Europa verschärft seine Klimaziele
Einigung auf 55 Prozent Co2-einsparung bis 2030 - Schulze: Kohleausstieg früher
Berlin. Es ist ein „grünes“Schaulaufen der Großen und Mächtigen – per Videokonferenz. Us-präsident Joe Biden hat für diesen Donnerstag und Freitag 40 Staats- und Regierungschefs zum virtuellen Welt-klimagipfel eingeladen. Auch Kanzlerin Angela Merkel ist dabei. Wer sind die größten Klimasünder – und wie wollen sie ihren Co2-ausstoß herunterfahren?
China: Derzeit wird in China ein knappes Drittel der weltweiten Co2-emissionen in die Luft geblasen und die Hälfte der abgebauten Kohle konsumiert. Im September 2020 hat Xi Jinping das bisher ambitionierteste umweltpolitische Versprechen gegeben: Bis 2060 werde die Volksrepublik Co2-neutralität erzielen, spätestens 2030 sei der absolute Höchststand an Emissionen erreicht. Bis heute ist Chinas Regierung aber einen konkreten Maßnahmenplan schuldig geblieben.
Im Januar und Februar ist der Kohleabbau im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gar um ein Viertel – rund 124 Millionen Tonnen – gestiegen.
Brüssel. Europa verstärkt seine globale Vorreiterrolle beim Klimaschutz: Die Europäische Union schraubt ihr Einsparziel für den Treibhausgasausstoß in Deutschland und den anderen Mitgliedsländern bis 2030 drastisch in die Höhe. Zugleich legt die EU verbindlich das Ziel fest, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen, wo nur so viel CO2 ausgestoßen werden darf, wie anderweitig kompensiert werden kann.
Auf ein entsprechendes europaweites Gesetz einigten sich in der Nacht zu Mittwoch Eu-parlament, Kommission und der Rat der Mitgliedstaaten – symbolträchtig einen Tag vor dem Klimagipfel des Uspräsidenten.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von einem „verbindlichen Versprechen an unsere Kinder und Enkelkinder“, Bundesumweltministerin Svenja Doch gleichzeitig hat Peking mehr in erneuerbare Energien investiert als die USA, Japan und die EU zusammen. Weltweit hat kein anderes Land einen größeren Markt für E-mobilität. Jede zweite Solarzelle wird in China installiert.
Die Staatsführung in Peking hat lange Zeit umweltpolitische Bedenken dem rasanten Wachstum untergeordnet. Doch es hat ein Umdenken unter den Parteikadern eingesetzt. Nicht zuletzt nutzt Peking das Umweltthema auch für die diplomatische „Soft Power“. In den letzten Jahren, als vor allem Menschenrechtsverbrechen den Ruf Chinas prägten, konnte sich Xi Jinping zunehmend als Vorkämpfer gegen den Klimawandel präsentieren.
USA: Die USA sind der zweitgrößte Verursacher von klimaschädlichen Kohlenstoffdioxidemissionen. Der Energie-mix (Stand: Frühjahr 2020) fächerte sich so auf: Öl 37 Prozent, Gas 32 Prozent, Erneuerbare zwölf Prozent, Kohle elf Prozent und Atom acht Prozent. Nach dem Intermezzo Donald Trump schiebt Nachfolger Joe Biden das Thema neu an. Bislang hatte Biden avisiert, dass die USA 2035 Energie ohne jeden Co2-ausstoß bereitstellen
Schulze (SPD) lobte einen „richtungsweisenden“Beschluss. Der Cdu-umweltpolitiker Peter Liese, der an den Verhandlungen beteiligt war, sagte: „Die Einigung ist historisch.“Bis zuletzt war vor allem das Einsparziel für 2030 umstritten. Nach 14 Stunden war klar, dass bis Ende des Jahrzehnts nun „mindestens“55 Prozent weniger CO2 ausgestoßen werden sollen als 1990 – bislang waren 40 Prozent Reduktion festgelegt worden. Zu tun ist viel: Nach letzten Daten sind erst 25 Prozent erreicht. Die Eu-kommission werden. 2050 soll das Land dann „dekarbonisiert“sein. Biden will Tempo machen: Nach dem Pariser Klimaschutzabkommen, dem die USA unter Biden wieder beigetreten sind, galt: Amerika verringert seine Emissionen bis 2025 um 26 bis 28 Prozent im Vergleich zu 2005. Biden wird nach Angaben aus Regierungskreisen an diesem Donnerstag das Ziel ausgeben, den Treibhausgasausstoß bis 2030 mindestens um 50 Prozent unter das Niveau von 2005 zu drücken.
In praktische Politik übersetzt bedeutet das eine massive Reduzierung der Emissionen durch Kohle, Öl und Gas und deutlich mehr erneuerbare Energien. Mit staatlicher Hilfe will Biden Offshore-windparks vor den Küsten massiv ausbauen. Insgesamt 200 Milliarden Dollar sollen in die Förderung von erneuerbaren Energien fließen und die Loslösung von fossilen Brennstoffen beschleunigen. Schwungrad für Bidens Klimaschutzpolitik soll das 2000 Milliarden Dollar umfassende Infrastrukturprogramm sein. Neben der energieschonenden Nachrüstung von Häusern und der Modernisierung von Stromnetzen und Verkehrsadern steht die Förderung der E-mobilität im Mittelpunkt. Für 500.000 zusätzliche Ladestationen für Elektroautos sollen
will im Sommer Vorschläge für die Umsetzung machen, etwa für neue Co2-grenzwerte für Autos oder mehr Energieeffizienz.
Umweltministerin Schulze sagte: „Für Deutschland bedeutet der Beschluss, dass auch wir unser Tempo beim Klimaschutz deutlich erhöhen werden.“Der Ausbau von Sonnenund Windkraft müsse beschleunigt werden. Und: „Der Kohleausstieg wird schneller kommen als bisher geplant.“Umweltverbände kritisierten die Einigung als unzureichend und mahnten, damit sei knapp 175 Milliarden Dollar bereitgestellt werden. E-auto-batterien sollen künftig im Land hergestellt werden.
Indien: Das bevölkerungsreiche Schwellenland hat zugesagt, seinen Co2-ausstoß bis 2030 um bis zu 35 Prozent im Vergleich zu 2005 zu verringern. Seinen Klimabeitrag muss der drittgrößte Umweltverschmutzer der Welt noch vorlegen.
Russland: Russland hat das Pariser Abkommen erst 2019 formell in Kraft gesetzt. Moskau kündigte an, 2030 rund 70 Prozent weniger Kohlendioxid auszustoßen als 1990. Berücksichtigt man die dabei verwendeten Rechentricks, beträgt der zugesagte Rückgang in Wirklichkeit nur 30 Prozent. Präsident Wladimir Putin kündigte an, Russland werde die Ziele der EU bei der Reduzierung der Treibhausgasemissionen in den kommenden 30 Jahren unterbieten.
Japan: Japan verpflichtete sich 2016 zu einer Co2-reduzierung um 26 Prozent bis 2030. das 1,5-Grad-ziel des Pariser Klimaschutzabkommens nicht zu schaffen; sie fordern, wie zuvor das Euparlament, eine Reduzierung um mindestens 60 Prozent. Zudem sei die 55-Prozent-marke ein „Nettoziel“: Gut zwei Prozentpunkte können durch sogenannte Senken – also etwa die Aufforstung von Wäldern – erreicht werden.
Für das Jahr 2040 will die EU aber ein weiteres verbindliches Zwischenziel festlegen; die Umsetzung der Ziele soll durch einen wissenschaftlichen Beirat überwacht werden. Die Union sieht die europäische Vereinbarung nun als „positive Nachricht“für den Klimagipfel der USA, wie Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans meinte. Umweltministerin Schulze mahnte: „Die EU hat mit einem starken Beschluss vorgelegt. Jetzt kommt es darauf an, dass auch die anderen großen Volkswirtschaften, allen voran die USA und China, ihre Klimaziele engagiert anheben.“
Der Klimabeitrag vom März 2020 nennt dasselbe Ziel und wurde deshalb von Wissenschaftlern scharf kritisiert. Der neue Regierungschef Yoshihide Suga hat aber versprochen, dass das Land bis 2050 Co2-neutral sein werde.
Deutschland: Es sind etwa zwei Prozent der Treibhausgasemissionen weltweit, die aus Deutschland kommen. Doch was wenig klingt, ist pro Einwohner und in absoluten Zahlen viel: In der EU ist Deutschland mit 739 Millionen Tonnen Treibhausgasen, die 2020 ausgestoßen wurden, der größte Klimasünder. Vor allem wegen der Kohleverstromung: Allein unter den zehn größten einzelnen Verschmutzern fanden sich 2019 sechs deutsche Kraftwerke.
Deutschlands Klimaziel für 2020 wurde durch Corona erreicht. Für 2030 strebt die Bundesregierung an, mindestens 55 Prozent Treibhausgase im Vergleich zu 1990 einzusparen. Mit dem neuen Eu-klimagesetz wird dieses Ziel ambitionierter werden müssen. In jedem Fall will die Bundesregierung bis 2050 bei null Emissionen angekommen sein. Entscheidend dafür ist der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien – doch gerade da hakt es im Moment gewaltig.