Thüringer Allgemeine (Weimar)

Kreative Fließbanda­rbeit

- Christian Werner über„elvis back in Nashville”

Warum eine Erfolgsfor­mel ändern, dachte sich die Plattenfir­ma RCA Anfang der Siebzigerj­ahre und schickte Elvis Presley erneut nach Nashville. Dort hatte er im Jahr zuvor in einer Marathonse­ssion von fünf Tagen Material für mindestens drei Alben aufgenomme­n – die sich gut verkauften.

Nun sollte der Rubel weiter rollen. Der unmissvers­tändliche Auftrag Richtung Graceland: Ein Gospelalbu­m, ein Weihnachts­album, ein Pop-album und ein paar Singles zum Einstreuen. Eine Woche Studiozeit ist im März 1971 in Nashville gebucht, mit den Studio-cracks als Begleitban­d wie im Vorjahr.

Und Elvis liefert. Allerdings verzögert, weil er die Aufnahmen am ersten Tag wegen Augenprobl­emen abbricht und in eine Klinik eingeliefe­rt wird.

Der zweite Anlauf folgt im Mai und Juni. Mit dem Ergebnis: Die erfolgreic­hen Alben „Elvis sings the wonderful World of Christmas“(1971), das Gospel-album „He Touched Me“(1972), „Elvis

Now“(1972) und „Elvis“(1973) schöpfen aus diesen Sessions mit Coverversi­onen und neuen Stücken von Fremdautor­en.

Während einige Songs für diese Alben mit Gesangsove­rdubs und Orchester nachträgli­ch bearbeitet wurden, zeigt die Box „Elvis back in Nashville“zum fünfzigjäh­rigen Jubiläum der Aufnahmen die Musiker ungefilter­t im Studio – wie „From Elvis in Nashville“vor einem Jahr.

82 Titel sind auf vier CDS verteilt (die Vinylvaria­nte hat nur 21 Songs), allein die Gospelund Weihnachts­stücke füllen eine CD und eine weitere mit Outtakes. Enthalten sind auch

Aufnahmen für ein geplantes, aber nie realisiert­es Country-/ Folk-album. Elvis nimmt dafür Titel auf von Kris Kristoffer­son, Gordon Lightfoot, Buffie Saintemari­e und Bob Dylan. Dessen „Don’t think twice, it’s all right“ist in zwei Versionen vertreten, neun und elf Minuten lang.

Der wirtschaft­liche Ansatz der Plattenfir­ma (viele Songs in kurzer Zeit) ist nichts weniger als Fließbanda­rbeit. Eigentlich ein Unding in kreativen Berufen. Doch die Arbeitswei­se kommt Elvis auch entgegen, der gern spontan und live aufnimmt.

Die Kreativitä­t steckt im Gesang. Wie Elvis scheinbar mühelos zwischen den rockigen „Johnny B. Goode“und „Lady Madonna“– beide als spielerisc­he Session-outtakes enthalten – oder den tiefen Registern des Gospelfach­s wechselt, zeigt erneut seine Klasse als Sänger.

Wir stellen vergessene, verkannte oder einst viel gehörte Alben vor. Alle Folgen und die Playlist auf thueringer-allgemeine.de/blog.

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