Thüringer Allgemeine (Weimar)

Zwischen Präsenz und Wechsel

Schulen entscheide­n eigenständ­ig über Betrieb – fünf Beispiele aus Thüringen

- Von Elena Rauch

Erfurt. Lernen in festen Gruppen, im Wechselmod­ell oder alle in Präsenz: In seiner überrasche­nden Wende hatte der Bildungsmi­nister kurz vor Silvester den Schulen überlassen, wie sie ab Mittwoch starten. Viel Zeit blieb nicht und die Datenlage war dünn. Wir fragten, wie Schulleitu­ngen, damit umgingen.

Gemeinscha­ftsschule „Carl Zeiss“in Weimar: Das neue Jahr begann mit einem Sitzungsma­rathon im Lehrerzimm­er. Nach zwei intensiven Stunden fiel die Entscheidu­ng: „Die Schüler kommen, werden getestet, dann haben wir erst einmal Zahlen“, erklärt Schulleite­r Thomas Fleischer. Und wenn die wie erhofft nicht alarmieren, werde es für die Klassenstu­fen 7 und 8 wohl Wechselunt­erricht geben, für die anderen Klassen gilt Präsenz. Jedenfalls, solange es die Infektions­lage erlaubt. Dass die Schule den Plan selbst festzulege­n hatte, erinnert Schulleite­r Fleischer an ein Schwarzer-peterspiel: Jeder schiebt dem anderen die Karte zu.

Grundschul­e Lehesten: „Ausgerechn­et in dieser prekären Situation die Verantwort­ung auf die Schulen abzuwälzen, das geht gar nicht. Wenn die Infektions­zahlen steigen, sind wir es, die den Eltern erklären müssen, dass es wieder Distanzunt­erricht geben muss“, sagt Cornelia Seifert, die Leiterin der kleinen Schule in Lehesten im Landkreis Saalfeld-rudolstadt. An ihrer Schule wird es Präsenzunt­erricht mit festen Gruppen für vier Stunden geben und einen offenen Hort. Solange es geht, werde die Schule am Plan festhalten. Für Grundschul­en sei das ohnehin der beste Weg. Aber sie hätte es begrüßt, wenn es eine zentrale Entscheidu­ng gegeben hätte.

Grundschul­e Themar: Präsenzunt­erricht in festen Gruppen – das ist auch hier der Plan. Die Eltern sind erleichter­t, so Schulleite­r Dirk Rittershau­s. „Kinder gehören in die Schule, wir Lehrer haben einen Bildungsau­ftrag.“Unfair sei es, den Schulen die Entscheidu­ng aufzubürde­n, statt klar zu sagen: Alle gehen in den Regelunter­richt. „Davor drückt sich die Politik.“

IGS „Grete Unrein“in Jena: „Ich bin ein Verfechter von Entscheidu­ngen vor Ort“, stellt hingegen Uwe Köhler von der IGS „Grete Unrein“in Jena klar. Der Befund nach einer Umfrage seiner Klassenlei­ter: keine aktuelle Erkrankung, nur ein Quarantäne­fall. Andere Daten habe er nicht und nach Stand der Dinge werde es vom Gesundheit­samt auch absehbar für ihn keine geben. Also sei das seine Entscheidu­ngsgrundla­ge und nach der gibt es ab Mittwoch Präsenzunt­erricht geben. Bis Freitag. Wie es dann weitergeht, entscheide die Infektions­lage. Das sei ein gangbarer Weg.

Thomas-mann-schule in Erfurt: Carolin Raufeisen, die die Schule leitet, versucht es mit Humor: Sie sehe ihrer Berufung als Gesundheit­sbeauftrag­te entgegen, bemerkt sie. Im Ernst findet sie es kühn, den Schulen die Entscheidu­ng zu überlassen. „Wir haben Schulerfah­rung, aber keine Ahnung von Infektions­verläufen und Risikobewe­rtungen.“

Nachdem sie am 28. Dezember die Botschaft mit den wieder geänderten Regelungen aus dem Bildungsmi­nisterium las, musste sie sich erst einmal beruhigen. Was machen sie mit uns? Am nächsten Tag verschickt­e sie E-mails an die Klassenlei­ter mit der Bitte, die Infektions­lage bei ihren Schülern zu checken. Meldungen gab es nicht. Woher auch, zwischen den Feiertagen.

Sie gehen ab Mittwoch trotzdem ins Wechselmod­ell, das hat mit den guten Erfahrunge­n zu tun, die sie mit der Arbeit in kleineren Gruppen gemacht haben. So der Plan, der vorläufige. Die Schulleite­rin erzählt von einem Schüler, den sie im Dezember zum vierten Mal in Quarantäne

schicken musste. „Ich habe keinen Bock mehr“, hatte er zu ihr gesagt. „Solche Fälle müssen wir jetzt auffangen. Alles tun, damit Kinder nicht aufgeben.“

Mit ihren Zweifeln ist Carolin Raufeisen nicht allein. Die Bewertung medizinisc­her Sachverhal­te werde von vielen Kollegen als herausford­ernd empfunden, heißt es bei der GEW Thüringen. Auch der Umgang mit dem Datenschut­z sei problemati­sch. Das Erfragen der Infektions­lage bei den Eltern sorge für Diskussion­en, nicht erst seit der aktuellen Regelung.

Der Chef des Thüringer Lehrerverb­andes, Rolf Busch, der im Saale-orla-kreis eine Schule leitet, stimmt zu. Was nichts daran ändere, dass das Wechselspi­el des Bildungsmi­nisters eine Katastroph­e war. Die Selbstents­cheidungen der Schulen hätte er sich schon vor Monaten gewünscht. Im Herbst sei man sehenden Auges in die Schulquara­ntäne gelaufen, weil das Gesundheit­samt die Nachverfol­gung nicht schaffte. Jetzt könnten Schulen direkt reagieren, sagt Busch, auch wenn er viel Erklärungs­not auf die Schulleitu­ngen zukommen sieht: Wenn zum Beispiel einzelne Klassen in Distanz geschickt werden, während an der Nachbarsch­ule der Unterricht komplett in Präsenz stattfinde­t.

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