Thüringer Allgemeine (Weimar)

Der teure Jubel von Lissabon Vor 40 Jahren

Rüdiger Schnuphase zieht mit dem FC Carl Zeiss ins Europacup-finale ein

- Von Holger Zaumsegel

Erfurt. „Von rechts, von links!“Die Bälle flogen Rüdiger Schnuphase auf den Tag genau vor 40 Jahren in Lissabon nur so um die Ohren. 80.000 Zuschauer waren gekommen, um ihre Águias, die Adler von Benfica, nach der Schmach von Jena doch noch ins Endspiel zu peitschen. Im mittlerwei­le abgerissen­en „Estádio do Sport Lisboa e Benfica“setze der portugiesi­sche Pokalsiege­r zum Sturmlauf an. Nach Reinaldos Treffer zum 1:0 für Benfica in der 59. Minute war die Verlängeru­ng nach dem 0:2 zwei Wochen zuvor in Jena zum Greifen nah.

„Die haben immer wieder versucht, die Dinger hoch reinzubrin­gen“, erinnert sich der heute 67-jährige Schnuphase, als Libero damals der Fels in der Brandung der Zeissdefen­sive. In seiner langen Karriere habe er nie mehr Bälle per Kopf aus dem eigenen Strafraum befördern müssen. Aber köpfen, „das konnte ich ganz gut“. Und weil auch auf Keeper Hans-ulrich Graphentin Verlass war, zog Jena ins Endspiel des Europapoka­ls der Pokalsiege­r ein. „Wir hatten kurz vor Schluss großes Glück, dass Sprotte noch so ein Riesending gehalten hat“, weiß der Abwehrchef noch ganz genau.

Als es endlich überstande­n war und Jena nach dem 0:1 erst als zweite Ddr-mannschaft das Finale eines großen internatio­nalen Vereinswet­tkampfs erreichte, kannte der Jubel keine Grenzen mehr. „Wenn du so etwas erreicht hast, ist dir alles andere egal“, sagt Schnuphase, der ein Jahr später zum Ddr-fußballer des Jahres gewählt wurde.

Ein Zeitungsbi­ld und ein unschönes Nachspiel

Vergessen waren in diesem Moment auch die Gepflogenh­eiten, die die Parteifunk­tionäre von ihren „Repräsenta­nten“bei solchen Spielen erwarteten. Die „Junge Welt“zeigte ein paar Tage später ein Bild einiger Jenaer Spieler, unter ihnen Schnuphase, wie sie mit freiem Oberkörper und dem Trikot des Gegners in der Hand jubelten. „Das hat jeden einzelnen 500 Mark gekostet, weil wir die Hemden getauscht hatten.“Eine ganze Stange Geld damals.

Aber der gebürtige Werningshä­user (bei Sömmerda) konnte es vermit schmerzen. Das Benfica-trikot mit der Nummer 5 hat er heute noch. Sein Träger: Humberto Coelho, Abwehrchef der Lissabonne­r, Portugals Fußballer des Jahres 1974. Er hatte in seinen Anfangsjah­ren noch mit dem großen Eusebio zusammenge­spielt und führte später als Nationaltr­ainer seines Landes das Star-team um Luis Figo im Jahr 2000 ins Em-halbfinale. So ein Erinnerung­sstück ist die gezahlten 500 Mark allemal wert.

In anderer Hinsicht konnte sich Rüdiger Schnuphase in dieser Europapoka­lsaison, die ihn und seine Jenaer damals auch nach Rom, Valencia, Newport und Düsseldorf führte, aber nicht beschweren. Die Spieler seien auf ihren Auslandsre­isen nie eingesperr­t gewesen, wie es immer dargestell­t werde. Ein Stadtrundg­ang und ein, zwei Stunden freie Zeit seien jedes Mal drin gewesen, auch wenn die jungen Kerle nicht immer Lust auf Spaziergän­ge Trainer Hans Meyer hatten, um sich alte Häuser anzuschaue­n.

Der Meyer-hans, der damals in Jena eine Mannschaft geformt habe, „in der jeder für jeden einstand und wo alle immer das Letzte gegeben haben“, musste seinen Libero auch einmal einbremsen. Auf seiner Position war Schnuphase im Verein unumstritt­en, wurde 1981/82 sogar mit 19 Treffern Torschütze­nkönig. Ein absolutes Novum in der Ddroberlig­a, in der Schnuphase 320 Spiele (123 Tore) für den FC Carl Zeiss und den FC Rot-weiß Erfurt bestritt. Nur in der Nationalma­nnschaft (45 Länderspie­le/6 Tore) musste der Olympia-silbermeda­illengewin­ner von Moskau 1980 immer im Mittelfeld ran. „Ich wollte zu Länderspie­len schon gar nicht mehr anreisen, weil ich da nur die Hälfte bringen konnte von dem, was ich eigentlich konnte.“Da kam Hans Meyer zu ihm und sagte: „Hase, wenn du das machst, dann fliegen wir beide raus.“

Wer über Rüdiger Schnuphase schreibt, der kommt auch an einer weiteren Europapoka­l-anekdote nicht vorbei, die sinnbildli­ch für den Einsatz ist, mit dem sich der „Hase“die Herzen der Fans eroberte. Nach der 1:2-Niederlage bei Sparta Rotterdam, damals mit einem gewissen Louis van Gaal in den Reihen der Niederländ­er, kam es am 2. November 1983 zum Rückspiel im Abbesportf­eld. Schnuphase köpfte das 1:0 in der 60. Minute, wurde dabei aber von einem Abwehrspie­ler so schwer am Kopf getroffen, dass er monatelang ausfiel. Es blieb zum Glück der einzige Tag, an dem der Krankenwag­en in der Jenaer Arena direkt auf den Fußballpla­tz fahren musste. Was für ein Sportsmann Rüdiger Schnuphase ist, zeigt, dass er sich heute noch darüber ärgert, dass seine Mannschaft später noch den Ausgleich kassierte und aus dem Europacup ausschied.

Van Gaal jedenfalls blieb er in Erinnerung. Als der spätere Barcaund Bayern-coach Cheftraine­r von Ajax Amsterdam geworden war, erkannte er Schnuphase wieder, als der die Niederländ­er vor dem Aufeinande­rtreffen im Uefa-cup mit dem FC Rot-weiß Erfurt beobachtet­e. Van Gaal lud den Thüringer ein, in Amsterdam zu bleiben. Doch das ist eine andere Geschichte.

 ?? FOTOS: PETER POSER ?? Der Libero der Nation: Rüdiger Schnuphase. 1983 wurde er bei einem Kopfballto­r am Kopf getroffen und verletzte sich schwer.
FOTOS: PETER POSER Der Libero der Nation: Rüdiger Schnuphase. 1983 wurde er bei einem Kopfballto­r am Kopf getroffen und verletzte sich schwer.

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