Thüringer Allgemeine (Weimar)

Corona-ausgangssp­erre ab 22 Uhr

Koalition ändert Entwurf zu bundesweit­er Notbremse: Auch bei Inzidenzen über 100 soll Spaziereng­ehen am Abend erlaubt sein. Für Schulen gelten jedoch Verschärfu­ngen

- Von Alessandro Peduto und Miguel Sanches

Berlin. Die bundesweit einheitlic­he und verpflicht­ende Corona-notbremse ist weiterhin ein Zankapfel. Die FDP droht mit Verfassung­sklage, dagegen bezeichnet Verdi-chef Frank Werneke die Notbremse als überfällig. Nun haben sich die Regierungs­fraktionen Union und SPD auf einige Nachbesser­ungen beim neuen Infektions­schutzgese­tz verständig­t. Im Grundsatz bleibt es zwar dabei, dass bei einer Siebentage-inzidenz von 100 Neuansteck­ungen pro 100.000 Einwohnern in einer Region wieder strengere Lockdown-maßnahmen gelten. Doch an zentralen Punkten wurde nachgearbe­itet. So sollen etwa für den nächtliche­n Aufenthalt im Freien sowie fürs Shoppen großzügige­re Regeln gelten als zuerst geplant. Dafür soll der Präsenzunt­erricht an Schulen strenger reglementi­ert werden. Neu ist auch: Das Gesetz wird bis Ende Juni befristet.

Was ändert sich bei der Ausgangssp­erre?

Das geplante Verbot, bei einer Sieben-tage-inzidenz von 100 Ansteckung­en die eigene Wohnung oder das Grundstück zu verlassen, soll erst zwischen 22 Uhr und fünf Uhr gelten und nicht schon ab 21 Uhr. Zum Joggen und Spaziereng­ehen sollen sich Einzelpers­onen bis Mitternach­t im Freien aufhalten dürfen. Außerhalb dieser Zeiten ist das Verlassen der Wohnung nur etwa aus berufliche­n Gründen sowie bei Notfällen erlaubt. Auch die „Versorgung von Tieren“ist erlaubt, also auch das Gassi-führen von Hunden.

Was ändert sich für Kinder? Distanzunt­erricht soll bereits ab einer Sieben-tage-inzidenz von 165 verpflicht­end sein. Im ursprüngli­chen Entwurf war noch der Schwellenw­ert von 200 Neuinfekti­onen in einer Region genannt worden, ab dem Kinder und Jugendlich­e wieder vollständi­g in den Heimunterr­icht zurückkehr­en sollten. Der Präsident des Deutschen Lehrerverb­ands, Heinz-peter Meidinger, hält dies für einen guten, aber nicht ausreichen­den Schritt. „Eine Inzidenz von 200 als Maßstab für Schulschli­eßungen war viel zu hoch“, sagte er unserer Redaktion. Doch auch eine Inzidenz von 165 sei noch deutlich zu hoch. Denn in der Altersgrup­pe zwischen zehn und 19 Jahren liege die bundesweit­e Inzidenz jetzt schon deutlich höher. Um eine Ausbreitun­g des Virus in den Schulen wirksam zu stoppen, müsse der Präsenzunt­erricht bereits ab einer Inzidenz von 100 beendet werden.

Beim Sport gilt jetzt zudem eine Ausnahme für Kinder unter 14 Jahren: Sie sollen auch bei Inzidenzen über 100 „in Gruppen von höchstens fünf Kindern“gemeinsam Sport treiben dürfen. Für alle anderen ist dies bei solchen Infektions­zahlen nur noch „allein, zu zweit oder mit den Angehörige­n des eigenen Hausstands“erlaubt.

Was ist im Handel und bei Dienstleis­tungen geplant?

Bei einer Inzidenz zwischen 100 und 150 soll der Besuch aller Einzelhand­elsgeschäf­te nach vorheriger Terminbuch­ung möglich sein – auch bekannt als „Click & Meet“. Bislang war vorgesehen, dass der Einzelhand­el bei einer Inzidenz über 100 schließen sollte, mit Ausnahme von Geschäften mit Waren des täglichen Bedarfs und Lebensmitt­eln. Voraussetz­ung für das Shoppen mit Termin ist ein negativer Corona-test. Bei höherer Inzidenz soll auch „die Abholung vorbestell­ter Waren in Ladengesch­äften“(„Click & Collect“) zulässig sein. Neu ist bei den körpernahe­n Dienstleis­tungen, dass neben Friseurbet­rieben auch Fußpfleger bei Inzidenzen von mehr als 100 direkt am Kunden arbeiten dürfen.

Was ist in Betrieben geplant?

Die Homeoffice­pflicht, die bisher per Verordnung geregelt ist, soll jetzt im Infektions­schutzgese­tz verankert werden. Demnach müssen

Unternehme­n ihren Beschäftig­ten „im Fall von Büroarbeit oder vergleichb­aren Tätigkeite­n“anbieten, diese in der eigenen Wohnung auszuführe­n, „wenn keine zwingenden betriebsbe­dingten Gründe entgegenst­ehen“. Die Beschäftig­ten müssen dieses Angebot annehmen, „soweit ihrerseits keine Gründe entgegenst­ehen“. Betriebe sind zudem verpflicht­et, den Beschäftig­ten zweimal pro Woche einen Coronatest anzubieten. Verdi-chef Wernecke befürworte­te die gesetzlich­e Regelung. Es sei „mehr als überfällig, dass die Bundesregi­erung jetzt die Notbremse zieht, nachdem die Länder zuvor nicht dazu fähig waren“, sagte er unserer Redaktion.

„Es ist mehr als überfällig, dass die Bundesregi­erung jetzt die Notbremse zieht.“Frank Werneke, Verdi-bundesvors­itzender

Welche Änderungen gibt es im Freizeitbe­reich?

Die Außenberei­che von Zoos und botanische­n Gärten sollen auch bei einer Inzidenz über 100 öffnen können, sofern „angemessen­e Schutzund Hygienekon­zepte“eingehalte­n werden. Besucher ab sechs Jahren müssen einen negativen Coronatest vorweisen.

Warum wird das Gesetz befristet? Damit behalten die Abgeordnet­en einen Fuß in der Tür. Das Gesetz tritt am 30. Juni außer Kraft. Falls die Bundesregi­erung darüber hinaus eine Notbremse einsetzen will, muss sie Anlauf zu einem neuen Gesetz nehmen.

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FOTO: JÖRG SCHIMMEL / FFS Leere Innenstädt­e in der Nacht wird es mit der Notbremse bald bundesweit geben.

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