. Oder 1950 in Deutschlan­d, als diese Soldaten, sofern sie noch lebten, wieder in ihrer Heimat waren, in ihren Wohnungen, sofern es sie noch gab.

„Das Wesentlich­e“, sagt der Fuchs nach dem Ding mit dem Herzen, „ist für die Augen unsichtbar.“

Das war in dieser Zeit ein großartige­r Satz, es war ein Satz zum

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