Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die große Zucker-lüge

Lebensmitt­elherstell­er werben häufig mit ungesüßten Produkten. Wie Verbrauche­r hinters Licht geführt werden

- Von Tobias Kisling

Berlin. Ein Müsli zum Frühstück: Lecker soll es sein, gern mit Früchten und gesund, also mit möglichst wenig Zucker. Wer mit dieser Erwartungs­haltung in den Supermarkt geht und vor dem Cerealienr­egal stehend die Müsli-angebote des Unternehme­ns Peter Kölln sieht, der wird nicht lange überlegen, zu welcher Packung er greift. Der Elmshorner Marktführe­r bei den Frühstücks­flocken bietet zwei sehr ähnlich wirkende Früchte-hafer-müslis an: eines in einer ockerfarbe­nen Verpackung. Und eines in einer hellblauen Verpackung, an deren Rand sich ein rotes Blatt in das Auge des Betrachter­s wölbt: „Ohne Zuckerzusa­tz“steht darauf.

Eine klare Sache, welches Produkt gesünder ist? Keineswegs. Der Zuckergeha­lt unterschei­det sich gerade einmal um ein Gramm, das vermeintli­ch gesündere Müsli enthält sogar leicht mehr Kalorien, monierte die Verbrauche­rzentrale Hessen, die sich nach einer Beschwerde eines Verbrauche­rs mit dem Müsli befasste. Der Verbrauche­r fühlte sich vom Unternehme­n getäuscht, die Verbrauche­rzentrale kontaktier­te daraufhin Kölln. Die Antwort des Unternehme­ns: „Ohne Zuckerzusa­tz“bedeute, dass kein Zucker zugesetzt wurde, der natürliche Zuckergeha­lt der Zutaten bleibe aber erhalten. „‚Ohne Zuckerzusa­tz‘ ist also nicht gleichbede­utend mit ‚Weniger Zucker‘ oder ‚Zuckerfrei‘“, schreibt der Flocken-hersteller. Mit Täuschung habe dies aber nichts zu tun, rechtferti­gt sich Kölln.

Deutschlan­ds obersten Verbrauche­rschützer ärgern solche Fälle. „Zu viel Zucker kann zu Übergewich­t führen und krank machen. Egal, ob der Zucker nun aus Früchten oder aus der Zuckerrübe stammt“, sagte Klaus Müller, Vorstand des Verbrauche­rzentrale Bundesverb­andes (vzbv), unserer Redaktion.

Zumal der Müsli-fall nur ein Beispiel von vielen ist. Gesunde Produkte stehen bei Kunden derzeit hoch im Kurs, bei Bio-lebensmitt­eln schnellte der Umsatz im Corona-jahr um 22 Prozent in die Höhe. Viele Unternehme­n wollen von dem Trend profitiere­n – und preisen ihre vermeintli­ch gesunden Lebensmitt­el an. „Die süßen Verspreche­n der Lebensmitt­elwirtscha­ft führen Verbrauche­r oft auf die falsche Fährte“, warnt Müller.

Verbrauche­rschützer fordern Nutri-score-pflicht

Er stützt sich dabei auf eine wissenscha­ftliche Untersuchu­ng der Georg-august-universitä­t Göttingen, die unserer Redaktion vorliegt. Zusammen mit der Marketingb­eratung Zühlsdorf + Partner befragten die Göttinger Wissenscha­ftler in zwei repräsenta­tiven Erhebungen jeweils mehr als 1000 Verbrauche­r.

Die Ergebnisse zeigen: Die Masche,

mit vermeintli­ch gesunden Slogans zu werben, zieht. Haushaltsz­ucker bezeichnen zum Beispiel nur

4,7 Prozent der Befragten als gesund. Bei der „Traubenfru­chtsüße“sind es dagegen 35,3 Prozent, die glauben, es mit einem gesunden Produkt zu tun zu haben. Dabei sind beide Zuckerarte­n ähnlich problemati­sch.

Ein anderes Beispiel: Die Wissenscha­ftler testeten ihre Probanden mit zwei identische­n Tomatensoß­en. Bei der Flasche ohne Werbung ging nur jeder Vierte davon aus, dass diese Soße einen geringen Zuckergeha­lt aufweist. Versehen mit dem Zusatz „Mit Apfelsüße“glaubte dagegen bei demselben Produkt fast jeder Zweite, dass das Produkt wenig Zucker enthalte.

Und auch beim Müsli haben die Forscher geschaut, wie sich die Kaufbereit­schaft verändert. Steht beim Beeren-knuspermüs­li der Spruch „Ohne Zuckerzusa­tz. Süße nur aus Früchten“, halten es knapp 70 Prozent der Probanden für gesund. Ohne Werbespruc­h sind es hingegen nur 56 Prozent.

„Süßebezoge­ne Werbeaussa­gen erhöhen die Kaufbereit­schaft“, fassen die vier Studienaut­oren zusammen. „Besonders kaufaktivi­erend“seien Aussagen, die auf Natürlichk­eit abstellten, also etwa Werbesprüc­he wie „Mit Honig gesüßt“oder „Süße nur aus Früchten“.

Die Bundesregi­erung hat Zucker bereits den Kampf angesagt. 2018 legte Bundesernä­hrungsmini­sterin Julia Klöckner (CDU) eine nationale Zuckerredu­ktionsstra­tegie vor. Am Mittwoch präsentier­te Klöckner neue Zahlen: Im Vergleich zu 2016 sei beispielsw­eise in Nussmüslir­iegeln der Zuckergeha­lt um fast 16 Prozent gesenkt worden.

Auch der Handel zieht mit. Edeka und Netto wollen etwa bis 2021 bei Süßwaren und alkoholfre­ien Erfrischun­gsgetränke­n den Zuckergeha­lt um bis zu 25 Prozent reduzieren, Kaufland will mehr als 300 Eigenmarke­nartikel mit weniger Zucker versetzen, und Rewe kennzeichn­et alle Eigenprodu­kte mit der Lebensmitt­elampel Nutri-score.

Reicht das? Thomas Roeb, Professor für Handelsbet­riebslehre an der Hochschule Bonn-rhein-sieg, ist skeptisch. „Produkte, bei denen der Zuckergeha­lt wirklich reduziert wird, werden vom Kunden kaum akzeptiert“, sagte Roeb unserer Redaktion. Das Vorhaben der Händler sei ein Kampf gegen das erlernte Geschmacks­empfinden der Kunden. „Sehr viel einfacher lassen sich Produkte verkaufen, die verspreche­n, zuckerfrei zu sein, aber aufgrund anderer Süßstoffe genauso süß bleiben“, sagt Roeb.

Verbrauche­rschutzche­f Müller fordert daher, die Lebensmitt­elampel Nutri-score verpflicht­end zu machen. „Für diese einfache, farbig unterlegte Nährwertke­nnzeichnun­g muss sich Ernährungs­ministerin Julia Klöckner jetzt auf europäisch­er Ebene mit aller Kraft einsetzen“, forderte Müller.

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FOTO: ISTOCK Knuspriges Frühstück: Gesund soll es sein und lecker. Müslis stehen daher hoch im Kurs. Doch oft verbergen sich Zuckerfall­en in den Produkten.
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FOTO:DPA Klaus Müller

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