Ein Model rechnet ab
Emily Ratajkowski packt aus über Musikvideo-drehs, Milliardäre und Missbrauch
Berlin. Ein stummer Halb-nacktauftritt machte sie zum Star. „Blurred Lines“von Us-popsänger Robin Thicke war der Hit des Jahres 2013, und Emily Ratajkowski, damals 21, wurde für das Video engagiert. Ihr Job: lasziv in Reizwäsche den Sänger (im Anzug) antanzen. In einer Szene trägt sie nur einen hautfarbenen Tanga. In einer anderen kniet sie und lässt ein rotes Modellauto vom Po über ihr Rückgrat rollen. Bis jetzt wurde der Clip 771 Millionen Mal geklickt.
Doch sieht man ihn heute, wirkt er wie eine Fantasie aus dem Playboy-kanal in den 90er-jahren. Wenigstens tragen die Frauen keine Hasenohren. Als erste Kritik an dem sexistischen Musikvideo aufkam, sagte Ratajkowski noch: „Ich habe mich dafür entschieden, und es hat mir Spaß gemacht. Eine Frau sollte tun können, was sie tun will.“
Jetzt aber hat die inzwischen 30Jährige ein Buch geschrieben. In „My Body“schildert sie auch den Videodreh – und der war irgendwann gar nicht mehr so spaßig. „Plötzlich, aus dem Nichts, fühlte ich die Kühle der Hand eines Fremden, die von hinten an meine nackte Brust fasste. Instinktiv wich ich zurück, drehte mich um – und sah Robin Thicke. Vielleicht habe ich sogar gelächelt, beschämt und verzweifelt bemüht, die Situation herunterzuspielen. Ich versuchte, den Schock abzuschütteln. Niemand, wirklich niemand, sagte etwas. Schließlich arbeiteten wir alle für ihn.“
Robin Thicke (44) schweigt zu den Vorwürfen, die von der Regisseurin des Clips, Diane Martel, bestätigt wurden. „Blurred Lines“wird unabhängig davon heute von vielen Radiostationen nicht mehr gespielt. Proteste gegen das Lied gab es schon 2013. Textzeilen wie „Ich weiß, du willst es“oder „Du bist ein Tier, lass mich dich befreien“bedienten sich der Sprache eines Vergewaltigers, hieß es. Doch diese Kritik wurde anfangs überhört. Der Song erhielt zwei Grammy-nominierungen, Miley Cyrus sang ihn mit Thicke bei den MTV Awards. Bis zur #Metoo-bewegung sollten noch vier Jahre vergehen.
Auch Emily Ratajkowski startete durch. Mit 13 hatte sie zu modeln begonnen. Da sie mit 1,70 Metern zu klein war für die Laufstege der eleganten Modehäuser, wurde sie meist als „sexy Girl“besetzt. Nun aber wollten alle sie haben: Dolce & Gabbana, Versace, DKNY. Sie landete auf den Titelblättern von „Vogue“und „Sports Illustrated“. In dem Thriller „Gone Girl“spielte sie die Geliebte von Ben Affleck, in der Serie „Entourage“sich selbst. Sie verbrachte Zeit mit Kim Kardashian und Lena Dunham.
Heute sieht Ratajkowski diese Jahre skeptisch. „Ich wurde dafür belohnt, meine Sexualität vermarktet zu haben“, schreibt sie. Sie habe die Privilegien genossen – „aber gleichzeitig fühlte ich mich zum Objekt herabgestuft und reduziert auf meinen Ruf als sogenanntes Sexsymbol“. Sie sei eben eine „Schaufensterpuppe“gewesen. „Du hast keine Kontrolle. Wenn du mit deinem Körper nicht tun willst, was der Kunde will, macht es eben eine andere. Du bist nichts Besonderes.“
Ist es einem Model überhaupt möglich, etwas anderes als ein Objekt zu sein? „Ich wüsste nicht wie“, sagt Ratajkowski in einem „Times“-interview. „Man verwendet dein Aussehen.“
Fließende Grenze zur Prostitution
Oft ist die Grenze zur Prostitution unscharf. Vor ihrem Durchbruch vermittelt ein Promoter sie als Dekoration für Partys und Veranstaltungen. Einmal wird sie mit 14 anderen Models zum Coachella-festival geflogen. In einer Villa sollen sie eine Gruppe älterer reicher Männer unterhalten. Milliardär Jho Low zahlt ihr 25.000 Dollar, damit sie ihm in seiner Loge beim Superbowl Gesellschaft leistet. Eine berühmte Model-kollegin, heute verheiratet mit einem anderen Milliardär, signalisiert dem malaysischen Investor, dass sie bereit ist, aufs Ganze zu gehen.
Beim Lesen wird klar, dass hinter den scheinbar freien Entscheidungen der jungen, begehrten Frauen oft hierarchische oder ökonomische Zwänge und gesellschaftliche Erwartungen stecken.
Der Missbrauchskandal um den Geschäftsmann Jeffrey Epstein habe sie nicht verwundert, sagt Ratajkowski. „Ich wurde Zeugin von so vielen des Gleichen in allen Varianten.“Geändert habe sich eigentlich nicht viel. Kurz vor der Pandemie sah sie in einem Nachtclub einen Mann mit zehn Models. Ratajkowski schätzt, dass sie bestenfalls gerade volljährig waren.
Viele Mädchen hätten sich auf Reisen kein Essen leisten können – und seien dann Einladungen in Luxusrestaurants gefolgt. Ist das schon Missbrauch? Für Rata ist es zumindest eines: Manipulation.
„Du hast keine Kontrolle. Du bist nichts Besonderes.“
Emily Ratajkowski (30), Model