Sorge um die Großeltern
Pandemie belastet drei Viertel aller Kinder in Thüringen und erschüttert das Selbstverständnis von Kindergarten-betreuung
Erfurt. Ein Kindergartenbesuch gehört zur Planung einer Familie. Vor allem für Eltern im deutschen Osten ist diese Verlässlichkeit selbstverständlich, eine Option, die nicht hinterfragt, schon gar nicht bewertet wird. Jedenfalls bis Corona kam.
Die Notbetreuung, konstatiert die Erfurter Professorin Barbara Lochner, hat das Vertrauen in diese Konstante zum Wanken gebracht und die Perspektive auf den Kindergarten verändert. Für die Leiterin der Studie „Thüringer Familien in Zeiten von Corona“gehört diese Feststellung zu den auffälligsten Befunden. „Plötzlich waren Eltern nicht mehr frei, darüber zu bestimmen, sondern waren angewiesen auf das, was ihnen zugestanden wird.“Ein Privileg, dessen Entscheidungsprozesse von vielen Eltern als schwer durchschaubar wahrgenommen wurden. Und auch nach Öffnungen sei bei vielen Eltern das Gefühl geblieben, sich rechtfertigen zu müssen, ob und wie sie Kita-betreuung in Anspruch nehmen.
Insgesamt gaben in den Befragungen für die Studie drei Viertel der Eltern an, dass die Pandemie ihre Kinder zumindest teilweise belastet. Die größte Sorge der Kinder war der Angst vor einer eigenen Erkrankung oder im familiären Nahfeld geschuldet. Besonders verbreitet war dabei die Sorge um die Großeltern, auch schon bei Jüngeren. Die Furcht, Freunde und Verwandte nicht mehr sehen zu können, belastete ebenfalls. Befragt nach den größten Leerstellen, wurden von Kindern entsprechend Freunde, der getrennt lebende Elternteil und die Großeltern vermisst.
Als besonders deutlich beschreibt Forscherin Lochner den Zusammenhang zwischen der beruflichen Situation von Eltern und dem Befinden der Kinder. Wenn Eltern wegen Kurzarbeit oder Jobverlust in finanzielle Probleme geraten oder sich Sorgen um die Existenz machen, belastet das auch die Kinder. Berufliche Sicherheit dagegen, verbunden mit einem Arbeitgeber, der Flexibilität und Homeoffice ermöglicht, erlaube es Familien, deutlich besser mit der Situation umzugehen.
Auch Faktoren wie die Wohnsituation beeinflussen, wie gut oder weniger gut Kinder durch die Pandemie kommen. Wo pro Person weniger als 20 Quadratmeter zur Verfügung standen, wurde die Situation als belasteter wahrgenommen.
Eine häufig diskutierte Frage bleibt unbeantwortet: Wie ergeht es Kindern in Familien, die schon vor Corona mit Konflikten belastet waren? In solchen Fällen, bemerkt Lochner, werden kaum Fragebögen ausgefüllt und Interviews gegeben. Die Sozialwissenschaft würde zu wenig darüber wissen, wie solche Familien durch die Pandemie kommen, das sei ein Problem.