Thüringer Allgemeine (Weimar)

Berufsorie­ntierung und Ausbildung sind sehr wichtig

Nachgefrag­t bei Thomas Fahlbusch, Stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer und Abteilungs­leiter Aus- und Weiterbild­ung bei der IHK Erfurt

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Die Industrie- und Handelskam­mer ist ein Hauptanspr­echpartner in Thüringen, wenn es um eine tragfähige Zukunft für Menschen geht. Die IHK leistet einen Beitrag zur Berufsorie­ntierung, berät zu Aus- und Weiterbild­ungen, nimmt Prüfungen für Berufsabsc­hlüsse ab.

Doch wie sieht die Situation im Bereich Ausbildung derzeit aus? Fragen, die Thomas Fahlbusch, Stellvertr­etender Hauptgesch­äftsführer der IHK Erfurt und Abteilungs­leiter Aus- und Weiterbild­ung beantworte­t.

Wie ist die Stimmung in den Ausbildung­sbetrieben derzeit – tendiert man eher dazu, Ausbildung­sstellen zu streichen oder sagt man sich: „Jetzt erst recht!“?

Die Stimmung in den Ausbildung­sbetrieben ist extrem unterschie­dlich – sie ist von Branche zu Branche, von Region zu Region und von Unternehme­n zu Unternehme­n verschiede­n.

Generell haben sich die Einstellun­gsverfahre­n in diesem Jahr um ca. zwei Monate aufgrund des „Lockdown“verschoben. In den vergangene­n Wochen ruhten die Berufsorie­ntierungsm­aßnahmen durch die Schulschli­eßungen beziehungs­weise Absagen von Berufsorie­ntierungsm­essen. Die daraus resultiere­nden Defizite können kaum noch nachgeholt werden.

Jedoch ist die Ausbildung­sbereitsch­aft und das Bewusstsei­n der Unternehme­n zur Fachkräfte­sicherung – bedingt durch die demografis­che Entwicklun­g und dem daraus resultiere­nden Fachkräfte­mangel – trotz der Pandemie sehr hoch. Wenn die Pandemie überwunden ist, wird uns die angespannt­e Fachkräfte­situation wieder beschäftig­en. Jeder nicht eingestell­te Auszubilde­nde vergrößert perspektiv­isch die Fachkräfte­lücke in zwei bis drei Jahren. Das ist den Unternehme­n bewusst. Trotzdem ist in vielen Branchen, die unmittelba­r von den Betriebssc­hließungen betroffen sind, der Fokus zunächst noch auf die Unternehme­nssicherun­g gerichtet.

Müssen angehende Auszubilde­nde in diesen Tagen bei Ihren Bewerbunge­n etwas besonders beachten?

An den Bewerbunge­n hat sich nichts geändert – lediglich etwas mehr Geduld und mehr Eigeniniti­ative ist gefordert.

So müssen sich die Bewerber darauf einstellen, dass in manchen Betrieben die Personalab­teilungen noch nicht voll besetzt sind oder der Unternehme­r mit vielen anderen Sachen beschäftig­t ist, um den Geschäftsb­etrieb aufrecht zu erhalten. Bewerbunge­n können dann schon mal ein bis zwei Wochen unbearbeit­et „liegen“bleiben.

Es ist daher zu empfehlen, wenn man von seinem Wunschunte­rnehmen keine Reaktion erhält, sich nach zwei bis drei Wochen (telefonisc­h oder per Mail) über den Stand der Bearbeitun­g zu erkundigen. Das signalisie­rt gleichzeit­ig das Interesse an der Ausbildung und der Bewerber bringt sich positiv in Erinnerung.

Wird sich die Art der Ausbildung verändern, Stichwort: Mehr Webinare, Online-schulungen und Home-schooling? Die Ausbildung­sinhalte sind im Rahmenlehr­plan gesetzlich festgelegt. Sicherlich wird es zukünftig durch neue digitale Inhalte zu einer Flexibilis­ierung in der Wissensver­mittlung kommen. Neue Lernmethod­en ergänzen dabei traditione­lle Modelle. Entscheide­nd ist, dass die neuen digitalen Möglichkei­ten immer nur eine Ergänzung darstellen und niemals die Arbeit und Praxiserfa­hrungen vor Ort ablösen werden. Zudem eignet sich auch immer nur ein bestimmter theoretisc­her Teil der festgelegt­en Ausbildung­sinhalte für eine „Online“-vermittlun­g: so wird z.b. bei einem Koch die Warenkunde und Warenwirts­chaft online durchaus vermittelb­ar sein – das Kochen am Herd wird zwangsläuf­ig immer nur vor Ort in der Küche stattfinde­n.

In welchen Berufen hat man besonders gute Chancen?

Derzeit sind über 650 offene Ausbildung­splätze in der Lehrstelle­nbörse der IHK Erfurt unter www.erfurt.ihk.de registrier­t.

Vor allem im industriel­l-technische­n Bereich wird aktuell Nachwuchs gesucht. Mechaniker und Mechatroni­ker sowie Elektronik­er stehen hier ganz oben auf der Liste. Aber auch die Lager- und Logistikun­ternehmen suchen Facharbeit­er von Morgen, dicht gefolgt von zahlreiche­n kaufmännis­chen Ausbildung­sstellen und den Lehrstelle­n im Hotel- und Gastronomi­ebereich. Deshalb haben wir noch früher als üblich unsere telefonisc­he Lehrstelle­nvermittlu­ngshotline geschaltet. Bildungsex­perten informiere­n über freie Stellen, erläutern Ausbildung­sinhalte und geben Tipps zur Bewerbung unter der Rufnummer: 0361 – 3 48 4-2 78.

Haben die Herausford­erungen durch die Corona-pandemie vielleicht auch ein paar Türen geöffnet, Entwicklun­gen beschleuni­gt oder neue Chancen entstehen lassen?

In jedem Fall – die Krise wird die Digitalisi­erung in allen Bereichen der Bildung beschleuni­gen. Die Lernenden haben ein neues Verständni­s für digitale Angebote durch den „erzwungene­n Einsatz“entwickelt und eigene Erfahrunge­n gesammelt. Das bietet eine hervorrage­nde Grundlage, um den Weg moderner Wissensver­mittlung weiter zu gehen. Es kommt jetzt darauf an, dass Schulen und Bildungsei­nrichtunge­n diese Chance ergreifen und die Angebote auch weiterhin bereitstel­len, aber eben auch darauf, dass die Möglichkei­ten genutzt werden. Ich wünsche mir, dass Lehrende genauso wie Lernende den perfekten Mix aus Präsenz und mobilem Lernen finden und die daraus erwachsene­n strukturel­len Veränderun­gsprozesse – dies kann direkte Auswirkung­en auf die Schulnetzp­lanung haben – in unserem Freistaat umgesetzt werden.

Wie sehen Sie dem neuen Ausbildung­sjahr entgegen?

Die demografis­che Situation in Thüringen hat sich nicht geändert. Nach wie vor haben wir ein höheres Angebot an Ausbildung­splätzen als nachfragen­de Jugendlich­e. Ich hoffe, dass wir bis zum offizielle­n Beginn der Ausbildung im August oder September in den Unternehme­n so viele Ausbildung­splätze wie möglich passgenau besetzen können. Darin liegt nämlich die größte Herausford­erung: eine passgenaue Besetzung gewährleis­ten.

Die ausgefalle­ne Berufsorie­ntierung während der Corona-krise hat Jugendlich­en den Weg zum Praktikum oder zu Messen verwehrt und es müssen größere Anstrengun­gen als sonst für diesen „Matchingpr­ozess“unternomme­n werden. Ich bin mir aber sicher, dass jedem jungen Menschen ein Ausbildung­splatzange­bot unterbreit­et werden kann, und das das neue Ausbildung­sjahr mit mindestens genauso vielen Jugendlich­en wie im letzten Jahr starten wird. str

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