Die Ampel enttäuscht die Rentner
Doch kein Rekordplus bei Altersbezügen im nächsten Jahr – Lob vom Cdu-wirtschaftsrat, Kritik von Sozialverbänden
Berlin . Die rund 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner in Deutschland wurden kalt erwischt. Die Ampelparteien SPD, Grüne und FDP haben in ihrem gemeinsamen Koalitionsvertrag einige knappe Sätze formuliert, die aber erhebliche finanzielle Auswirkungen auf die Ruheständler haben werden. Es geht um die Rentenerhöhung im nächsten Jahr und in der weiteren Zukunft.
Die designierten Regierungspartner wollen bei der Rentenberechnung an einem entscheidenden Punkt die Weichen neu stellen. Es geht um die Wiedereinführung des sogenannten Nachholfaktors in der Rentenformel. Dieser war 2018 von der großen Koalition ausgesetzt worden und soll nun bereits bei der nächsten Rentenanpassung Mitte 2022 wieder greifen. Die Folge: Das groß angekündigte Rekordplus bei den Bezügen wird im nächsten Juli wohl erheblich geringer ausfallen. Auch in den Jahren danach dürften sich die Steigerungen deutlich bescheidener ausnehmen. Dabei waren die Aussichten bis vor Kurzem noch ganz andere.
Erst Anfang November hatte die Deutsche Rentenversicherung für Mitte des kommenden Jahres ein Plus um 5,2 Prozent in Westdeutschland vorhergesagt. Es wäre dort der größte Zuwachs sei 40 Jahren gewesen. Im Osten wäre es ein Anstieg um 5,9 Prozent gewesen und damit vergleichbar mit der Erhöhung im Jahr 2016. Nach einer coronabedingten Renten-nullrunde in diesem Jahr im Westen beziehungsweise einer Mini-erhöhung von 0,72 Prozent im Osten dürften viele Ruheständler mit freudiger Erwartung ins nächste Jahr geblickt haben.
Doch die Ampel macht vielen Seniorinnen und Senioren einen Strich durch die Rechnung. In ihrem Koalitionsvertrag haben SPD, Grüne und FDP festgeschrieben: „Wir werden den sogenannten Nachholfaktor in der Rentenberechnung rechtzeitig vor den Rentenanpassungen
ab 2022 wieder aktivieren.“Ziel sei es sicherzustellen, dass sich Renten und Löhne im Zuge der Corona-krise insgesamt im Gleichklang entwickelten.
Der Faktor ist von großer Bedeutung bei der Ermittlung von Rentenanpassungen. Das Ausmaß der Erhöhungen ergibt sich aus der Lohnentwicklung im Vorjahr. Steigen die Löhne, steigen auch die Renten. Den umgekehrten Weg hat die Politik im Jahr 2008 jedoch mit der sogenannten Rentengarantie ausgeschlossen. Auch wenn die Löhne sinken wie etwa im Corona-jahr 2020, müssen die Ruheständler keine Kürzung ihrer Bezüge befürchten, sondern allenfalls eine Nullrunde. Zugleich führte die Politik 2008 gewissermaßen als Korrektiv den Nachholfaktor ein. Er sorgte bis zu seiner Aussetzung durch die schwarz-rote Koalition im Jahr 2018 dafür, dass eigentlich fällige Rentenkürzungen durch geringere Rentensteigerungen in den Folgejahren ausgeglichen wurden. Sobald also die Wirtschaft nach einer Krise wieder anspringt und die Löhne steigen – so die ursprüngliche Idee – sollten die Renten so lange geringer steigen, bis das rechnerische Krisen-minus bei den Bezügen ausgeglichen ist.
Bezogen auf die Konjunkturkrise in der Pandemie hätte dies bedeutet, dass die rückläufigen Löhne 2020 eigentlich zu einer Rentenkürzung 2021 hätten führen müssen. Wegen der Rentengarantie kam es im laufenden Jahr aber nur zu einer Nullrunde. Und wäre der Nachholfaktor bereits wiedereingeführt gewesen, wäre im kommenden Jahr kein Rekordplus bei den Renten zu erwarten gewesen, sondern nur eine verminderte Anhebung. Da die Ampelparteien den Nachholfaktor nun aber schnell wieder einführen wollen, dürfte es 2022 genau so kommen. Kein Rekordplus also.
Ein politisch interessantes Detail ist, dass der Nachholfaktor 2008 einst unter dem damaligen Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) eingeführt wurde. Die Aussetzung 2018 fand unter Bundesfinanzminister und Vize-kanzler Scholz statt, die Reaktivierung jetzt unter dem wohl zukünftigen Bundeskanzler Scholz.
Die Reaktionen auf das Vorhaben der Ampelparteien sind unterschiedlich. Der Präsident des Sozialverbands Deutschland, Adolf Bauer, forderte SPD, Grüne und FDP auf, von ihren Plänen abzulassen. „Der Nachholfaktor sollte dauerhaft gestrichen werden“, sagte Bauer unserer Redaktion. Es sei insbesondere in der Pandemie „das völlig falsche Signal“, den Faktor zu reaktivieren. Ähnlich argumentierte der Rentenpolitiker der Linken im Bundestag, Matthias Birkwald. Es wäre besser gewesen, den Nachholfaktor wie von der großen Koalition geplant „bis 2025 ausgesetzt zu lassen“. Er betonte: „Die Rentnerinnen und Rentner brauchen jeden Cent.“
Der Generalsekretär des Cduwirtschaftsrats, Wolfgang Steiger, lobte dagegen das Vorhaben im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Die von der Ampel beschlossene rasche Wiedereinführung des Nachholfaktors sei „geradezu zwingend“, sagte Steiger unserer Redaktion. Denn dadurch werde verhindert, dass sich die Renten günstiger entwickelten als die Erwerbslöhne. „Eine unfaire Benachteiligung der jungen Generation“werde dadurch vermieden und „eine zentrale rentenpolitische Forderung des Wirtschaftsrats erfüllt“, betonte Steiger.
„Der Nachholfaktor sollte dauerhaft gestrichen werden.“Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland