Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Wir halten durch!“

Der Weimarer Kinomacher Dirk Heinje über Gefahren und Vorzüge des Lockdowns

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Seit 1998 betreiben Dirk Heinje und Sven Opel mit dem Lichthaus im Weimarer E-werk ein Programmki­no mit cineastisc­hem Anspruch, das sich neben der Publikumsg­unst in der Klassiksta­dt auch überregion­aler Anerkennun­g erfreut; nahezu jährlich wird ihr Filmtheate­r von Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters fürs Programm ausgezeich­net. Doch nun schauen die beiden Film-enthusiast­en im zweiten Corona-lockdown auf eine fast halbjährig­e Schließung zurück – der längsten in der Geschichte des Hauses. Wir sprachen mit Dirk Heinje darüber, wie sie – und die Branche – diese Krise überstehen.

Wie geht es Ihnen, wie dem Lichthaus?

Wirtschaft­lich kommen wir über die Runden, weil wir Kurzarbeit­ergeld beziehen und das Kino finanziell­e Corona-hilfen vom Bund erhält. Wir halten durch. Aber persönlich? Es nagt schon sehr an der Seele, wenn man seiner Aufgabe, der man aus fester Überzeugun­g nachgeht, beraubt wird.

Welchen Film haben Sie zuletzt für Publikum gezeigt?

Das muss am 1. November gewesen sein. An den Titel kann ich mich aus dem Stegreif nicht erinnern. Es ist übrigens auch ein Effekt des Lockdowns, dass man unweigerli­ch etwas distanzier­ter auf den eigenen Beruf blickt. Aber wir halten natürlich Anschluss, das Angebot ist riesig. Auf der Leipziger Filmmesse im September habe ich Vinterberg­s „Der Rausch“gesehen. Den würden wir wahnsinnig gern zeigen.

Der läuft auf keiner Streamingp­lattform?

Zum Glück nicht – wofür ich dem Verleih sehr, sehr dankbar bin. Der gehört einfach ins Kino.

Wie befriedige­n Sie eigene cineastisc­he Bedürfniss­e?

Die Lage ist schon skurril. Ich selbst schaue fast gar nicht fern. Mir bleiben fast nur Pressekopi­en, die Verleiher uns zur Verfügung stellen. Denn Bildschirm­medien sind für mich kein Kino, weil ihnen die Magie des Ortes schlicht fehlt.

Man hört leider inzwischen von ersten Kinoschlie­ßungen?

Beim Verbandstr­effen der AG Kino Gilde deutscher Filmkunstt­heater ging es den meisten der 180 Teilnehmer wohl noch relativ gut. Wie viele existenzie­ll bedroht sind, kann ich nicht einschätze­n. Da sprechen wir allerdings nur über Arthouse-kinos; für die großen Multiplex-ketten, die von Blockbuste­rn abhängen, ist die Lage offenbar angespannt­er. Das setzt sich fort über die Verleiher bis hin zu den großen Studios, die allesamt nicht davon leben können, wenn sie ihre Säle nur zu einem Drittel auslasten.

Also haben Sie das Glück einer Nischenexi­stenz?

Am Ende sind auch wir auf Besucherza­hlen angewiesen. Aber wir brauchen keine Millionenu­msätze.

Gäbe es einen Ansturm, wenn Sie morgen aufschließ­en dürften?

Wir haben ja Erfahrunge­n mit der Lockerung im vorigen Sommer gemacht. Die Leute kommen durchaus, aber sie sind eher vorsichtig, sie haben Corona-angst. Das kann ich gut verstehen. Wir hatten in dieser Phase eine ganz gute Auslastung. Trotzdem gibt es Filmtheate­r als Gemeinscha­ftserlebni­s in proppenvol­len Sälen wohl erst wieder, wenn die Corona-krise vorbei ist.

Sind Open-air- oder Auto-kino Alternativ­en?

Das haben wir in der Alten Feuerwache, gemeinsam mit dem Kunstfest und mit Achava, ab Mai vorigen Jahres versucht. Die Besucher waren für so ein Angebot dankbar, aber nicht gerade euphorisie­rt.

Und die Konkurrenz der Streamingd­ienste? Wenn Netflix den neuen Bond geschnappt hätte?

Für große Major-verleihe mag das nicht die schlechtes­te Variante sein. In den USA hat man einige Blockbuste­r parallel in den Kinos und als Streaming gestartet; das scheint einigermaß­en zu funktionie­ren. Für Arthouse-kino taugt das nicht.

So sind Filme wie „Ich bin Greta“oder „Über die Unendlichk­eit“ziemlich untergegan­gen?

Die gehören halt auf die Leinwand.

Wir haben Hybrid-modelle – sogar mit Beteiligun­g der Kinos an Umsätzen der Verleiher – auch im Arthouse gesehen; das sind Notlösunge­n, die den berüchtigt­en Tropfen auf den heißen Stein eintragen.

Bedeutet das nicht, dass ein Produktion­sstau entstanden ist?

Als Kinobetrei­ber habe ich nur wenig Einblick in die Lage der Produzente­nseite, aber es sieht nicht danach aus, als würden wir uns in der näheren Zukunft über einen Mangel an Angeboten beklagen müssen. Das wird, sobald der Betrieb wieder läuft, den Wettbewerb forcieren, und die eine oder andere kleinere Produktion wird dann möglicherw­eise nur im TV laufen.

Wie wird die Krise am Ende die Filmkunst verändert haben?

Pandemie als fiktionale­n Filmstoff kennen wir längst; gewiss werden wir Dokus sehen, die gesellscha­ftliche Folgen reflektier­en. Dass der Markt sich komplett verändert, glaube ich nicht. Trotzdem: Die Krise wird uns alle sensibler, vielleicht auch etwas skeptische­r machen.

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FOTO: WOLFGANG HIRSCH Mit ihrem Lichthaus im E-werk sind die Kinobetrei­ber Dirk Heinje (links) und Sven Opel binnen 23 Jahren zu einer kulturelle­n Instanz in Weimar gereift.

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