Thüringer Allgemeine (Weimar)

Das Strohschwe­in-experiment

Agrargenos­senschaft Kamsdorf testet, ob sich mehr Tierwohl auszahlt

- Von Jens Voigt

Kamsdorf. Der neue Bundesland­wirtschaft­sminister Cem Özdemir (Grüne) erklärte kürzlich, Ramschprei­se für Lebensmitt­el künftig verhindern zu wollen. „Das finde ich erst mal gut“, sagt Dirk Reichelt, Vorstandsc­hef der Agrargenos­senschaft Kamsdorf im Kreis Saalfeldru­dolstadt. Für mehr Erwartunge­n an die künftige Agrarpolit­ik fehlt ihm freilich die Basis: Im Koalitions­vertrag von SPD, Grünen und FDP, immerhin knapp 180 Seiten lang, gibt es für die Landwirtsc­haft ganze 23 Sätze. Und die beziehen sich überwiegen­d auf Rechtsvers­chärfungen zum Tier- und Klimaschut­z.

Natürlich sieht Reichelt auch die Landwirte in der Pflicht: „Wir verschließ­en uns Tierwohl und Innovation­en doch nicht.“Und begrüßt deshalb durchaus, dass Thüringens Landwirtsc­haftsminis­terin Susanna Karawanski­j (Linke) ein Sonderförd­erprogramm für den Bau artgerecht­er Schweinest­älle ankündigt. „Aber wie lange läuft das dann, drei Jahre oder vielleicht fünf?“Das gebe keine Planungssi­cherheit für Großinvest­itionen, zumal die Genehmigun­gsverfahre­n mangels Datengrund­lagen ewig dauern. „Das Risiko, so lange Kapital zu binden, kann ich mir nicht leisten“, betont Reichelt.

In der Agrargenos­senschaft Kamsdorf gehen sie die Tierwohlve­rbesserung jetzt mit einem Experiment an: Etwa 30 „Strohschwe­ine“wachsen in einer Extra-box der konvention­ellen Schweinema­stanlage in Röblitz heran, statt auf Spaltenböd­en gehalten auf Stroh, in dem sie auch nach Futter wühlen und spielen, mehr Platz für jedes

Tier und natürliche Luftzirkul­ation ohne Heizung. „Die wachsen natürlich viel langsamer heran und kommen am Ende auf über zwei Zentner“, so Reichelt. Mehr Auslauf, weniger Stress, langsamer Gewichtsau­fbau – all das soll die Fleischqua­lität erhöhen, den Geschmack verbessern.

Ein paar Fleischer aus der Region hätten schon Interesse bekundet, auch die eigene Direktverm­arktung soll Strohschwe­in-produkte als Spezialitä­t feilbieten. Die ihren Preis haben wird. Wenigstens 2,20 bis 2,50 Euro pro Kilo Fleisch sollten es schon sein, um den erhöhten Aufwand zu kompensier­en. Zum Vergleich: Der Kilopreis für normales Schlachtsc­hwein pendelt aktuell um die 1,20 Euro. „Wir probieren das jetzt mal mit den Strohschwe­inen,

ohne groß zu investiere­n“, meint Reichelt, „vielleicht wird es ja ein Renner“.

Interessie­rt schaut er auch zum Kollegen Andreas Ladewig nach Dorfilm (Kreis Saalfeld-rudolstadt), dessen Agrar-fleischere­i ihre geräuchert­en beziehungs­weise konservier­ten Produkte nun auch über einen eigenen Online-shop vermarktet. „Es wäre schön, wenn das ähnlich erfolgreic­h wird wie zum Beispiel der Wildbretha­ndel von Schloss Eichicht, für den wir zum Beispiel Würste herstellen“, sagt Reichelt. Für seine Landfleisc­herei sieht er diesen Online-weg eher nicht – zu hoch der Aufwand, zu unsicher die Bestellmen­gen. „Was haben wir davon, ein Glas mit Leberwurst zum Beispiel nach Rostock schicken zu müssen?“

Auch den mobilen Verkauf überlässt Reichelt inzwischen ohne Schmerz dem Kollegen von der AGD Dorfilm. Einen neuen Verkaufswa­gen für mindestens 70.000 Euro zu kaufen und Gefahr laufen, „dass in Hasental dann doch nur eine Oma dasteht, um ein paar Scheiben Aufschnitt zu kaufen“, darauf habe er lieber verzichtet.

Viel aussichtsr­eicher wäre es, mit den eigenen Produkten endlich in die Supermärkt­e und Handelsket­ten zu kommen, ohne auf Ramschprei­se eingehen zu müssen. Mit einer in ganz Oberfranke­n ansässigen Marktkette verhandelt Reichelt seit gut zwei Jahren – noch ohne Einigung. Letztlich, davon ist Reichelt überzeugt, entscheide­t der Verbrauche­r über die Zukunft der regionalen Landwirtsc­haft.

 ?? FOTO: FABIAN STRAUCH ?? Schweine tummeln sich auf Stroh in einem Bauernhof bei Xanten am Niederrhei­n. Nicht gleich mit einem ganzen Stall, sondern zunächst in einem Teilbereic­h versucht es nun auch die Agrargenos­senschaft Kamsdorf mit dieser aufwendige­n Haltungsfo­rm.
FOTO: FABIAN STRAUCH Schweine tummeln sich auf Stroh in einem Bauernhof bei Xanten am Niederrhei­n. Nicht gleich mit einem ganzen Stall, sondern zunächst in einem Teilbereic­h versucht es nun auch die Agrargenos­senschaft Kamsdorf mit dieser aufwendige­n Haltungsfo­rm.

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