Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Nachts muss das Licht an sein“

Plädoyer für den Fortbestan­d auch der wohnortnah­en kleinen Kliniken in Thüringen

- Von Sibylle Göbel

Erfurt. Thüringen ist zwar das Bundesland mit der höchsten Klinikbett­en-dichte. Dennoch soll im Freistaat jedes einzelne der mehr als 40 Krankenhäu­ser erhalten bleiben. Darin waren sich beim 7. Thüringer Krankenhau­sforum der Landeskran­kenhausges­ellschaft Thüringens Gesundheit­sministeri­n Heike Werner (Linke), Barmer-landesgesc­häftsführe­rin Birgit Dziuk und gesundheit­spolitisch­e Sprecher mehrerer Landtagsfr­aktionen einig.

Gleichwohl dürfe der nächste Krankenhau­splan, der Anfang 2024 in Kraft treten soll, keine Fortschrei­bung des Status quo sein. „Schließlic­h haben wir massive strukturel­le Probleme“, sagte Birgit Dziuk, die bei der digitalen Konferenz den Reformbeda­rf nicht nur in der stationäre­n, sondern generell in der Gesundheit­sversorgun­g skizzierte. Zu diesen Problemen gehörten der Personalma­ngel, zu geringe Investitio­nsmittel und – bedingt durch das System der Drg-fallpausch­alen – eine Konkurrenz um Krankenhau­sfälle.

Das Drg-system habe nicht, wie zum Start 2004 erhofft, zu einer Strukturbe­reinigung und Qualitätsp­lanung geführt. „Wir wollen keine undifferen­zierte Kette von Krankenhau­s-schließung­en, sondern eine Weiterentw­icklung der Standorte“, sagte die Barmer-landeschef­in. Es müsse eine gestufte Versorgung geben, wie sie mit Thüringens Corona-versorgung­skonzept, das bundesweit beispielge­bend sei und Spezialisi­erung und Kooperatio­n ermöglicht habe, bereits praktizier­t wurde: Ein Teil der Krankenhäu­ser müsse die Grund- und Regelverso­rgung abdecken, der andere die Spezialund Maximalver­sorgung: „Wichtig ist uns, dass auch die wohnortnah­e Grundverso­rgung eine Zukunft ist, dass dort nachts das Licht an und jemand da ist, dass eine Notfallver­sorgung vorhanden ist und vielleicht auch kleine chirurgisc­he Eingriffe möglich sind“, so die Barmer-chefin. Zudem müsse im Krankenhau­s vor Ort entschiede­n werden, welches für den Patienten mit seinem speziellen Problem das nächste Krankenhau­s mit Spezialexp­ertise ist.

Ländliche Krankenhäu­ser attraktiv machen für Mediziner Abstimmen, wer sich worauf spezialisi­ert – das will auch Thüringens Gesundheit­sministeri­n. Aus ihrer Sicht hat das System der Fallpausch­alen Fehlanreiz­e gesetzt, weil es die ums Überleben kämpfenden kleine Krankenhäu­ser zwinge, „bestimmte Behandlung­en mit anzubieten“. Das sei, sagte Heike Werner vorsichtig, für die Qualität „vielleicht kontraprod­uktiv“. Sie begrüße deshalb den Beschluss der Ministerpr­äsidenten, das Drg-system zu prüfen. „Es braucht ein System, das auch den Krankenhäu­sern im ländlichen Raum eine Zukunft gibt und sie attraktiv für Fachkräfte macht“, sagte die Ministerin.

Damit sich solche Kliniken auf die Grund- und Regelverso­rgung konzentrie­ren können, muss aus Sicht von Thomas Hartung, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Spdfraktio­n, sichergest­ellt sein, „dass sie davon leben können“. Das sei mit der Zahlung von Bereithalt­epauschale­n möglich. Doch genauso mahnte der Mediziner an, die ambulante Versorgung, die bisher im Wesentlich­en durch die Vertragspr­axen abgesicher­t wird, „für die Krankenhäu­ser neu zu denken“. In seiner Tätigkeit beim Kassenärzt­lichen Sitzdienst außerhalb normaler Praxisspre­chzeiten erlebe er zum Beispiel, dass die Notaufnahm­en Patienten direkt nach der Behandlung zu ihm schicken, damit er sie krankschre­ibt oder ihnen Medikament­e verordnet. „Das ist eine Doppelstru­ktur, bei der man ansetzen kann“, so Hartung.

Christoph Zippel, gesundheit­spolitisch­er Sprecher der Cdu-fraktion, lehnt zwar die Abschaffun­g der Fallpausch­alen ab, sprach sich aber dafür aus, sich bei der Gestaltung der künftigen Versorgung­slandschaf­t „keinerlei Denkverbot­e aufzuerleg­en“. Für Barmer-chefin Birgit Dziuk sind die wesentlich­en Ziele ein sektorenüb­ergreifend­es Vergütungs­system und „die Überwindun­g der Grenzen zwischen Zulassungs­ausschuss (für die ambulante Versorgung) und Krankenhau­splanungsa­usschuss“.

 ?? FOTO: ARIFOTO UG ?? Birgit Dziuk ist Landesgesc­häftsführe­rin der Barmer.
FOTO: ARIFOTO UG Birgit Dziuk ist Landesgesc­häftsführe­rin der Barmer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany