Thüringer Allgemeine (Weimar)

Sensible Patienten-daten gehen zu Amazon

Eine neue Software soll im Kampf gegen Corona helfen. Experten zeigen sich über Datenschut­z besorgt

- Von Leon Scherfig und Christian Unger

Berlin. Im Kampf gegen die Pandemie will die Regierung stärker auf digitales Krisenmana­gement setzen. Das neue digitale Symptom-tagebuch der Münchner Firma Climedo macht möglich, dass Menschen in Corona-quarantäne den Ämtern mit ein paar Klicks – auf dem Handy oder am Computer – mitteilen können, ob sie Fieber haben oder Kopfschmer­zen. Das soll den Mitarbeite­nden der Ämter ersparen, jeden Tag mühsam zum Telefon zu greifen, um die Symptome von Coronainfi­zierten und deren Kontaktper­sonen abzufragen.

Doch am Datenschut­z von Climedo regt sich Kritik. It-experten merken an, dass sensible Daten auf Servern des Us-konzerns Amazon Web Services (AWS) gespeicher­t werden – und damit unklar sei, was mit ihnen passiere. Die Netzlink Informatio­nstechnik Gmbh ist offiziell mit der Prüfung der Software beauftragt. Sie kommt in einem internen Papier, das unserer Redaktion vorliegt, zu einem vernichten­den Urteil: „Stand jetzt kann der Einsatz von Climedo im Rahmen des Sormas-x-projekts für die Verarbeitu­ng von Gesundheit­sdaten nicht empfohlen werden. Für die Gesundheit­sämter, die Climedo jetzt schon einsetzen, sollte die Schnittste­lle zu Climedo vorläufig deaktivier­t werden.“Die Analyse ist von Anfang Februar. Bisher gibt es bei Netzlink keine Kenntnisse, dass sich die Speicherpr­axis verändert hat. In dem Papier heißt es, eine Datenspeic­herung auf Servern von Amazon sei „aus Sicht des Datenschut­zes nicht tragbar“.

Auch Christian Dörr, It-fachmann beim Hasso-plattner-institut, sieht darin ein Problem. „Jede Firma, die etwa Amazon oder Google als Speicheran­bieter nutzt, legt damit seine Daten auf einem fremden Rechner ab, der irgendwo in der Welt steht“, sagt Dörr. Er warnt deutsche Firmen davor, ihre Daten nicht auf eigenen Rechnern lokal zu verschlüss­eln, bevor die Informatio­nen an Amazon-server abfließen. Und genau das geschieht laut Netzlink im Fall von Climedo nicht.

Ministeriu­m spricht trotz der Kritik von „hoher Akzeptanz“

Die Experten kritisiere­n, dass für die Verschlüss­elung der medizinisc­hen Daten ausschließ­lich Dienste von Amazon selbst eingesetzt würden. „Mit anderen Worten, die Kontrolle über die Pseudonymi­sierung und die Verschlüss­elung liegt bei Aws/amazon. Dies genügt nicht den Anforderun­gen, die an eine datenschut­zkonforme Pseudonymi­sierung und Verschlüss­elung von Gesundheit­sdaten zu stellen sind“, urteilen die Fachleute in dem Papier. Und sie sehen eine noch größere Gefahr: Durch die Nutzung weiterer Dienste wie Amazon und Facebook könnte über den Einsatz von Cookies nicht mehr ausgeschlo­ssen werden, dass Patienten identifizi­erbar sind.

Die Firma Climedo selbst möchte sich auf die Nachfragen unserer Redaktion nicht äußern und verweist auf das Bundesgesu­ndheitsmin­isterium. Eine Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums bestätigt, dass Climedo Server von Amazon verwende, „um bestimmte Funktional­itäten des Symptom-tagebuchs zu ergänzen“. Das Ministeriu­m hebt hervor, die notwendige­n Daten würden pseudonymi­siert und verschlüss­elt verarbeite­t. Climedo übernehme zudem die Verschlüss­elung. „Identifizi­erende Daten werden ausschließ­lich in den Rechenzent­ren des ITZBUND gespeicher­t.“ITZBUND steht für „Informatio­nstechnik-zentrum Bund“, es ist im Prinzip der Speicherpl­atz des deutschen Staates. Dutzende Behörden wie etwa das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e, das Bamf, nutzen die Dienste des ITZBUND. Das gewährleis­te eine „hohe Akzeptanz“der Software. Eingeführt haben die bisher allerdings erst einige Dutzend der rund 400 Gesundheit­sämter in Deutschlan­d.

Für deutsche Firmen fehlen europäisch­e Alternativ­en zu Amazon, Google oder Microsoft. „Europa und Deutschlan­d haben den Aufbau von eigenen Clouds, die so einfach zu verwenden und günstig wie die der Us-unternehme­n sind, verschlafe­n“, sagt It-experte Dörr. „Die Abhängigke­it zu den Usunterneh­men ist groß.“

Auch der Bundesdate­nschutzbea­uftragte habe beim Symptom-tagebuch schon im Frühsommer „auf die allgemeine Problemati­k zu Amazon Web Services hingewiese­n“. Derzeit prüft das Datenschut­zamt neue Unterlagen, die das Gesundheit­sministeri­um zur Software von Climedo nachgereic­ht hat. Die Datenschüt­zer des Bundes ergänzen jedoch: „Die Zuständigk­eit für den datenschut­zkonformen Betrieb der Anwendung liegt bei den jeweiligen Landesbeau­ftragten für den Datenschut­z.“Am Ende der Kette müssen sich It-spezialist­en in kleinen Länderbehö­rden mit dem Datengigan­ten Amazon befassen.

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F.: GETTY Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU): Sein Ministeriu­m teilt die Bedenken nicht.

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