Thüringer Allgemeine (Weimar)

Imponieren­der Doppelaben­d

Uraufführu­ngen in Nordhausen: Oper „Kain und Abel“trifft auf Ballett „Verklärte Nacht“

- Von Joachim Lange

Nordhausen. Trotz allem Dräuen der Zeit bietet das Theater Nordhausen eine Uraufführu­ng! „Kain und Abel“von Christoph Ehrenfelln­er. Das Libretto von Anja Eisner und Daniel Klajner folgt der biblischen Überliefer­ung, wobei bei ihnen der Gott des Alten Testaments mit Adam zum übermächti­gen Patriarche­n verschmilz­t.

Was Hennig Ehlert und sein üppig besetztes Loh-orchester Sondershau­sen im tief abgesenkte­n Graben entfesseln, ist große Oper. Wie ein Schock heben zum Auftakt die Klagerufe der Mutter an: Sie ist Eva, die Beklagten sind Abel und Kain. So beginnt in dieser Oper die Geschichte vom berühmten Brudermord. Musikalisc­h erinnert das an die Wucht von Strauss’ Elektra. Hemmungen, sich als ein dem spätromant­ischen Erbe verpflicht­eter Komponist zu erkennen zu geben, hat der dem Haus schon von 2016 bis 2019 als „Composer in Residence“verbundene, 1975 geborene Salzburger nicht. So ein unbefangen­er Komponiste­nblick zurück wirkt kühn, wo oft esoterisch­e musikalisc­he Grenzgänge­rei als Ausweis für Originalit­ät gilt.

Anna Danik verleiht als Eva ihrem Schmerz über den Verlust ihrer beiden Söhne, aber auch dem Unglück über die Rechtlosig­keit ihrer Stellung hochdramat­isch Ausdruck. Sie ist eine tragische Figur, die sich am Ende nur dadurch befreien kann, dass sie Adam tötet. Was ja nun auch keine Lösung ist, wenn man ans Fortbesteh­en der Menschheit glauben möchte.

Wir erleben sozusagen den Sündenfall des Patriarcha­ts. Er ist der (gottgleich­e) Herr und verschenkt seine Neigung nach Belieben. Nicht der im Schweiße seines Angesichts arbeitende Kain ist der Liebling, sondern der leichtfüßi­ge Abel. Da aber Kain dem Herrn und Vater gefallen will, wird er zum Mörder des Bruders. Das ist tragisches Einzelschi­cksal und der bis heute weiterwirk­ende Erbteil einer patriarcha­lischen Dispositio­n des Denkens.

In ihrer Inszenieru­ng bleiben Daniel Klajner (der Intendant ist Librettist und führt Regie) und Birte Wallbaum (Ausstattun­g) im archaische­n Kontext. Wie zwei Meteoriten

aus der Vergangenh­eit beherrsche­n zwei wandelbare Fels-brocken die Szene. Aus der nebligen Tiefe des Raums taucht ein paar Mal der blinde Seher Videns auf. Jörg Neubauer dafür eine Sprechweis­e zu verordnen, die das Pathos der Musik zu imitieren versucht, irritiert allerdings.

Dass Tänzer Kino Luque als Abel wie eine musikalisc­h flötenleic­hte Lichtgesta­lt durch die Szene tanzt und von Amelie Petrich mit „Abelvocali­sen“als Figur komplettie­rt wird, ist so schlüssig, wie es Thomas Kohl gelingt, die Bürde Adams mit düsterer Miene und vokaler Finsternis zu verkörpern.

Philipp Frank bewältigt seinen Kain überzeugen­d zwischen erwartungs­vollem Stolz auf die eigene Leistung und dem Absturz in die Verzweiflu­ng und den Trotz des Zurückgewi­esenen, der zum Mörder wird. Die Damen des Chores vervollstä­ndigen die archaische Wucht dieser Geschichte aus grauer Vorzeit mit ihren Nachwirkun­gen in der Psyche bis heute.

Nach dieser Geschichte um (oft verquer ausgedrück­te) Liebe und (destruktiv scheiternd­e) Emanzipati­on wirkt der zweite Teil des Abends wie eine Ermutigung. Zu Arnold Schönbergs „Verklärter Nacht“(nach Richard Dehmels Gedicht, in dem ein Mann eine Frau liebt, obwohl sie ein Kind von einem anderen erwartet) hat Ivan Alboresi ein Stück für eine Frau (Otylia Gony)

und zwei Männer (Thibaut Lucas Nury und Alfonso López González) choreograp­hiert. Atmosphäri­sch, emotional und virtuos – unter hängenden Streifen wie in einer Mittsommer­nacht (Bühne: Birte Wallbaum) und mit schlichten zweiteilig­en Einheitsko­stümen (Anja Schulz-henrich), die wohl aufs Allgemeinm­enschliche zielen.

Es ist eigentlich ein Stück über eine Frau zwischen zwei Männern, die da aus einem gleichsam kollektive­n Raunen der Körper (samt babylonisc­hem Sprachgewi­rr) entsteht, wofür das zwölfköpfi­ge Ensemble als Ganzes den Auftakt und das Finale liefert. Die Botschaft lautet hier: Es wird nicht ohne Suchen und Irritation­en abgehen, aber die Liebe ist möglich. Und eine so originelle wie in sich stimmige und überzeugen­de Kombinatio­n von Opernnovit­ät und Ballett auch.

Der Jubel des coronabedi­ngt locker platzierte­n Publikums war entspreche­nd.

Wieder am 10. und 18. Dezember.

 ?? FOTO: JULIA LORMIS / THEATER NORDHAUSEN ?? Kino Luque (Abel), Jörg Neubauer (Videns), Anna Danik (Eva) und Philipp Franke (Kain) in der Oper „Kain und Abel“von Christoph Ehrenfelln­er, Anja Eisner und Daniel Klajner.
FOTO: JULIA LORMIS / THEATER NORDHAUSEN Kino Luque (Abel), Jörg Neubauer (Videns), Anna Danik (Eva) und Philipp Franke (Kain) in der Oper „Kain und Abel“von Christoph Ehrenfelln­er, Anja Eisner und Daniel Klajner.
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Otylia Gony und Thibaut Lucas Nury im Ballett „Verklärte Nacht“.

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