Thüringer Allgemeine (Weimar)

Der schreibend­e Bauer

- Frank Quilitzsch freut sich über Post eines 91-Jährigen

Werther Herr…“Schon die Anrede rührt mich. In E-mails wird man ja meist nur noch mit einem unhöfliche­n, geschlecht­sneutralen „Hallo“abgespeist. Und das hier ist ein Brief, ein richtiger, handschrif­tlich verfasst auf türkisfarb­enem Papier.

Er wolle sich, schreibt Gerhard Weise, „auf das herzlichst­e für das Buch bedanken“. Ich habe ihm „Wilhelm, wie sieht der Wald wieder aus!“geschickt, in dem der 91-Jährige von seinem Leben als Land- und Forstwirt erzählt.„der Wald wächst nicht von heut auf morgen, wie Feldfrücht­e, er braucht Generation­en, auch mal ohne Gewinn“, gibt der alte Weise zu bedenken.

Bis zu seinem Herzinfark­t vor zweieinhal­b Jahren half er auf dem Vierseiten­hof und im Stall noch tüchtig mit. Jetzt macht er seine Kontrollgä­nge, täglich zwei Kilometer. Er hat ausgerechn­et, dass er dabei jedes Jahr die Strecke von Dreba bis zur Ostsee zurücklegt – mit dem Rollator!

Die meiste Zeit sitzt er aber im Büro und pflegt die Orts- und Familiench­ronik. Ebenfalls mit der Hand. Nazizeit, LPG-ZEIT, die Zeit seit der Wiedervere­inigung. 1990 haben die Weises ihre Wirtschaft wieder aufgebaut und Wald hinzugekau­ft. Der nun Sorgen bereitet. Denn Gerhard Weise hält es mit Goethe: „Was du ererbt hast von den Vätern…“– musst du weitergebe­n. Im Sommer 2020 ist der schreibend­e Bauer mit mir auf seinem Minitrakto­r durch die Plothener Teichlands­chaft geprescht, und ich sah die Schäden im Familienfo­rst. Jetzt lädt er mich wieder ein, um mir zu zeigen, „wie schnell sich doch die Natur erholt, wenn der Mensch nicht eingreift“.

Ich freu mich drauf.

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