Corona-ausgangssperre ab 22 Uhr
Koalition ändert Entwurf zu bundesweiter Notbremse: Auch bei Inzidenzen über 100 soll Spazierengehen am Abend erlaubt sein. Für Schulen gelten jedoch Verschärfungen
Berlin. Die bundesweit einheitliche und verpflichtende Corona-notbremse ist weiterhin ein Zankapfel. Die FDP droht mit Verfassungsklage, dagegen bezeichnet Verdi-chef Frank Werneke die Notbremse als überfällig. Nun haben sich die Regierungsfraktionen Union und SPD auf einige Nachbesserungen beim neuen Infektionsschutzgesetz verständigt. Im Grundsatz bleibt es zwar dabei, dass bei einer Siebentage-inzidenz von 100 Neuansteckungen pro 100.000 Einwohnern in einer Region wieder strengere Lockdown-maßnahmen gelten. Doch an zentralen Punkten wurde nachgearbeitet. So sollen etwa für den nächtlichen Aufenthalt im Freien sowie fürs Shoppen großzügigere Regeln gelten als zuerst geplant. Dafür soll der Präsenzunterricht an Schulen strenger reglementiert werden. Neu ist auch: Das Gesetz wird bis Ende Juni befristet.
Was ändert sich bei der Ausgangssperre?
Das geplante Verbot, bei einer Sieben-tage-inzidenz von 100 Ansteckungen die eigene Wohnung oder das Grundstück zu verlassen, soll erst zwischen 22 Uhr und fünf Uhr gelten und nicht schon ab 21 Uhr. Zum Joggen und Spazierengehen sollen sich Einzelpersonen bis Mitternacht im Freien aufhalten dürfen. Außerhalb dieser Zeiten ist das Verlassen der Wohnung nur etwa aus beruflichen Gründen sowie bei Notfällen erlaubt. Auch die „Versorgung von Tieren“ist erlaubt, also auch das Gassi-führen von Hunden.
Was ändert sich für Kinder? Distanzunterricht soll bereits ab einer Sieben-tage-inzidenz von 165 verpflichtend sein. Im ursprünglichen Entwurf war noch der Schwellenwert von 200 Neuinfektionen in einer Region genannt worden, ab dem Kinder und Jugendliche wieder vollständig in den Heimunterricht zurückkehren sollten. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-peter Meidinger, hält dies für einen guten, aber nicht ausreichenden Schritt. „Eine Inzidenz von 200 als Maßstab für Schulschließungen war viel zu hoch“, sagte er unserer Redaktion. Doch auch eine Inzidenz von 165 sei noch deutlich zu hoch. Denn in der Altersgruppe zwischen zehn und 19 Jahren liege die bundesweite Inzidenz jetzt schon deutlich höher. Um eine Ausbreitung des Virus in den Schulen wirksam zu stoppen, müsse der Präsenzunterricht bereits ab einer Inzidenz von 100 beendet werden.
Beim Sport gilt jetzt zudem eine Ausnahme für Kinder unter 14 Jahren: Sie sollen auch bei Inzidenzen über 100 „in Gruppen von höchstens fünf Kindern“gemeinsam Sport treiben dürfen. Für alle anderen ist dies bei solchen Infektionszahlen nur noch „allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Hausstands“erlaubt.
Was ist im Handel und bei Dienstleistungen geplant?
Bei einer Inzidenz zwischen 100 und 150 soll der Besuch aller Einzelhandelsgeschäfte nach vorheriger Terminbuchung möglich sein – auch bekannt als „Click & Meet“. Bislang war vorgesehen, dass der Einzelhandel bei einer Inzidenz über 100 schließen sollte, mit Ausnahme von Geschäften mit Waren des täglichen Bedarfs und Lebensmitteln. Voraussetzung für das Shoppen mit Termin ist ein negativer Corona-test. Bei höherer Inzidenz soll auch „die Abholung vorbestellter Waren in Ladengeschäften“(„Click & Collect“) zulässig sein. Neu ist bei den körpernahen Dienstleistungen, dass neben Friseurbetrieben auch Fußpfleger bei Inzidenzen von mehr als 100 direkt am Kunden arbeiten dürfen.
Was ist in Betrieben geplant?
Die Homeofficepflicht, die bisher per Verordnung geregelt ist, soll jetzt im Infektionsschutzgesetz verankert werden. Demnach müssen
Unternehmen ihren Beschäftigten „im Fall von Büroarbeit oder vergleichbaren Tätigkeiten“anbieten, diese in der eigenen Wohnung auszuführen, „wenn keine zwingenden betriebsbedingten Gründe entgegenstehen“. Die Beschäftigten müssen dieses Angebot annehmen, „soweit ihrerseits keine Gründe entgegenstehen“. Betriebe sind zudem verpflichtet, den Beschäftigten zweimal pro Woche einen Coronatest anzubieten. Verdi-chef Wernecke befürwortete die gesetzliche Regelung. Es sei „mehr als überfällig, dass die Bundesregierung jetzt die Notbremse zieht, nachdem die Länder zuvor nicht dazu fähig waren“, sagte er unserer Redaktion.
„Es ist mehr als überfällig, dass die Bundesregierung jetzt die Notbremse zieht.“Frank Werneke, Verdi-bundesvorsitzender
Welche Änderungen gibt es im Freizeitbereich?
Die Außenbereiche von Zoos und botanischen Gärten sollen auch bei einer Inzidenz über 100 öffnen können, sofern „angemessene Schutzund Hygienekonzepte“eingehalten werden. Besucher ab sechs Jahren müssen einen negativen Coronatest vorweisen.
Warum wird das Gesetz befristet? Damit behalten die Abgeordneten einen Fuß in der Tür. Das Gesetz tritt am 30. Juni außer Kraft. Falls die Bundesregierung darüber hinaus eine Notbremse einsetzen will, muss sie Anlauf zu einem neuen Gesetz nehmen.