Der schreibende Bauer
Werther Herr…“Schon die Anrede rührt mich. In E-mails wird man ja meist nur noch mit einem unhöflichen, geschlechtsneutralen „Hallo“abgespeist. Und das hier ist ein Brief, ein richtiger, handschriftlich verfasst auf türkisfarbenem Papier.
Er wolle sich, schreibt Gerhard Weise, „auf das herzlichste für das Buch bedanken“. Ich habe ihm „Wilhelm, wie sieht der Wald wieder aus!“geschickt, in dem der 91-Jährige von seinem Leben als Land- und Forstwirt erzählt.„der Wald wächst nicht von heut auf morgen, wie Feldfrüchte, er braucht Generationen, auch mal ohne Gewinn“, gibt der alte Weise zu bedenken.
Bis zu seinem Herzinfarkt vor zweieinhalb Jahren half er auf dem Vierseitenhof und im Stall noch tüchtig mit. Jetzt macht er seine Kontrollgänge, täglich zwei Kilometer. Er hat ausgerechnet, dass er dabei jedes Jahr die Strecke von Dreba bis zur Ostsee zurücklegt – mit dem Rollator!
Die meiste Zeit sitzt er aber im Büro und pflegt die Orts- und Familienchronik. Ebenfalls mit der Hand. Nazizeit, LPG-ZEIT, die Zeit seit der Wiedervereinigung. 1990 haben die Weises ihre Wirtschaft wieder aufgebaut und Wald hinzugekauft. Der nun Sorgen bereitet. Denn Gerhard Weise hält es mit Goethe: „Was du ererbt hast von den Vätern…“– musst du weitergeben. Im Sommer 2020 ist der schreibende Bauer mit mir auf seinem Minitraktor durch die Plothener Teichlandschaft geprescht, und ich sah die Schäden im Familienforst. Jetzt lädt er mich wieder ein, um mir zu zeigen, „wie schnell sich doch die Natur erholt, wenn der Mensch nicht eingreift“.
Ich freu mich drauf.