Reisende bringen Omikron mit
Staaten reagieren mit Abschottung auf neue Corona-variante. Doch das Virus ist schneller
Berlin. Angélique Coetzee wundert sich über die Corona-patienten, die in den ersten Novembertagen ihre Praxis in Pretoria aufsuchen. Sie sind auffällig jung. Sie weisen ungewöhnliche Symptome auf. Stutzig macht sie, worüber sie nicht klagen. Keiner hat den sonst typischen Geschmacksoder Geruchsverlust. Extreme Schmerzen und Müdigkeit verspüren zwar alle, aber keiner erkrankt schwer. Ein Verdacht beschleicht die südafrikanische Ärztin: eine neue Variante? Am 18. November weiht Coetzee, die auch die Mediziner-vereinigung Sama vertritt, die Behörden ein. Eine Woche später wird der Verdacht zur Gewissheit, Südafrika schlägt Alarm. Es gibt eine neue Sars-cov-2-variante: B.1.1.529, von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Omikron umbenannt.
Obwohl Staaten weltweit Südafrika isolieren und Einreisenden Quarantäne vorschreiben, kommen die Maßnahmen zu spät. Das Virus ist längst da. Auch in Deutschland. In Hessen wurde ein Fall bestätigt, in Bayern gibt es drei hochgradige Verdachtsfälle, ebenfalls in Nordrheinwestfalen. Angesichts der raschen Ausbreitung hat Großbritannien für Montag eine Dringlichkeitssitzung der G7-gesundheitsminister einberufen.
Wie gefährlich ist Omikron?
WHO hat Omikron als „variants of concern“eingestuft: als „besorgniserregend“. Nach Alpha, Beta, Gamma und Delta-variante. Den Spdfachpolitiker Karl Lauterbach alarmiert, dass sie „fast alle Mutationen von Alpha bis Delta zusammen hat“. Allerdings muss erst untersucht werden, ob sie ansteckender ist und sich Impfungen entziehen kann. Coetzee gibt zu bedenken, dass sie es bisher mit jungen Leuten zu tun hatte. Sie sorge sich, dass die neue Variante ältere Menschen härter treffen könnte, sagte die Ärztin der Zeitung „Telegraph“.
Hilft die Politik der Abschottung? Die Bundesregierung hat Südafrika, Botsuana, Eswatini, Lesotho, Malawi, Mosambik, Namibia, Simbabwe und Südafrika zu Virusvariantengebieten erklärt, aber nicht Angola und Sambia. Die Frage ist, wo man die Grenze zieht und wie groß das Risiko ist, dass die Mutante über Drittstaaten eingeschleppt wird. Wie so oft in der Pandemie hat Israel den radikaleren Weg gewählt und seine Grenzen ganz geschlossen. Eine Beobachtung aus Amsterdam lässt befürchten, dass es schon zu spät ist. Bei 600 Passagieren von zwei Flügen aus Südafrika waren 61 Menschen infiziert, 13 von ihnen mit Omikron.
Was droht Europa und Deutschland? Die Us-datenbank Worldometer ist ein Fieberthermometer der Pandemie. Bei der Zahl der neuen Fälle listete sie Deutschland am Sonnabend weltweit auf Platz eins, gefolgt von Großbritannien, Frankreich, Russland und Polen. Europa ist der Hotspot schlechthin. Die höchsten Sieben-tage-anstiege wiesen am Wochenende Frankreich (61 Prozent), Monaco (138 Prozent), Andorra (134 Prozent), Spanien (27 Prozent) und Portugal (45 Prozent) auf. Sollte sich Omikron als ansteckender erweisen und in Europa verbreiten, würde sich die Infektionslage verschärfen. Booster-vorreiter Israel befürchtet bereits eine fünfte Welle.
Wie groß ist der Handlungsdruck? „Wir haben viel Zeit verloren“, twitterte Spd-gesundheitsexperte Lauterbach am Sonntag. „Schuldzuweisungen sind out.“Alles werde geprüft. Die Akademie der Wissenschaften rief zu Kontaktreduzierungen auf und empfahl die stufenweise Einführung einer Impfpflicht.
Ist die Ampel gefordert?
Aus der Union kommt die Forderung
nach schärferen Maßnahmen und die Bitte, die Ampel-parteien mögen einen Gesundheitsminister benennen, mit dem man in der Übergangsphase bis zur Übernahme der Amtsgeschäfte das Krisenmanagement regelt. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) schlug Lauterbach vor. Doch der Kanzler in spe, Olaf Scholz (SPD), hält sich bedeckt. Er beteuerte in allgemeiner Form, es gebe derzeit eine enge Zusammenarbeit der künftigen und der jetzigen Regierung. Es gebe nichts, was nicht in Betracht gezogen werde. Für den Grünen-gesundheitsexperten Janosch Dahmen ist es „offensichtlich, dass die Infektionsdynamik ungebremst dazu führt, dass die Belastung im Gesundheitswesen und die Zahl der erkrankten und sterbenden Menschen viel zu schnell zunimmt“. Er sagte unserer Redaktion, es sei ihm unverständlich, „wieso eineinhalb Wochen nach dem Beschluss des Bundestags nicht flächendeckend 2G plus für Veranstaltungen gilt und in den am heftigsten betroffenen Regionen keine Regelungen zur Kontaktbeschränkung erlassen werden“. Man werde darüber hinausgehende Maßnahmen brauchen. „Bund und Länder müssen darüber sprechen, wie wir sicherstellen, dass die notwendigen Maßnahmen jetzt auch eingeführt und kontrolliert werden.“Vor allem müssten sie klären, wie die Krankenhäuser reagieren sollten. „Wir müssen jetzt überall umstellen auf Notbetrieb.“