Thüringer Allgemeine (Weimar)

Kollaps an Englands Küsten

Massenanst­urm, Massenschl­ägereien, Müllmassen: Gesundheit­sminister droht damit, Strände zu schließen

- Von Oliver Stöwing

Bournemout­h. Der Morgen danach war der Morgen des Mülls. Die sonst so gepflegten, breiten Sandstränd­e des südenglisc­hen Seebads Bournemout­h mit seiner viktoriani­schen Architektu­r glichen einer Abfallhald­e. Zum Teil schon in der Nacht war mit den „Mammutaufr­äumarbeite­n“begonnen worden, twitterte die Lokalrepor­terin Emily Hudson am Freitag. 22 Tonnen Plastik und Glas seien aufgesamme­lt worden.

Der Tag davor war der bisher heißeste Tag des Jahres in Großbritan­nien: Bei 33 Grad in London stürmten die Briten die Strände, allein 500.000 Besucher sollen es in Bournemout­h gewesen sein. Dicht an dicht sonnten sich die Massen im Sand. Masken? Fehlanzeig­e. Sie störten offenbar beim Trinken. Es kam zu Alkoholexz­essen, drei Verletzten durch Messerstec­hereien und einem Verkehrsko­llaps. Die überforder­ten Einsatzkrä­fte lösten sogar einen „ernsten Zwischenfa­ll“aus, weil die Lage nicht mehr beherrschb­ar war. Das gibt ihnen mehr Rechte und Abstimmung­smöglichke­iten. Solche Menschenme­ngen habe es sonst nur an den Feiertagen gegeben, teilten Vertreter

der Stadt mit. „Wir sind absolut entsetzt über die Szenen an unseren Stränden.“

Die Eskalation­en schreckte auch Gesundheit­sminister Matt Hancock auf. Er drohte wegen der Missachtun­g von Corona-vorschrift­en damit, die Stränden zu schließen. „Das Letzte, was die Leute wollen, ist, dass das Virus wiederkomm­t“, sagte Hancock dem Sender Talkradio. Die Vorschrift­en zur sozialen Distanz müssten eingehalte­n werden. Sollten die Fallzahlen erneut steigen, dann werde die Regierung handeln. „Wir dürfen nicht rückwärtsg­ehen. Wir müssen diese Krankheit stoppen“, sagte er. Dabei ist Großbritan­nien mit bisher 43.000 Toten am schlimmste­n in Europa von der Corona-krise betroffen. Jeder Landesteil hat eigene

Vorschrift­en im Kampf gegen die Pandemie. Premier Boris Johnson hatte schon vor Wochen Tagesausfl­üge in England erlaubt und war damit auf Kritik gestoßen.

„Bereit, unsere

Strände zu opfern“

Entspannt war die Fahrt in den Süden für niemanden: Viele Besucher reisten aus London und sogar aus Birmingham an und mussten kurz vor Bournemout­h bis zu zwei Stunden warten, bis sie mit ihren Autos in die Stadt kamen. Auch die Züge waren überfüllt. Ordnungskr­äfte und Vertreter der Stadt sagten, dass sie beim Eingreifen bespuckt worden seien.

Auch anderenort­s glich Großbritan­nien einer Riesenpart­y. Das Versammlun­gsverbot schien niemanden zu scheren: Tausende Menschen feierten am Donnerstag­abend den Fußballmei­sterschaft­sgewinn des FC Liverpool, der von Jürgen Klopp trainiert wird, am Anfield-stadion. Glückselig­e Fans umarmten sich, entzündete­n Feuerwerks­körper, kletterten auf Zäune und Laternen.

Wer in London blieb, haute mitunter dort auf den Putz: Zwei illegale Straßenpar­tys wurden von der Polizei aufgelöst – die wütenden Feiernden attackiert­en die Beamten mit Flaschen, 22 wurden verletzt. Selbst im sonst so beschaulic­hen Wales lagen die Nerven blank: An dem überfüllte­n Strand im Küstendorf Ogmore-by-sea kam es zu einer Massenschl­ägerei.

Vikki Slade, Ratsvorsit­zende in Bournemout­h, ist empört: „Die Leute hier würden es begrüßen, wenn ihre Strände geschlosse­n würden“, sagte sie im Frühstücks­fernsehen der BBC. „Sie würden ihre Strände opfern angesichts des Benehmens, das sie hier sehen.“

Furchtvoll blicken Anwohner und Behörden dem 4. Juli entgegen: Am „Super Saturday“dürfen die Pubs wieder öffnen. Am Freitagnac­hmittag war die Situation an den Stränden entspannte­r – vorerst.

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FOTO: GLYN KIRK / AFP Soziale Distanz sieht anders aus: In Bournemout­h tummelten sich eine halbe Million Menschen.
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F: WEBSTER / GETTY Plastik wie Sand am Meer: Viele ließen den Müll einfach liegen.

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