„Unsere Demokratie wird attackiert“
Us-generalkonsul Toko über Extremismus, das Potenzial Mitteldeutschlands, Russland und Thüringer Bratwurst
Weimar. Kenichiro (Ken) Toko ist seit August 2020 Us-generalkonsul für Sachsen, Sachsen-anhalt und Thüringen in Leipzig. Vor seinem Eintritt in das Us-außenministerium 2003 war der 47-Jährige für Sony in Tokio tätig. Toko spricht Englisch, Japanisch, Chinesisch (Mandarin), Deutsch und hat außerdem Ukrainisch gelernt. In Leipzig lebt er mit seiner Ehefrau sowie seinen drei Söhnen und seiner Tochter.
Sie haben nach Tokio in Taiwan, Shanghai, Kiew und zuletzt Washington gearbeitet. Wie hat es Sie nach Mitteldeutschland verschlagen?
Leipzig war meine erste Wahl. Ich wollte hierhin. Bevor ich nach Deutschland kam, war ich stellvertretender Direktor für Deutschland im Büro für westeuropäische Angelegenheiten des Us-außenministeriums in Washington. Deutschland war mir also vertraut. Jedes Jahr kann man sich als Diplomat auf einer Liste eintragen, auf der stehen freiwerdende Stellen auf der ganzen Welt. Ich habe mich für Leipzig beworben und bin glücklich, dass es geklappt hat.
Deutsche wissen mehr über die USA als Amerikaner über Deutschland. Und Mitteldeutschland dürfte noch unbekannter sein, oder?
Da haben Sie völlig recht. Ich muss zugeben, dass ich auch nicht allzu viel über diesen Teil der Bundesrepublik wusste, bevor ich hierherkam. Deshalb besteht mein Job hier auch aus zwei Aufgaben. Zum einen geht es darum, den Deutschen dabei zu helfen, die USA besser zu verstehen und den hohen Stellenwert der deutsch-amerikanischen Verhältnisse aufzuzeigen. Zum anderen geht es darum, dass Amerikaner Mitteldeutschland besser kennenlernen und verstehen.
Es gibt das Vorurteil, Amerikaner kennen vor allem Schloss Neuschwanstein und vielleicht noch Berlin.
Da ist was dran. Sie kennen Berlin als Bundeshauptstadt und München wegen des Oktoberfests. Und sie wissen etwas über Thüringen.
Lassen Sie uns raten: Goethe und Schiller?
Die vielleicht auch. Aber ich meinte etwas anderes. Sie kennen und mögen Bratwurst.
Sie auch?
Aber sicher.
Mit Senf oder Ketchup?
(Lacht) Ich weiß, dass das eine Fangfrage ist. Natürlich nur mit Senf. In Jena habe ich mit Vergnügen beim Tag der deutsch-amerikanischen Freundschaft mit Oberbürgermeister Thomas Nitzsche am Rost gestanden und Bratwürste gegrillt.
Welchen Stellenwert hat Mitteldeutschland für eine Weltmacht wie die USA?
Unsere Handelsbeziehungen mit westlichen Bundesländern wie Bayern oder Nordrhein-westfalen konnten sich aus historischen Gründen viel länger entwickeln. Dort gibt es auch viel mehr Us-amerikanische Unternehmen. Aber Mitteldeutschland hat ein großes Potenzial. Ich möchte meinen Beitrag leisten, um amerikanischen
Unternehmen die Möglichkeiten näher zu bringen, die ihnen Mitteldeutschland bietet.
Haben Sie schon mit Elon Musk wegen einer Giga-fabrik in Thüringen gesprochen?
(Lacht) Nein. Noch nicht. Aber wenn es Us-firmen gibt, die Interesse an dieser Region haben, spreche ich immer gerne mit ihnen. Genauso gerne mit deutschen Unternehmen, die es in die USA zieht.
Und wie ist es um die amerikanisch-thüringischen Wirtschaftsbeziehungen bestellt?
Sehr gut, würde ich sagen. Das zeigt ein Blick in die Statistik. Allein in diesem Jahr exportierten fast 500 Thüringer Unternehmen Waren im Wert von 1,2 Milliarden Euro in die USA. Erst dahinter folgten Frankreich mit 957 Millionen Euro und China mit 882 Millionen Euro. Usunternehmen
halten zudem immer noch die Position der größten ausländischen Direktinvestoren in Thüringen. Seit der Wiedervereinigung haben sie 2,2 Milliarden Euro investiert und 11.000 Arbeitsplätze geschaffen. Diese Zahlen stammen übrigens nicht von mir, sondern von der Landesentwicklungsgesellschaft in Thüringen.
Wie sieht es mit neuen Investitionen und Firmenansiedlungen aus?
Es gibt immer mehr Raum für Wachstum, aber ich denke, dass Usunternehmen Vorteile in Thüringen sehen. Es gibt bereits 70 Usunternehmen im Freistaat, und ich war kürzlich bei der Eröffnung eines Us-hightech-unternehmens in Ilmenau. Und Amazon hat angekündigt, seine Belegschaft in Gera auf 2000 zu verdoppeln. Ich sehe auch viele Thüringer Unternehmen, die an Geschäften mit den
USA interessiert sind, und wir sind hier, um das zu fördern.
Im Osten Deutschlands haben die Menschen ein besonderes Verhältnis zu Russland.
Ich habe davon gehört, bevor ich nach Deutschland gekommen bin. Aber als ich hier war, ist es mir besonders bewusst geworden. In den Leserbriefen, die hier in Zeitungen veröffentlicht werden, spiegelt sich dieses spezielle Verhältnis wider. 99 Prozent dieser Briefe sind pro Russland und in der Regel sehr kritisch der Us-politik gegenüber.
Das irritiert Sie?
Nein. Ich kann das vor dem historischen Hintergrund verstehen. Aber ich plädiere für offene Diskussionen. Wenn die USA für politische Entscheidungen kritisiert werden, warum nicht? Das gehört zu einer Demokratie dazu. Es sollte nur nicht einseitig sein. Ich appelliere an alle Beteiligten: Stellt Fragen und versucht Zusammenhänge zu verstehen. Wenn ich mit jungen Menschen rede, bemerke ich aber eine Veränderung in der Haltung zu den USA. Sie erscheint mir sehr viel differenzierter. Die Berichterstattung in den Medien ist meiner Ansicht nach bereits jetzt sehr ausgewogen.
Sie haben noch jede Menge zu tun.
In der Tat. Aber noch einmal. Ich möchte, dass die Menschen die USA besser verstehen. Ich bin nicht hier, um nur über das Gute zu sprechen. Es gibt viele Probleme in den USA.
Welche meinen Sie?
Wir dürfen beispielsweise Demokratie nicht als selbstverständlich hinnehmen. Sie kann fragil sein. Wir müssen sie jeden Tag verteidigen. Wir haben Probleme wie Extremismus, Rassismus und Diskriminierung. Unsere Demokratie wird von verschiedenen Kräften attackiert. Das gilt auch für Deutschland.
Spielen Sie damit auf die AFD an?
Ich werde mich als Us-diplomat nicht in ihre Innenpolitik einmischen und über eine bestimmte politische Partei sprechen. Aber dass Deutschland ein Problem mit Rechtsextremismus hat, wird auch in Washington wahrgenommen. Diese Strömungen stellen sich gegen die Freiheit des Individuums und Menschenrechte. Das sind demokratische Werte, die wir verteidigen müssen und die Deutschland und die USA aufs Engste verbinden.