Was bedeutet die Notbremse für Kinder?
In Regionen mit einer Inzidenz über 100 sollen strenge Regeln gelten - mit massiven Folgen für Familien
Berlin. „Schulen werden zuletzt geschlossen und zuerst wieder geöffnet“, verspricht Vizekanzler Olaf Scholz am späten Mittwochvormittag im Bundestag, kurz bevor das Parlament mit der Mehrheit von Union und SPD die Bundesnotbremse im Infektionsschutzgesetz beschließt. Wie bitte? In den Ohren vieler Kinder, Eltern und Lehrer klingt der Scholz-satz schräg. Denn: Schulen sollen nach dem Willen der Bundesregierung jetzt schon bei einer Sieben-tage-inzidenz von 165 wieder komplett in Distanzunterricht gehen – ursprünglich sollte der Grenzwert für diesen Schritt bei 200 liegen. Aktuell liegen bereits sieben Bundesländer über der Schwelle.
Was ändert sich in Schulen und Kitas? Für Kinder und Jugendliche soll ein eigener Notbremse-mechanismus gelten: Ab einer Inzidenz von 100 gehen die Klassen in den Wechselunterricht. Überschreitet die Sieben-tage-inzidenz an drei aufeinanderfolgenden Tagen den Schwellenwert von 165, wird ab dem übernächsten Tag der Präsenzunterricht verboten. Die Bremse gilt auch für Kitas, die Länder können aber eine Notbetreuung ermöglichen.
An diesem Donnerstag stimmt der Bundesrat über das Gesetz ab. Ein negatives Votum ist unwahrscheinlich, sodass die Regelungen bereits ab Samstag umgesetzt werden könnten. Einzelne Länder kündigten bereits an, die Schulnotbremse noch strenger zu fassen.
Experten hatten den ursprünglichen Schwellenwert von 200 Fällen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen als zu riskant kritisiert. Vielen Lehrervertretern ist selbst die Marke von 165 noch zu hoch. Ärztepräsident Klaus Reinhardt begrüßte dagegen die Regelung: Es sei richtig, dass die Koalition für die Schließung von Schulen einen höheren Inzidenzwert angesetzt habe als etwa für den Einzelhandel. Kindern und Jugendlichen würde so etwas mehr Normalität ermöglicht. Die psychosozialen Folgen der Isolation von Freunden und Bezugspersonen seien schwerwiegend. „Deshalb ist es richtig, dass der Gesetzgeber hier mit Augenmaß vorgeht, zumal mit steigender Impfquote die Ansteckungsrisiken für Eltern und andere Familienmitglieder
sinken“, sagte Reinhardt unserer Redaktion.
Wie ist die Infektionslage bei Kindern und Jugendlichen?
„Bei den 6- bis 20-Jährigen sehen wir gerade sehr viele Ausbrüche“, warnte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Mittwoch. Auch
Spd-gesundheitsexperte Karl Lauterbach ist besorgt: „Noch nie war die Inzidenz von Kindern und Jugendlichen so hoch wie heute“, schrieb der Mediziner auf Twitter. „Da Eltern und zum Teil auch Lehrpersonal noch nicht geimpft sind und auch Kinder Long Covid bekommen, ist das Schuljahr wahrscheinlich
Die interaktive Karte finden Sie online unter thueringerallgemeine.de/kinderinzidenz nur noch im Distanzunterricht zu retten.“Lauterbach warnte davor, dass in der aktuellen dritten Welle vor allem ungeimpfte Eltern von schweren Krankheitsverläufen betroffen sein könnten: Jeder, der das für Panikmache halte, sollte sich auf den Intensivstationen umsehen: 40- bis 50-jährige Eltern seien dort keine Rarität.
Doch sind hohe Inzidenzen bei Kindern und Jugendlichen wirklich so gefährlich? Ärztepräsident Reinhardt hat Zweifel: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Ansteckungsrisiko in den Schulen seien nach wie vor nicht eindeutig. Wenn die Inzidenz unter Jugendlichen steige, könne das auch mit den massenhaften Schnelltestungen zusammenhängen. „Wir wissen es einfach nicht genau.“Nötig seien repräsentative Bevölkerungstests auf das Coronavirus. Nur so ließen sich die Corona-maßnahmen auf eine wissenschaftliche Grundlage stellen.
Was wird aus Verabredungen?
Bei einer Inzidenz über 100 kommt die Ausgangssperre: Zwischen 22 und 5 Uhr morgens dürfen die Bundesbürger in solchen Regionen nur noch aus triftigem Grund aus dem Haus. Joggen und allein Spazierengehen ist noch bis 24 Uhr erlaubt. Besonders für Jugendliche und junge Erwachsene heißt das: Wer abends noch Freunde trifft, muss die Uhr im Blick behalten. Hinzu kommt: Wer über 14 Jahre alt ist, fällt in solchen Regionen unter die strengeren Kontaktregeln: Ein Haushalt darf nur eine weitere Person treffen. Sport ist immerhin für Kinder im Alter bis 14 Jahren auch bei hohen Inzidenzen laut Notbremse-gesetz weiter zulässig – wenn die Kinder im Freien in Gruppen von höchstens fünf Kindern zusammen sind.
Kinderkrankengeld
Der Anspruch auf Kinderkrankengeld steigt noch einmal von 20 Tagen pro Elternteil und Kind auf 30 Tage, für Alleinerziehende auf 60 Tage. Eltern können die Tage nutzen, wenn sie sich für die Kinder von der Arbeit freistellen lassen müssen, weil diese nicht in der Kita oder Schule betreut werden.