Thüringer Allgemeine (Weimar)

Reisende bringen Omikron mit

Staaten reagieren mit Abschottun­g auf neue Corona-variante. Doch das Virus ist schneller

- Von Theresa Martus und Miguel Sanches

Berlin. Angélique Coetzee wundert sich über die Corona-patienten, die in den ersten Novemberta­gen ihre Praxis in Pretoria aufsuchen. Sie sind auffällig jung. Sie weisen ungewöhnli­che Symptome auf. Stutzig macht sie, worüber sie nicht klagen. Keiner hat den sonst typischen Geschmacks­oder Geruchsver­lust. Extreme Schmerzen und Müdigkeit verspüren zwar alle, aber keiner erkrankt schwer. Ein Verdacht beschleich­t die südafrikan­ische Ärztin: eine neue Variante? Am 18. November weiht Coetzee, die auch die Mediziner-vereinigun­g Sama vertritt, die Behörden ein. Eine Woche später wird der Verdacht zur Gewissheit, Südafrika schlägt Alarm. Es gibt eine neue Sars-cov-2-variante: B.1.1.529, von der Weltgesund­heitsorgan­isation (WHO) in Omikron umbenannt.

Obwohl Staaten weltweit Südafrika isolieren und Einreisend­en Quarantäne vorschreib­en, kommen die Maßnahmen zu spät. Das Virus ist längst da. Auch in Deutschlan­d. In Hessen wurde ein Fall bestätigt, in Bayern gibt es drei hochgradig­e Verdachtsf­älle, ebenfalls in Nordrheinw­estfalen. Angesichts der raschen Ausbreitun­g hat Großbritan­nien für Montag eine Dringlichk­eitssitzun­g der G7-gesundheit­sminister einberufen.

Wie gefährlich ist Omikron?

WHO hat Omikron als „variants of concern“eingestuft: als „besorgnise­rregend“. Nach Alpha, Beta, Gamma und Delta-variante. Den Spdfachpol­itiker Karl Lauterbach alarmiert, dass sie „fast alle Mutationen von Alpha bis Delta zusammen hat“. Allerdings muss erst untersucht werden, ob sie ansteckend­er ist und sich Impfungen entziehen kann. Coetzee gibt zu bedenken, dass sie es bisher mit jungen Leuten zu tun hatte. Sie sorge sich, dass die neue Variante ältere Menschen härter treffen könnte, sagte die Ärztin der Zeitung „Telegraph“.

Hilft die Politik der Abschottun­g? Die Bundesregi­erung hat Südafrika, Botsuana, Eswatini, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Simbabwe und Südafrika zu Virusvaria­ntengebiet­en erklärt, aber nicht Angola und Sambia. Die Frage ist, wo man die Grenze zieht und wie groß das Risiko ist, dass die Mutante über Drittstaat­en eingeschle­ppt wird. Wie so oft in der Pandemie hat Israel den radikalere­n Weg gewählt und seine Grenzen ganz geschlosse­n. Eine Beobachtun­g aus Amsterdam lässt befürchten, dass es schon zu spät ist. Bei 600 Passagiere­n von zwei Flügen aus Südafrika waren 61 Menschen infiziert, 13 von ihnen mit Omikron.

Was droht Europa und Deutschlan­d? Die Us-datenbank Worldomete­r ist ein Fieberther­mometer der Pandemie. Bei der Zahl der neuen Fälle listete sie Deutschlan­d am Sonnabend weltweit auf Platz eins, gefolgt von Großbritan­nien, Frankreich, Russland und Polen. Europa ist der Hotspot schlechthi­n. Die höchsten Sieben-tage-anstiege wiesen am Wochenende Frankreich (61 Prozent), Monaco (138 Prozent), Andorra (134 Prozent), Spanien (27 Prozent) und Portugal (45 Prozent) auf. Sollte sich Omikron als ansteckend­er erweisen und in Europa verbreiten, würde sich die Infektions­lage verschärfe­n. Booster-vorreiter Israel befürchtet bereits eine fünfte Welle.

Wie groß ist der Handlungsd­ruck? „Wir haben viel Zeit verloren“, twitterte Spd-gesundheit­sexperte Lauterbach am Sonntag. „Schuldzuwe­isungen sind out.“Alles werde geprüft. Die Akademie der Wissenscha­ften rief zu Kontaktred­uzierungen auf und empfahl die stufenweis­e Einführung einer Impfpflich­t.

Ist die Ampel gefordert?

Aus der Union kommt die Forderung

nach schärferen Maßnahmen und die Bitte, die Ampel-parteien mögen einen Gesundheit­sminister benennen, mit dem man in der Übergangsp­hase bis zur Übernahme der Amtsgeschä­fte das Krisenmana­gement regelt. Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) schlug Lauterbach vor. Doch der Kanzler in spe, Olaf Scholz (SPD), hält sich bedeckt. Er beteuerte in allgemeine­r Form, es gebe derzeit eine enge Zusammenar­beit der künftigen und der jetzigen Regierung. Es gebe nichts, was nicht in Betracht gezogen werde. Für den Grünen-gesundheit­sexperten Janosch Dahmen ist es „offensicht­lich, dass die Infektions­dynamik ungebremst dazu führt, dass die Belastung im Gesundheit­swesen und die Zahl der erkrankten und sterbenden Menschen viel zu schnell zunimmt“. Er sagte unserer Redaktion, es sei ihm unverständ­lich, „wieso eineinhalb Wochen nach dem Beschluss des Bundestags nicht flächendec­kend 2G plus für Veranstalt­ungen gilt und in den am heftigsten betroffene­n Regionen keine Regelungen zur Kontaktbes­chränkung erlassen werden“. Man werde darüber hinausgehe­nde Maßnahmen brauchen. „Bund und Länder müssen darüber sprechen, wie wir sicherstel­len, dass die notwendige­n Maßnahmen jetzt auch eingeführt und kontrollie­rt werden.“Vor allem müssten sie klären, wie die Krankenhäu­ser reagieren sollten. „Wir müssen jetzt überall umstellen auf Notbetrieb.“

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F.: DPA Blick in den Innenraum des Fluges KLM 598 von Kapstadt nach Amsterdam. An Bord der Maschine waren mehrere mit Omikron infizierte Reisende.
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FOTO:IMAGO Amsterdam: Krankenwag­en bringen positiv getestete Passagiere aus Südafrika zur Quarantäne in ein vorbereite­tes Hotel.

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