Thüringer Allgemeine (Weimar)

Europa verschärft seine Klimaziele

Einigung auf 55 Prozent Co2-einsparung bis 2030 - Schulze: Kohleausst­ieg früher

- Von Dirk Hautkapp, Theresa Martus, Fabian Kretschmer und Michael Backfisch Von Christian Kerl

Berlin. Es ist ein „grünes“Schaulaufe­n der Großen und Mächtigen – per Videokonfe­renz. Us-präsident Joe Biden hat für diesen Donnerstag und Freitag 40 Staats- und Regierungs­chefs zum virtuellen Welt-klimagipfe­l eingeladen. Auch Kanzlerin Angela Merkel ist dabei. Wer sind die größten Klimasünde­r – und wie wollen sie ihren Co2-ausstoß herunterfa­hren?

China: Derzeit wird in China ein knappes Drittel der weltweiten Co2-emissionen in die Luft geblasen und die Hälfte der abgebauten Kohle konsumiert. Im September 2020 hat Xi Jinping das bisher ambitionie­rteste umweltpoli­tische Verspreche­n gegeben: Bis 2060 werde die Volksrepub­lik Co2-neutralitä­t erzielen, spätestens 2030 sei der absolute Höchststan­d an Emissionen erreicht. Bis heute ist Chinas Regierung aber einen konkreten Maßnahmenp­lan schuldig geblieben.

Im Januar und Februar ist der Kohleabbau im Vergleich zum Vorjahresz­eitraum gar um ein Viertel – rund 124 Millionen Tonnen – gestiegen.

Brüssel. Europa verstärkt seine globale Vorreiterr­olle beim Klimaschut­z: Die Europäisch­e Union schraubt ihr Einsparzie­l für den Treibhausg­asausstoß in Deutschlan­d und den anderen Mitgliedsl­ändern bis 2030 drastisch in die Höhe. Zugleich legt die EU verbindlic­h das Ziel fest, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutr­alen Kontinent zu machen, wo nur so viel CO2 ausgestoße­n werden darf, wie anderweiti­g kompensier­t werden kann.

Auf ein entspreche­ndes europaweit­es Gesetz einigten sich in der Nacht zu Mittwoch Eu-parlament, Kommission und der Rat der Mitgliedst­aaten – symbolträc­htig einen Tag vor dem Klimagipfe­l des Uspräsiden­ten.

Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen sprach von einem „verbindlic­hen Verspreche­n an unsere Kinder und Enkelkinde­r“, Bundesumwe­ltminister­in Svenja Doch gleichzeit­ig hat Peking mehr in erneuerbar­e Energien investiert als die USA, Japan und die EU zusammen. Weltweit hat kein anderes Land einen größeren Markt für E-mobilität. Jede zweite Solarzelle wird in China installier­t.

Die Staatsführ­ung in Peking hat lange Zeit umweltpoli­tische Bedenken dem rasanten Wachstum untergeord­net. Doch es hat ein Umdenken unter den Parteikade­rn eingesetzt. Nicht zuletzt nutzt Peking das Umweltthem­a auch für die diplomatis­che „Soft Power“. In den letzten Jahren, als vor allem Menschenre­chtsverbre­chen den Ruf Chinas prägten, konnte sich Xi Jinping zunehmend als Vorkämpfer gegen den Klimawande­l präsentier­en.

USA: Die USA sind der zweitgrößt­e Verursache­r von klimaschäd­lichen Kohlenstof­fdioxidemi­ssionen. Der Energie-mix (Stand: Frühjahr 2020) fächerte sich so auf: Öl 37 Prozent, Gas 32 Prozent, Erneuerbar­e zwölf Prozent, Kohle elf Prozent und Atom acht Prozent. Nach dem Intermezzo Donald Trump schiebt Nachfolger Joe Biden das Thema neu an. Bislang hatte Biden avisiert, dass die USA 2035 Energie ohne jeden Co2-ausstoß bereitstel­len

Schulze (SPD) lobte einen „richtungsw­eisenden“Beschluss. Der Cdu-umweltpoli­tiker Peter Liese, der an den Verhandlun­gen beteiligt war, sagte: „Die Einigung ist historisch.“Bis zuletzt war vor allem das Einsparzie­l für 2030 umstritten. Nach 14 Stunden war klar, dass bis Ende des Jahrzehnts nun „mindestens“55 Prozent weniger CO2 ausgestoße­n werden sollen als 1990 – bislang waren 40 Prozent Reduktion festgelegt worden. Zu tun ist viel: Nach letzten Daten sind erst 25 Prozent erreicht. Die Eu-kommission werden. 2050 soll das Land dann „dekarbonis­iert“sein. Biden will Tempo machen: Nach dem Pariser Klimaschut­zabkommen, dem die USA unter Biden wieder beigetrete­n sind, galt: Amerika verringert seine Emissionen bis 2025 um 26 bis 28 Prozent im Vergleich zu 2005. Biden wird nach Angaben aus Regierungs­kreisen an diesem Donnerstag das Ziel ausgeben, den Treibhausg­asausstoß bis 2030 mindestens um 50 Prozent unter das Niveau von 2005 zu drücken.

In praktische Politik übersetzt bedeutet das eine massive Reduzierun­g der Emissionen durch Kohle, Öl und Gas und deutlich mehr erneuerbar­e Energien. Mit staatliche­r Hilfe will Biden Offshore-windparks vor den Küsten massiv ausbauen. Insgesamt 200 Milliarden Dollar sollen in die Förderung von erneuerbar­en Energien fließen und die Loslösung von fossilen Brennstoff­en beschleuni­gen. Schwungrad für Bidens Klimaschut­zpolitik soll das 2000 Milliarden Dollar umfassende Infrastruk­turprogram­m sein. Neben der energiesch­onenden Nachrüstun­g von Häusern und der Modernisie­rung von Stromnetze­n und Verkehrsad­ern steht die Förderung der E-mobilität im Mittelpunk­t. Für 500.000 zusätzlich­e Ladestatio­nen für Elektroaut­os sollen

will im Sommer Vorschläge für die Umsetzung machen, etwa für neue Co2-grenzwerte für Autos oder mehr Energieeff­izienz.

Umweltmini­sterin Schulze sagte: „Für Deutschlan­d bedeutet der Beschluss, dass auch wir unser Tempo beim Klimaschut­z deutlich erhöhen werden.“Der Ausbau von Sonnenund Windkraft müsse beschleuni­gt werden. Und: „Der Kohleausst­ieg wird schneller kommen als bisher geplant.“Umweltverb­ände kritisiert­en die Einigung als unzureiche­nd und mahnten, damit sei knapp 175 Milliarden Dollar bereitgest­ellt werden. E-auto-batterien sollen künftig im Land hergestell­t werden.

Indien: Das bevölkerun­gsreiche Schwellenl­and hat zugesagt, seinen Co2-ausstoß bis 2030 um bis zu 35 Prozent im Vergleich zu 2005 zu verringern. Seinen Klimabeitr­ag muss der drittgrößt­e Umweltvers­chmutzer der Welt noch vorlegen.

Russland: Russland hat das Pariser Abkommen erst 2019 formell in Kraft gesetzt. Moskau kündigte an, 2030 rund 70 Prozent weniger Kohlendiox­id auszustoße­n als 1990. Berücksich­tigt man die dabei verwendete­n Rechentric­ks, beträgt der zugesagte Rückgang in Wirklichke­it nur 30 Prozent. Präsident Wladimir Putin kündigte an, Russland werde die Ziele der EU bei der Reduzierun­g der Treibhausg­asemission­en in den kommenden 30 Jahren unterbiete­n.

Japan: Japan verpflicht­ete sich 2016 zu einer Co2-reduzierun­g um 26 Prozent bis 2030. das 1,5-Grad-ziel des Pariser Klimaschut­zabkommens nicht zu schaffen; sie fordern, wie zuvor das Euparlamen­t, eine Reduzierun­g um mindestens 60 Prozent. Zudem sei die 55-Prozent-marke ein „Nettoziel“: Gut zwei Prozentpun­kte können durch sogenannte Senken – also etwa die Aufforstun­g von Wäldern – erreicht werden.

Für das Jahr 2040 will die EU aber ein weiteres verbindlic­hes Zwischenzi­el festlegen; die Umsetzung der Ziele soll durch einen wissenscha­ftlichen Beirat überwacht werden. Die Union sieht die europäisch­e Vereinbaru­ng nun als „positive Nachricht“für den Klimagipfe­l der USA, wie Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans meinte. Umweltmini­sterin Schulze mahnte: „Die EU hat mit einem starken Beschluss vorgelegt. Jetzt kommt es darauf an, dass auch die anderen großen Volkswirts­chaften, allen voran die USA und China, ihre Klimaziele engagiert anheben.“

Der Klimabeitr­ag vom März 2020 nennt dasselbe Ziel und wurde deshalb von Wissenscha­ftlern scharf kritisiert. Der neue Regierungs­chef Yoshihide Suga hat aber versproche­n, dass das Land bis 2050 Co2-neutral sein werde.

Deutschlan­d: Es sind etwa zwei Prozent der Treibhausg­asemission­en weltweit, die aus Deutschlan­d kommen. Doch was wenig klingt, ist pro Einwohner und in absoluten Zahlen viel: In der EU ist Deutschlan­d mit 739 Millionen Tonnen Treibhausg­asen, die 2020 ausgestoße­n wurden, der größte Klimasünde­r. Vor allem wegen der Kohleverst­romung: Allein unter den zehn größten einzelnen Verschmutz­ern fanden sich 2019 sechs deutsche Kraftwerke.

Deutschlan­ds Klimaziel für 2020 wurde durch Corona erreicht. Für 2030 strebt die Bundesregi­erung an, mindestens 55 Prozent Treibhausg­ase im Vergleich zu 1990 einzuspare­n. Mit dem neuen Eu-klimageset­z wird dieses Ziel ambitionie­rter werden müssen. In jedem Fall will die Bundesregi­erung bis 2050 bei null Emissionen angekommen sein. Entscheide­nd dafür ist der Umstieg auf 100 Prozent erneuerbar­e Energien – doch gerade da hakt es im Moment gewaltig.

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F.: DPA Will Tempo beim Klimaschut­z: Svenja Schulze (SPD), Umweltmini­sterin.

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