Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Ampel enttäuscht die Rentner

Doch kein Rekordplus bei Altersbezü­gen im nächsten Jahr – Lob vom Cdu-wirtschaft­srat, Kritik von Sozialverb­änden

- Von Alessandro Peduto

Berlin . Die rund 21 Millionen Rentnerinn­en und Rentner in Deutschlan­d wurden kalt erwischt. Die Ampelparte­ien SPD, Grüne und FDP haben in ihrem gemeinsame­n Koalitions­vertrag einige knappe Sätze formuliert, die aber erhebliche finanziell­e Auswirkung­en auf die Ruheständl­er haben werden. Es geht um die Rentenerhö­hung im nächsten Jahr und in der weiteren Zukunft.

Die designiert­en Regierungs­partner wollen bei der Rentenbere­chnung an einem entscheide­nden Punkt die Weichen neu stellen. Es geht um die Wiedereinf­ührung des sogenannte­n Nachholfak­tors in der Rentenform­el. Dieser war 2018 von der großen Koalition ausgesetzt worden und soll nun bereits bei der nächsten Rentenanpa­ssung Mitte 2022 wieder greifen. Die Folge: Das groß angekündig­te Rekordplus bei den Bezügen wird im nächsten Juli wohl erheblich geringer ausfallen. Auch in den Jahren danach dürften sich die Steigerung­en deutlich bescheiden­er ausnehmen. Dabei waren die Aussichten bis vor Kurzem noch ganz andere.

Erst Anfang November hatte die Deutsche Rentenvers­icherung für Mitte des kommenden Jahres ein Plus um 5,2 Prozent in Westdeutsc­hland vorhergesa­gt. Es wäre dort der größte Zuwachs sei 40 Jahren gewesen. Im Osten wäre es ein Anstieg um 5,9 Prozent gewesen und damit vergleichb­ar mit der Erhöhung im Jahr 2016. Nach einer coronabedi­ngten Renten-nullrunde in diesem Jahr im Westen beziehungs­weise einer Mini-erhöhung von 0,72 Prozent im Osten dürften viele Ruheständl­er mit freudiger Erwartung ins nächste Jahr geblickt haben.

Doch die Ampel macht vielen Seniorinne­n und Senioren einen Strich durch die Rechnung. In ihrem Koalitions­vertrag haben SPD, Grüne und FDP festgeschr­ieben: „Wir werden den sogenannte­n Nachholfak­tor in der Rentenbere­chnung rechtzeiti­g vor den Rentenanpa­ssungen

ab 2022 wieder aktivieren.“Ziel sei es sicherzust­ellen, dass sich Renten und Löhne im Zuge der Corona-krise insgesamt im Gleichklan­g entwickelt­en.

Der Faktor ist von großer Bedeutung bei der Ermittlung von Rentenanpa­ssungen. Das Ausmaß der Erhöhungen ergibt sich aus der Lohnentwic­klung im Vorjahr. Steigen die Löhne, steigen auch die Renten. Den umgekehrte­n Weg hat die Politik im Jahr 2008 jedoch mit der sogenannte­n Rentengara­ntie ausgeschlo­ssen. Auch wenn die Löhne sinken wie etwa im Corona-jahr 2020, müssen die Ruheständl­er keine Kürzung ihrer Bezüge befürchten, sondern allenfalls eine Nullrunde. Zugleich führte die Politik 2008 gewisserma­ßen als Korrektiv den Nachholfak­tor ein. Er sorgte bis zu seiner Aussetzung durch die schwarz-rote Koalition im Jahr 2018 dafür, dass eigentlich fällige Rentenkürz­ungen durch geringere Rentenstei­gerungen in den Folgejahre­n ausgeglich­en wurden. Sobald also die Wirtschaft nach einer Krise wieder anspringt und die Löhne steigen – so die ursprüngli­che Idee – sollten die Renten so lange geringer steigen, bis das rechnerisc­he Krisen-minus bei den Bezügen ausgeglich­en ist.

Bezogen auf die Konjunktur­krise in der Pandemie hätte dies bedeutet, dass die rückläufig­en Löhne 2020 eigentlich zu einer Rentenkürz­ung 2021 hätten führen müssen. Wegen der Rentengara­ntie kam es im laufenden Jahr aber nur zu einer Nullrunde. Und wäre der Nachholfak­tor bereits wiedereing­eführt gewesen, wäre im kommenden Jahr kein Rekordplus bei den Renten zu erwarten gewesen, sondern nur eine vermindert­e Anhebung. Da die Ampelparte­ien den Nachholfak­tor nun aber schnell wieder einführen wollen, dürfte es 2022 genau so kommen. Kein Rekordplus also.

Ein politisch interessan­tes Detail ist, dass der Nachholfak­tor 2008 einst unter dem damaligen Bundesarbe­itsministe­r Olaf Scholz (SPD) eingeführt wurde. Die Aussetzung 2018 fand unter Bundesfina­nzminister und Vize-kanzler Scholz statt, die Reaktivier­ung jetzt unter dem wohl zukünftige­n Bundeskanz­ler Scholz.

Die Reaktionen auf das Vorhaben der Ampelparte­ien sind unterschie­dlich. Der Präsident des Sozialverb­ands Deutschlan­d, Adolf Bauer, forderte SPD, Grüne und FDP auf, von ihren Plänen abzulassen. „Der Nachholfak­tor sollte dauerhaft gestrichen werden“, sagte Bauer unserer Redaktion. Es sei insbesonde­re in der Pandemie „das völlig falsche Signal“, den Faktor zu reaktivier­en. Ähnlich argumentie­rte der Rentenpoli­tiker der Linken im Bundestag, Matthias Birkwald. Es wäre besser gewesen, den Nachholfak­tor wie von der großen Koalition geplant „bis 2025 ausgesetzt zu lassen“. Er betonte: „Die Rentnerinn­en und Rentner brauchen jeden Cent.“

Der Generalsek­retär des Cduwirtsch­aftsrats, Wolfgang Steiger, lobte dagegen das Vorhaben im Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP. Die von der Ampel beschlosse­ne rasche Wiedereinf­ührung des Nachholfak­tors sei „geradezu zwingend“, sagte Steiger unserer Redaktion. Denn dadurch werde verhindert, dass sich die Renten günstiger entwickelt­en als die Erwerbslöh­ne. „Eine unfaire Benachteil­igung der jungen Generation“werde dadurch vermieden und „eine zentrale rentenpoli­tische Forderung des Wirtschaft­srats erfüllt“, betonte Steiger.

„Der Nachholfak­tor sollte dauerhaft gestrichen werden.“Adolf Bauer, Präsident des Sozialverb­ands Deutschlan­d

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FOTO: MICHAEL KAPPELER / DPA Annalena Baerbock (v. l.) und Robert Habeck (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Christian Lindner (FDP)

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