Thüringer Allgemeine (Weimar)

Ein Model rechnet ab

Emily Ratajkowsk­i packt aus über Musikvideo-drehs, Milliardär­e und Missbrauch

- Von Oliver Stöwing

Berlin. Ein stummer Halb-nacktauftr­itt machte sie zum Star. „Blurred Lines“von Us-popsänger Robin Thicke war der Hit des Jahres 2013, und Emily Ratajkowsk­i, damals 21, wurde für das Video engagiert. Ihr Job: lasziv in Reizwäsche den Sänger (im Anzug) antanzen. In einer Szene trägt sie nur einen hautfarben­en Tanga. In einer anderen kniet sie und lässt ein rotes Modellauto vom Po über ihr Rückgrat rollen. Bis jetzt wurde der Clip 771 Millionen Mal geklickt.

Doch sieht man ihn heute, wirkt er wie eine Fantasie aus dem Playboy-kanal in den 90er-jahren. Wenigstens tragen die Frauen keine Hasenohren. Als erste Kritik an dem sexistisch­en Musikvideo aufkam, sagte Ratajkowsk­i noch: „Ich habe mich dafür entschiede­n, und es hat mir Spaß gemacht. Eine Frau sollte tun können, was sie tun will.“

Jetzt aber hat die inzwischen 30Jährige ein Buch geschriebe­n. In „My Body“schildert sie auch den Videodreh – und der war irgendwann gar nicht mehr so spaßig. „Plötzlich, aus dem Nichts, fühlte ich die Kühle der Hand eines Fremden, die von hinten an meine nackte Brust fasste. Instinktiv wich ich zurück, drehte mich um – und sah Robin Thicke. Vielleicht habe ich sogar gelächelt, beschämt und verzweifel­t bemüht, die Situation herunterzu­spielen. Ich versuchte, den Schock abzuschütt­eln. Niemand, wirklich niemand, sagte etwas. Schließlic­h arbeiteten wir alle für ihn.“

Robin Thicke (44) schweigt zu den Vorwürfen, die von der Regisseuri­n des Clips, Diane Martel, bestätigt wurden. „Blurred Lines“wird unabhängig davon heute von vielen Radiostati­onen nicht mehr gespielt. Proteste gegen das Lied gab es schon 2013. Textzeilen wie „Ich weiß, du willst es“oder „Du bist ein Tier, lass mich dich befreien“bedienten sich der Sprache eines Vergewalti­gers, hieß es. Doch diese Kritik wurde anfangs überhört. Der Song erhielt zwei Grammy-nominierun­gen, Miley Cyrus sang ihn mit Thicke bei den MTV Awards. Bis zur #Metoo-bewegung sollten noch vier Jahre vergehen.

Auch Emily Ratajkowsk­i startete durch. Mit 13 hatte sie zu modeln begonnen. Da sie mit 1,70 Metern zu klein war für die Laufstege der eleganten Modehäuser, wurde sie meist als „sexy Girl“besetzt. Nun aber wollten alle sie haben: Dolce & Gabbana, Versace, DKNY. Sie landete auf den Titelblätt­ern von „Vogue“und „Sports Illustrate­d“. In dem Thriller „Gone Girl“spielte sie die Geliebte von Ben Affleck, in der Serie „Entourage“sich selbst. Sie verbrachte Zeit mit Kim Kardashian und Lena Dunham.

Heute sieht Ratajkowsk­i diese Jahre skeptisch. „Ich wurde dafür belohnt, meine Sexualität vermarktet zu haben“, schreibt sie. Sie habe die Privilegie­n genossen – „aber gleichzeit­ig fühlte ich mich zum Objekt herabgestu­ft und reduziert auf meinen Ruf als sogenannte­s Sexsymbol“. Sie sei eben eine „Schaufenst­erpuppe“gewesen. „Du hast keine Kontrolle. Wenn du mit deinem Körper nicht tun willst, was der Kunde will, macht es eben eine andere. Du bist nichts Besonderes.“

Ist es einem Model überhaupt möglich, etwas anderes als ein Objekt zu sein? „Ich wüsste nicht wie“, sagt Ratajkowsk­i in einem „Times“-interview. „Man verwendet dein Aussehen.“

Fließende Grenze zur Prostituti­on

Oft ist die Grenze zur Prostituti­on unscharf. Vor ihrem Durchbruch vermittelt ein Promoter sie als Dekoration für Partys und Veranstalt­ungen. Einmal wird sie mit 14 anderen Models zum Coachella-festival geflogen. In einer Villa sollen sie eine Gruppe älterer reicher Männer unterhalte­n. Milliardär Jho Low zahlt ihr 25.000 Dollar, damit sie ihm in seiner Loge beim Superbowl Gesellscha­ft leistet. Eine berühmte Model-kollegin, heute verheirate­t mit einem anderen Milliardär, signalisie­rt dem malaysisch­en Investor, dass sie bereit ist, aufs Ganze zu gehen.

Beim Lesen wird klar, dass hinter den scheinbar freien Entscheidu­ngen der jungen, begehrten Frauen oft hierarchis­che oder ökonomisch­e Zwänge und gesellscha­ftliche Erwartunge­n stecken.

Der Missbrauch­skandal um den Geschäftsm­ann Jeffrey Epstein habe sie nicht verwundert, sagt Ratajkowsk­i. „Ich wurde Zeugin von so vielen des Gleichen in allen Varianten.“Geändert habe sich eigentlich nicht viel. Kurz vor der Pandemie sah sie in einem Nachtclub einen Mann mit zehn Models. Ratajkowsk­i schätzt, dass sie bestenfall­s gerade volljährig waren.

Viele Mädchen hätten sich auf Reisen kein Essen leisten können – und seien dann Einladunge­n in Luxusresta­urants gefolgt. Ist das schon Missbrauch? Für Rata ist es zumindest eines: Manipulati­on.

„Du hast keine Kontrolle. Du bist nichts Besonderes.“

Emily Ratajkowsk­i (30), Model

 ?? FOTO: DIMITRIOS KAMBOURIS / GETTY IMAGES FOR MARC JACOBS ?? Die Amerikaner­in Emily Ratajkowsk­i gehört zu den bekanntest­en Topmodels der Welt.
FOTO: DIMITRIOS KAMBOURIS / GETTY IMAGES FOR MARC JACOBS Die Amerikaner­in Emily Ratajkowsk­i gehört zu den bekanntest­en Topmodels der Welt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany