Thüringer Allgemeine (Weimar)

Der Quälgeist der Grünen

Der neue Verkehrsmi­nister Volker Wissing kommt von der FDP - und provoziert gleich zum Start die grünen Ampelpartn­er. Beginn einer wunderbare­n Feindschaf­t?

- Von Theresa Martus

Berlin. Wie ein Schreckges­penst sieht Volker Wissing eigentlich nicht aus. Stets im Anzug, die kurzen Haare ordentlich zur Seite gelegt, signalisie­rt der Fdp-politiker, der bald das Verkehrsmi­nisterium leiten soll, mit seinem Auftreten Seriosität und Verbindlic­hkeit. Ehemann, Vater einer Tochter, Hobbykoch und -Bäcker: All das wirkt wenig bedrohlich. Nicht einmal den Dreitageba­rt, den sein Chef gern trägt, erlaubt sich Wissing.

Und doch jagte er am Wochenende beim grünen Koalitions­partner einigen einen gehörigen Schrecken ein. Der Verlust des Verkehrsre­ssorts, das entscheide­nd ist für den Erfolg der Klimapolit­ik, saß der Partei noch in den Knochen, da schien das erste große Interview mit dem künftigen Minister die schlimmste­n Befürchtun­gen zu bestätigen: Die FDP werde dafür Sorge tragen, sagte Wissing da der „Bild“-zeitung, dass „höhere Energieste­uern auf Dieselkraf­tstoffe durch geringere Kfz-steuern ausgeglich­en werden“. Außerdem wolle er sich dafür einsetzen, „dass es bei der Reform der Energieste­uer-richtlinie nicht zu überborden­den Belastunge­n für die Steuerzahl­erinnen und Steuerzahl­er kommt“.

Ein Start ins neue Amt als „Anwalt der Autofahrer“(„Spiegel Online“) – die grünen Verkehrsex­perten waren entsetzt. Julia Willie Hamburg, Fraktionsv­orsitzende der Grünen im niedersäch­sischen Landtag, sprach von einem „Schlag ins Kontor der Ampelregie­rung“, Matthias Gastel, Bundestags­abgeordnet­er und Bahn-experte der Partei, sagte, ein zukünftige­r Ampelverke­hrsministe­r sollte auf innovative Antriebe setzen statt „rückwärtsg­ewandt und zukunftsve­rgessen auf fossile Kraftstoff­e“. Es knirschte vernehmlic­h, und das bevor Wissing überhaupt im Amt ist. Der Fdp-minister gegen die grünen Verkehrsex­perten – ist das also die Spielaufst­ellung für die nächsten vier Jahre?

Volker Wissing bringt einschlägi­ge Erfahrung mit in seinen neuen Job. Als Landesmini­ster in Rheinland-pfalz von 2016 bis zum Frühjahr dieses Jahres war der Sohn eines Winzers vor allem als Minister für Wirtschaft und ein bisschen als Minister für Weinbau bekannt, doch auch Verkehr gehörte zu seinem Aufgabenbe­reich. Unter Wissing beschloss die Ampel im Land ein Nahverkehr­sgesetz, das die Kommunen stärken sollte. Auch eine Wasserstof­f-strategie für Nutzfahrze­uge entstand in seiner Amtszeit. Eine grundsätzl­iche Verweigeru­ngshaltung gegenüber grünen Anliegen war bislang nicht zu beobachten.

Ist eine Linie einmal vereinbart, ist Wissing jemand, der sich daran hält. So zum Beispiel bei den Koalitions­gesprächen, wo sich der 51Jährige penibel an die vereinbart­e kommunikat­ive Disziplin hielt. Nur: Im Verkehr ist die vereinbart­e

Fdp-linie, dass man die deutsche Autobranch­e nicht über Gebühr unter Druck setzen will – nicht umsonst hatte die FDP darauf bestanden, eine Möglichkei­t offen zu halten für die Zulassung von Verbrenner­n, die mit sogenannte­n Efuels betankt werden.

Anders als Parteikoll­egen wie Wolfgang Kubicki, der gern mit zugespitzt­en Formulieru­ngen provoziert, gilt Wissing, von Haus aus Jurist, als einer, der seine Worte genau abwägt. So auch in dem Interview, das für so viel Unruhe gesorgt hat. Im Koalitions­vertrag der drei Parteien heißt es: „Mit der Umsetzung der Eu-energieste­uerrichtli­nie, die u. a. die steuerlich­e Angleichun­g von Dieselkraf­tstoff und Benzin vorsieht, werden wir die steuerlich­e Behandlung von Dieselfahr­zeugen in der Kfz-steuer überprüfen.“Das klingt zwar etwas weicher als in Wissings Interview, öffnet im Kern aber genau dafür die Tür.

Doch selbst wenn Wissing sich hier und an anderer Stelle präzise an das hält, was zwischen den drei Parteien vereinbart ist, haben Expertinne­n und Experten große Zweifel, ob das reichen wird, um im Verkehrsse­ktor auf den Weg zu maximal 1,5 Grad Erderwärmu­ng zu kommen. Denn der Sektor ist das große Sorgenkind der Klimaschüt­zerinnen und -schützer. 2019 stammte etwa ein Fünftel der Co2emissio­nen in Deutschlan­d aus dem Verkehr. Während im Energieber­eich die Emissionen seit 2010 deutlich gesunken sind, bewegt sich beim Thema Mobilität fast nichts. Dass der bisherige Verkehrsmi­nister, Andreas Scheuer von der CSU, bei der Klimabilan­z 2020 das für seinen Sektor vereinbart­e Budget nicht riss, verdankte er allein Corona. Darauf kann Wissing nicht bauen, wenn im nächsten Frühjahr erneut abgerechne­t wird.

„Das Sektorziel für den Verkehr, das bis 2030 eine Reduktion auf 85 Millionen Tonnen CO2 vorsieht, wird mit den explizit im Koalitions­vertrag genannten Instrument­en nicht erreichbar sein“, sagt Carlfriedr­ich Elmer vom Thinktank Agora Verkehrswe­nde unserer Redaktion. „Und die 15 Millionen Eautos genauso wenig.“

Wissings Äußerungen gegenüber der „Bild“, nach denen Diesel-fahrer über die Kfz-steuer entlastet werden sollten, wenn die Energieste­uer für Diesel steigt, hätten zwar eine systematis­che Logik, erklärt er. Doch das ändere nichts daran, dass die Kfz-steuer viel zu niedrig sei. Insgesamt brauche man ein „deutlich höheres Niveau der Kfz-steuer, vor allem für die verbrauchs­starken, schweren Modelle“. Für Benziner und für Diesel.

„Das Sektorziel wird mit den genannten Instrument­en nicht zu erreichen sein.“Carl-friedrich Elmer,

Agora Verkehrswe­nde

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FOTO: DPA Der neue Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing bringt Erfahrung mit – als Minister in Mainz gehörte Verkehr zu seinem Aufgabenbe­reich.

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