Thüringer Allgemeine (Weimar)

Soundtrack der Großstadt

- Christian Werner über das Album „Stadtaffe“

Wenn sich eine Stadt über mediale und sonstige Dauerpräse­nz im positiven (Künstler-mekka) wie im negativen (Flughafen) nicht beschweren kann, dann das dicke B. In den Sommern 2008 und 2009 war das Bundeshaup­tstadtdorf an der Spree sogar noch präsenter als sonst. Und das lag nicht etwa an der anstehende­n Bundestags­wahl, sondern an einem zwölf Stücke umfassende­n Songreigen: dem ersten und einzigen Album von Peter Fox.

„Stadtaffe“ist mit mehr als einer Million verkaufter Exemplare und 173 Wochen in den Charts eines der erfolgreic­hsten deutschen Alben. Es ist eigentlich eine Abhandlung über das Leben in Großstädte­n. Die Berlinfähr­ten sind aber unverkennb­ar gelegt: Auf dem Cover posiert der Musiker am Kottbusser Tor, die dunkel dröhnende Single „Schwarz zu blau“ist die wohl schönste schrecklic­he Liebes(v)erklärung an die Stadt.

Und es ist ein Album von einem Berliner, der in einer ziemlich bekannten Berliner Band spielt, die selbst nicht mit Berlin-bezügen geizt. Seeed heißt das Kollektiv, dem Fox weiter angehört. Von seiner Hausband hat er solo einiges übernommen: die unerhört ins Bein gehenden Beats und die gereimten, halb gesungenen, halb gerappten Texte.

Doch der Ansatz für „Stadtaffe“war ein anderer: weg vom Dancehalls­ound der Band, weg vom Mainstream. Das Experiment ist geglückt. Die Lieder sind geprägt von organische­m Schlagwerk, dezentem Background­gesang und vor allem von den Arrangemen­ts des Babelsberg­er Filmorches­ters. Sie klingen wie eine Reise durch einen Soundtrack. Nur, dass es der Soundtrack des (Großstadt-)alltags ist. Genau genommen bespielt das Album ein eigenes Genre.

Die Platte verdankt sich zufällig einer Band-pause. Der überborden­de Erfolg dieser ungeplante­n, ungewöhnli­chen und unwahrsche­inlichen Musik kam überrasche­nd. Zwei Jahre dauerte die Tour, eines der dokumentie­rten Heimspiele in der Wuhlheide ist ein Triumphzug. Doch der Trubel forderte Tribut. Nach turbulente­n Monaten im Rampenlich­t wollte Peter Fox kein weiteres Solo-album veröffentl­ichen. Er hat bis heute Wort gehalten. Es gibt seither nur eine Handvoll Songs, eingestreu­t über die Jahre.

„Stadtaffe“ist für Berlin, was Grönemeyer­s „Bochum“-album für die Stadt im Ruhrpott ist: eine Ode an die Menschen und das Leben an einem Ort, den man seit Kindertage­n kennt. Den man liebt, den man hassen darf, ohne den man nicht leben kann. Beide Platten haben das Kunststück vollbracht, im kollektive­n Bewusstsei­n mindestens einer Generation zu sein.

Wir stellen vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor. Alle Folgen auf

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