Intimer Abend zwischen Verzauberung und Entzauberung
Puppentheater im Erfurter Waidspeicher spielt doppelbödig mit „Nussknacker und Mausekönig“nach E. T. A. Hoffmann und Peter Tschaikowsky
Erfurt. Es gibt keinen chinesischen und keinen orientalischen Tanz in dieser Aufführung – und sowieso so gar kein Divertissement. Schon insofern entgehen sie in Erfurts Waidspeicher Debatten um rassistische Tendenzen, wie sie jetzt dazu führten, dass Tschaikowskys „Nussknacker“aus dem Spielplan des Berliner Staatsballetts flog.
Dort hatten sie die Originalinszenierung von 1892 rekonstruiert. In Erfurt haben sie das Ballett eher dekonstruiert und fürs Puppentheater neu zusammengesetzt. Sie spielen ohnehin mehr nach E. T. A. Hoffmanns „Nussknacker und Mausekönig“(weshalb Marie auftritt, nicht Klara), sowie Tschaikowsky dazu ein, ein Stückchen kanonendonnerndes Schlachtgemälde der „1812“-Ouvertüre inklusive.
Heimeliger Weihnachtsabend für zwei Personen und in drei Abteilungen Voller Esprit, mit leichter Hand inszeniert Christian Georg Fuchs für ein knappes Stündchen einen heimeligen intimen Weihnachtsabend unterm Baum: für zwei Personen und in drei Abteilungen. Das beginnt vergleichsweise klassisch, wenn sich Tomas Mielentz als Onkel Droßelmeier im braunkarierten Dreiteiler und Karoline Vogel als Marie im nachtblauen Hausanzug zur Bescherung treffen und auch mit Luftküssen beschenken. Das stumme Spiel zur Musik folgt dem Ballett, nur ohne Tanz. Nur Maries Alter-ego-marionette geht auf Spitzen und lässt das Röckchen fliegen.
Nachdem der Nussknacker auf Rädern bis zur Maulsperre tat, was seines Amtes ist, erweist sich in der Mitte des Abends Mielentz einmal mehr als begnadeter Erzähler, malt die Ursprungsgeschichte um Prinzessin Pirlipat und Frau Mauserinks mit Hand, Fuß und Stimme aus.
Den schwierigeren Part dabei bewältigt Karoline Vogel elegant wie nebenbei: nämlich den der aufmerksamen Zuhörerin mit gespitzten Ohren und staunenden Augen, ohne jemals zu dick aufzutragen.
Sie lässt ihre Marionette sich zart an den Nussknacker schmiegen, bevor unter den Dielen der niedrigen schrägen Wohnstube von Ausstatterin Mila van Daag Mäuse wuseln und sich ein nächtlicher albtraumhafter Kampf der Endgegner buchstäblich entfacht und entzündet.
Fortan sprechen wieder Bilder und Musik. Sie führen uns nicht ins Zauberzuckerschloss, aber tief hinein (tiefenpsychologisch auch) in Träume einer unmöglichen Liebe. Aus dem Nussknacker ist eine Prinzenmarionette geworden, die Droßelmeier/mielentz führt, die mit jener Maries die „Zuckerfee“am weißen Flügel intoniert, zum Blumenwalzer Pirouetten auf dem Eis tanzt.
Da werden ganz unterschwellig, obgleich dies eine Aufführung ab acht Jahren ist, Züge einer libidinösen Beziehung offenbar, die Onkel und Nichte an ihre Puppen delegieren und die sich in einer Emanzipation des Mädchens auflösen wird. Das Versprechen, ich zeige dir die große weite Welt (die mit Eiffelturm, dem Turm von Pisa und Big Ben vorüberzieht), eignet sie sich selbst an.
So ist dies eine fantasievolle Version eines Weihnachtsklassikers, die auf mehreren Ebenen und für verschiedene Generation spielt: mit wirkmächtigen Marionetten von Peter Lutz, rollenden und fliegenden Objekten obendrein, ohne Zuckerguss, aber mit Mitteln der Verzauberung wie auch Entzauberung.
Man geht leicht, erleichtert auch.
Termine bis Jahresende ausverkauft.