Thüringer Allgemeine (Weimar)

Keine Sicherheit durch Corona-schnelltes­ts?

Drosten warnt, dass Antigentes­ts unzuverläs­siger sind als bekannt - Was das für die Öffnungsst­rategie bedeutet

- Von Theresa Martus, Anne-kathrin Neuberg-vural und Beate Kranz

Berlin. Ein bisschen Sicherheit in 20 Minuten, das war das Verspreche­n von Corona-schnelltes­ts: Seit sie zugelassen sind, wird in Schulen, vor dem Einkauf und vor privaten Treffen fleißig getestet, in der Hoffnung, auf diese Weise viele Infektione­n zu verhindern. Doch jetzt steht infrage, wie viel Schutz diese Tests wirklich bringen.

„An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentes­t eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen.“

Christian Drosten Virologe

Alarm schlug jetzt der Chefvirolo­ge der Berliner Charité, Christian Drosten. Im „Corona-update“-podcast des NDR erklärte der Experte, dass die Tests in der Praxis Infektione­n oft erst spät erkennen. „Die Schnelltes­ts schlagen erst am Tag eins nach Symptombeg­inn an, da ist man aber schon drei Tage lang infektiös“, sagte Drosten. „Wenn man davon ausgeht, dass eine infizierte Person in der Regel acht Tage lang ansteckend ist, heißt das: An fünf von acht Tagen entdecke ich mit dem Antigentes­t eine Infektion, an drei Tagen werde ich sie übersehen.“Drei Tage, während denen Infizierte im Glauben, gesund zu sein, andere anstecken und die Pandemie befeuern können. Wie viel Schutz bieten Schnelltes­ts also wirklich? Und was heißt das für bisherige Öffnungen? Die wichtigste­n Fragen und Antworten im Überblick:

Wie funktionie­ren die Schnelltes­ts? Antigen-schnelltes­ts weisen bestimmte vom Virus gebildete Eiweiße nach, und das innerhalb von sehr kurzer Zeit. Sind in einer Probe diese Eiweiße vorhanden, wird auf dem Teststreif­en ein Enzym aktiviert und die Farbe des Streifens ändert sich: Der Test ist positiv. Bei niedrigen Virusmenge­n sind sie aber weniger zuverlässi­g als Pcr-tests.

Kann man damit sicher öffnen?

Mit der derzeitige­n Infektions­lage: nein, sagt Bernd Salzberger, Vorsitzend­er der Deutschen Gesellscha­ft für Infektiolo­gie. „Aktuell sind an Tests gekoppelte Öffnungen keine gute Strategie“, so Salzberger. Testen und Shoppen, Testen und Theater, diese Rechnung der Politik sei löchrig und bei den aktuellen Fallzahlen höchst riskant. „Es ist ein großer Unterschie­d, ob ich eine Inzidenz von 10 von 100.000 in 7 Tagen habe oder von 150“, so Salzberger. Wie Drosten verweist auch der Bereichsle­iter Infektiolo­gie am Unikliniku­m Regensburg auf die Schwächen der Antigentes­ts. „Bei einer Inzidenz von 150 spielt die Zahl der falsch negativen Fälle eine viel größere Rolle. Dann kommen viel mehr unentdeckt Infizierte in den Verkehr.“

Die Sinnhaftig­keit einer Schnelltes­t-strategie hänge also auch mit der Epidemiolo­gie zusammen. Sie sei erst bei niedrigen Fallzahlen praktikabe­l. Doch die gibt es in Deutschlan­d derzeit kaum irgendwo: Am Mittwoch meldete das RKI eine 7-Tage-inzidenz von 153,2 – so hoch wie zuletzt Mitte Januar während der zweiten Welle. Und das, obwohl man beim Institut davon ausgeht, dass über die Ostertage weniger getestet wurde und auch die Schulferie­n in vielen Ländern die Dynamik gebremst haben dürften.

Wie viel bringen Schnelltes­ts dann? Auch wenn Schnelltes­ts nicht das beste Diagnosemi­ttel seien: Wenn man „sehr, sehr ausgiebig“teste, reduziere man trotzdem die Zahl der zirkuliere­nden Menschen, die eine Infektion haben, sagt Salzberger. Dies zu tun, sei also durchaus sinnvoll – negative Tests als Basis für Öffnungen zu nutzen, aktuell dagegen eindeutig nicht. Auch Christian Drosten stellte am Mittwoch auf Twitter klar: Dass nicht alle Infektione­n durch Schnelltes­ts gefunden werden, heißt nicht, dass diese gar keinen Nutzen haben.

Was heißt das für Schulen? Regelmäßig­e Schnelltes­ts von Schülerinn­en, Schülern und Personal sind in vielen Bundesländ­ern Teil der Bemühungen, den Präsenzunt­erricht nach den Osterferie­n zumindest teilweise zu ermögliche­n. Zum Einsatz kommen dabei auch

Selbsttest­s. Heinz-peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverb­andes, hält das auch trotz Zweifeln an den Tests für richtig: „Uns war allen klar, dass Schnelltes­ts und gerade auch die Selbsttest­s nicht so zuverlässi­g sind wie etwa Pcrtests“, sagte Meidinger unserer Redaktion. „Das entwertet aber nicht die Sinnhaftig­keit einer Testpflich­t an Schulen als ein zusätzlich­er Baustein für mehr Gesundheit­sschutz.“Gerade weil ihre Aussagekra­ft begrenzt ist, dürften Schnelltes­ts aber nicht dazu führen, dass andere Maßnahmen wie die Maskenpfli­cht vernachläs­sigt würden, so Meidinger.

Was sagt der Handel?

Der Handel setzt weiter auf Schnelltes­ts, wo sie erforderli­ch sind. Gleichzeit­ig ist der Hauptgesch­äftsführer des Handelsver­bands Deutschlan­d, Stefan Genth, angesichts der Hygienesta­ndards in Läden und mehrerer Studienerg­ebnisse überzeugt: „Der Einkauf birgt kein erhöhtes Infektions­risiko. Das haben auch das Robert-koch-institut und die TU Berlin festgestel­lt.“

Gibt es eine Alternativ­e?

Präziser als Antigen-schnelltes­ts sind Pcr-tests, mit denen sich nachweisen lässt, ob in einer Probe Bestandtei­le des Viruserbgu­ts vorhanden sind. Doch das Verfahren, das dafür angewandt wird, kann nur in Laboren durchgefüh­rt werden. Pcr-tests sind daher teurer und langsamer als Schnelltes­ts und brauchen freie Laborkapaz­itäten. Für den flächendec­kenden Einsatz, zum Beispiel im Schulbetri­eb, sind sie deshalb nicht geeignet.

 ?? FOTO: ROBERT MICHAEL / PICTURE ALLIANCE/DPA/ ?? Wenigstens ein paar Stunden Sicherheit: Das war die Hoffnung für Schnelltes­ts, wie dieser Mann einen macht.
FOTO: ROBERT MICHAEL / PICTURE ALLIANCE/DPA/ Wenigstens ein paar Stunden Sicherheit: Das war die Hoffnung für Schnelltes­ts, wie dieser Mann einen macht.
 ?? FOTO: DPA ?? Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité
FOTO: DPA Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité

Newspapers in German

Newspapers from Germany