Wider die wütende Abrisswelle
Neues Buch zu Thüringens ländlichem Bauen, neue Anträge zu Immateriellem Kulturerbe
Hohenfelden. Über Burgen, Schlösser oder Villen ist viel geforscht und publiziert worden; sie gelten allgemein zumeist als erhaltenswert. Ohne das Dorf gäbe es dergleichen jedoch oft gar nicht, erinnert Jana Kämpfe auf dem Gelände des Freilichtmuseums Hohenfelden und beklagt: „Unsere ältesten Gebäude auf den Dörfern verschwinden sangund klanglos!“Neben ihr steht Museumschefin Franziska Zschäck und kolportiert die Befürchtung, „dass wir in den nächsten Jahren fünfzig Prozent der ländlichen Denkmäler verlieren“. Und Juliane Stückrad spricht von historischer Bausubstanz, „die im Moment durch eine dritte wütende Abrisswelle bedroht ist“. Doch fehle es einfach am Bewusstsein dafür.
Das soll sich mit „Balken, Bohlen, Wellerwände“ändern: dem ersten Standardwerk dazu, seit 1968 Oskar Schmolitzkys „Das Bauernhaus in Thüringen“erschien. Franziska Zschäck hat es mit dem Bauhistoriker Torsten Lieberenz herausgegeben, Franziska Zschäck hat es redaktionell betreut.
Es ist dies der erste Sonderband in den Schriften der vom Land finanzierten Volkskundlichen Beratungsund Dokumentationsstelle für Thüringen. Die war 1997 in Erfurt entstanden, 2020 aber nach Hohenfelden umgezogen. „Uns konnte nichts besseres passieren“, bilanziert Volkskundlerin Jana Kämpfe. Sie und Fachkollegin Juliane Stückrad betreuen die Stelle wissenschaftlich. Und Christiane Schmidtrose (CDU), Landrätin im Weimarer Land, hat zwar „nicht so genau verstanden, warum die Erfurter das nicht fortsetzen wollten. Aber uns war’s recht!“
Das aufwendig gestaltete Grundlagenbuch zum ländlichen Bauen in Thüringen liefere neueste Ergebnisse der Forschung, hieß es an diesem Freitag, als man es zusammen mit der Kulturstaatssekretärin Tina Beer (Linke) vorstellte. Im Katalogteil sind auch Bauaufmaße zu nachrecherchierten Objekten zu finden, – diese selbst sind hingegen bisweilen nicht mehr auffindbar, weil von der Bildfläche verschwunden.
Das Buch, zu dem derzeit eine begleitende Wanderausstellung vorbereitet wird, ist das derzeit sichtbarste Arbeitsergebnis der erneuerten Volkskundlichen Beratungsstelle. Ein weiteres wird es gewissermaßen bereits in der nächsten Woche geben: nachdem am 30. November die aktuelle Bewerbungsphase für das bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes endet.
„Ein bisschen wenig“: vier Thüringer Einträge im bundesweiten Verzeichnis Der entsprechenden Unesco-konvention von 2003 war Deutschland zehn Jahre später beigetreten. Inzwischen umfasst das Verzeichnis dazu insgesamt 120 Einträge, darunter vier aus Thüringen: Altenburgs Skatspiel, Eisenachs Sommergewinn und Lauschas Christbaumschmuck sowie die Palmsonntagsprozession Heiligenstadts.
Vier aus 120, das sei dann doch „ein bisschen wenig“für ein Kulturland Thüringen, findet Juliane Stückrad und hilft, Abhilfe zu schaffen. Seit April hat sie örtliche Kulturträger
des Brauchtums bei der Antragstellung beraten, die gerade für Ehrenamtler eine Herausforderung sei. Sie kündigt „eine bunte Reihe von Anträgen“an, von Themen wie Natur und Universum über Bräuche bis zu Handwerkstechniken.
Ins Verzeichnis aufgenommen zu werden, bedeute für Akteure vor allem öffentliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Wichtig ist dabei, dass es jeweils um ein lebendiges Erbe geht, das in die Zukunft geführt wird, nicht um ein musealisiertes. Ein Brauch sei stets im Wandel.
Das Wissen darum befinde sich häufig aber nicht auf dem Stand der aktuellen Volkskunde. Auch in diesem Sinne würden Bewerber daher beraten, motiviert und begleitet.
Heimatstube als soziokulturelles Zentrum im Ort und für den Ort Fachberatung bieten Stückrad und Kämpfe auch Thüringer Heimatstuben, von denen es hochgerechnet mindestens 600 geben soll. Stückrad spricht von einem dynamischen Feld mit Schließungen ebenso wie Neugründungen. Und die Heimatstube gebe es ohnehin nicht, sondern ganz unterschiedliche Ausprägungen ebenso wie Vereine und Trägerstrukturen dahinter.
Neben der Beratung bei Depots und Inventarisierung versucht man laut Kämpfe auch, den Konkurrenzkampf zwischen Profis und Laien zu entschärfen. „Eine Heimatstube muss kein Museum werden!“In der Regel habe sie vielmehr eine soziokulturelle Funktion: „im Ort und für den Ort.“Dazu soll 2022 eine Tagung in Hohenfelden stattfinden, ein Ratgeber ist zudem in Arbeit.