Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Kraft der klaren Worte

Der Roman „Niemanns Kinder“stellt die Leser vor Herausford­erungen – und macht es ihnen leicht, sich darauf einzulasse­n

- Von Thomas Bärsch

Das ist die Geschichte zweier Schwestern, die mit ansehen mussten, wie ihre Mutter ermordet wird. Es ist auch die Geschichte eines Mannes, dessen Mutter eine Mörderin ist, und die zweier Jungs und ihrer heimlichen Beziehung. Es ist die Geschichte von Liebe, die erst noch richtig beginnen muss, und von Angst, die nie vergehen wird.

Es stecken so viele Geschichte­n in René Müller-ferchlands gerade erschienen­em Roman „Niemanns Kinder“. Der Erfurter Schriftste­ller erzählt sie als eine, als die Geschichhi­n te von Marta, die ihren Vater sucht und die Antwort auf die Frage, warum er die Familie verlassen hat.

Marta ist 16 und im selben Jahr geboren wie ihr Bruder Mateo. Die beiden sind die Kinder von Daniel, den sie selbst nie bewusst wahrgenomm­en haben, und Jasmina, die selbst nie über den Vater redet, wie sie überhaupt nie über die Vergangenh­eit redet. Zur Familie gehört noch Jasenka, die Schwester von

Jasmina. Sie kamen als Kriegswais­en aus Bosnien nach Deutschlan­d, für immer verwundet an der Seele und für immer in Angst lebend -- eine Angst, die die Kinder Marta und Mateo mitleben müssen und von der sie sich anscheinen­d nie werden lösen können.

Doch Marta will sich lösen, sie will die Wahrheit herausfind­en über das, was war, und über den Vater. Sie reist mehrmals zwischen Berlin und Frankfurt/oder

und her, zwischen Gegenwart und Vergangenh­eit, und sie begibt sich in Gefahr.

Der Autor zeichnet das Bild einer heillosen, teils unwirklich­en Welt und weckt zugleich das Gefühl, man sei gerade selbst mittendrin im Leben der Figuren, in ihren Gedanken und Gesprächen. Bei diesen verzichtet er auf die Kennzeichn­ung der wörtlichen Rede. Das erfordert anfangs Konzentrat­ion. Doch dann geht es schnell, denn der Roman spricht eine klare, verständli­che Sprache. Sie hilft dabei, dass diese Bilder im Kopf entstehen können, aus denen ein Film wird.

Wie Filmszenen sind die einzelnen Teile aneinander­gereiht. Sie tragen keine Überschrif­ten oder Zahlen, sondern Striche, die sich zu einem immer breiter werdenden Balken addieren – wie die Balken unter den Filmen auf Youtube, ein Wort übrigens, das im Buch ebenso wenig vorkommt wie viele andere, die die Generation­en heute sprachlich voneinande­r trennen. Dieser Roman trennt nicht, er verbindet.

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