Judenhass greift stärker um sich
Zahl antisemitischer Straftaten steigt deutlich. Rechtsextreme Fälle auf hohem Niveau
Erfurt. Eine Cartoon-figur uriniert auf einen Davidstern. Daneben wird eine Hakenkreuz-fahne gezeigt. Juli 2020 in Mühlhausen: Am Bahnhof taucht über Nacht dieses offensichtlich antisemitische Graffiti auf. Der Aufschrei darüber bleibt weitestgehend aus – obwohl hier Hass und Verachtung auf Jüdinnen und Juden mitten in Thüringen offen zur Schau gestellt werden.
Die Zahlen in Thüringen sprechen eine deutliche Sprache. 116 antisemitische Straftaten hat die Polizei im vergangenen Jahr registriert. Im Vergleich zum Jahr 2019 eine satte Steigerung um 25 Prozent beziehungsweise 23 Straftaten. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) zeigt sich alarmiert. „Das ist eine besorgniserregende Entwicklung“, sagt der Spd-politiker. Er sieht eine zunehmende Verharmlosung des Holocaust insbesondere dort, wo Menschen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-pandemie auf die Straße gehen oder im Internet Stimmung dagegen machen. „Jegliche Gleichsetzung der Corona-maßnahmen mit dem Nazi-regime ist eine nicht hinnehmbare Verharmlosung des Holocaust“, macht er deutlich. Maier nennt insbesondere die Q-anon-bewegung mit der Verbreitung ihrer Theorie einer jüdischen Weltverschwörung. Das seien Dinge, die sich rasend schnell verbreiten, „deshalb ist die Polizei dafür auch noch einmal besonders sensibilisiert“.
Madeleine Henfling (Grüne) nimmt die Zivilgesellschaft in die Pflicht, wenn es darum geht, antisemitischen Verschwörungen zu widersprechen. „Wir müssen diesen Theorien von Anfang an konsequent widersprechen und sie widerlegen, um das Umsichgreifen solcher Ideologien zu verhindern und unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger zu schützen“, sagt die Innenpolitikerin. Die Sprecherin für Antifaschismus der Linksfraktion, Katharina König-preuss, fordert eine deutliche Haltung da ein, „wo sich Vorurteile und Anfeindungen bemerkbar machen -- egal ob im Internet, am Stammtisch oder bei Protesten gegen Corona-maßnahmen.“Die Spd-innenpolitikerin
Dorothea Marx und Cdu-innenpolitiker Raymond Walk fordern einen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen in Thüringen.
Insgesamt sind die Zahlen von Straftaten mit politisch-motiviertem Hintergrund 2020 deutlich zurückgegangen – ein Phänomen, dass sich immer wieder nach Wahljahren zeigt. Thüringenweit wurden 2020 insgesamt 2095 Taten registriert, 2019 waren es noch 2493. Während es im sogenannten Pmklinks Bereich einen deutlichen Rückgang gegeben hat (2020: 437 Taten; 2019: 646 Taten) blieben die Zahlen im Bereich des Rechtsextremismus konstant – stiegen leicht von 1301 im Jahr 2019 auf 1312 im vergangenen Jahr. „Der Anstieg der rechtsmotivierten Kriminalität in Thüringen zeigt: Wir brauchen eine
Handlungsoffensive gegen rechtsextremistischen Terror“, sagte der innenpolitische Sprecher der Cdufraktion, Raymond Walk. Er ruft nach dem Einsatz von V-leuten im Bereich der rechten Szene und einer intensiveren länderübergreifenden Zusammenarbeit. Fdp-innenpolitiker Dirk Bergner bezeichnete es als „negative Entwicklung“, dass die Zahl der rechtsmotivierten Straftaten konstant geblieben ist, weil insgesamt die Fallzahlen zurückgegangen seien. Die AFD relativiert die Statistik und erklärt, dass nur aufgrund der Vielzahl an Propaganda-delikten ein deutliches Übergewicht bei den rechtsmotivierten Straftaten bestehe. „Rechnet man diese Delikte ab, ergibt sich ein immer noch zu hohes, aber wesentlich realistischeres Bild der ‚politisch motivierten Kriminalität‘ im Freistaat“, sagt der Afd-innenpolitiker Ringo Mühlmann. Seiner Rechnung nach stünden 462 Delikten der Gewaltkriminalität und sonstigen Staatsschutzdelikten, denen eine rechte Tatmotivation zugrunde lag, 424 Delikten derselben Deliktqualitäten mit einer linken Tatmotivation gegenüber.
Innenminister Georg Maier (SPD) betont am Montag in Erfurt deutlich, dass die Zahlen Beleg für das seien, was er schon im vergangenen Jahr als Vorsitzender der Innenministerkonferenz sehr deutlich gemacht habe: „Die größte Gefahr für unsere Demokratie kommt von rechts.“