Thüringer Allgemeine (Weimar)

Schloss Bellevue bleibt Herrenhaus

Mit den Stimmen der Grünen kann Frank-walter Steinmeier eine zweite Amtszeit in Angriff nehmen.

- Von Jörg Quoos

BERLIN. Wer in der lärmigen Hauptstadt die Tür zu Schloss Bellevue durchschre­itet, betritt eine andere Welt. Weiche, pastellfar­bige Wollteppic­he dämpfen jeden Schritt. An den weiß verputzten Wänden der Salons ziehen historisch­e und zeitgenöss­ische Gemälde die Blicke auf sich. Alles auf preußische Art schnörkell­os und doch feudal, gemessen an den Zweckbaute­n einer parlamenta­rischen Demokratie. Prinz August Ferdinand von Preußen, ein Infanterie­general, hat den dreiflügel­igen Bau in nur zwei Jahren errichten lassen. Seit gestern ist klar: Das Schloss, Dienstsitz des Bundespräs­identen, bleibt ein Herrenhaus. Frank-walter Steinmeier kann mit den Stimmen der Grünen eine zweite Amtszeit als Bundespräs­ident in Angriff nehmen.

„Frank-walter Steinmeier ist ein sehr guter und hoch angesehene­r Bundespräs­ident, der sich in seiner ersten Amtszeit große Verdienste um unser Land erworben hat“, erklärten Robert Habeck und Annalena Baerbock in einer schriftlic­hen

Mitteilung, die auch von den Grünen-fraktionsc­hefs Katharina Dröge und Britta Haßelmann unterzeich­net ist. Man sei „überzeugt, dass er unserer Gesellscha­ft auf dem schwierige­n Weg aus der Pandemie weiter Halt und Orientieru­ng geben wird“.

Steinmeier hat sich selbst um zweite Amtszeit beworben

Die Erklärung endet mit dem entscheide­nden Satz: „Deshalb unterstütz­en wir seine Wiederwahl und empfehlen unseren Wahlleuten in der Bundesvers­ammlung, Frankwalte­r Steinmeier erneut zum Bundespräs­identen zu wählen.“

Damit ist für den Hausherrn von Bellevue ein Plan aufgegange­n, den er seit dem Frühsommer zielstrebi­g verfolgte. Steinmeier hatte nicht abgewartet, bis das Amt des Bundespräs­identen auf dem Basar feilschend­er Koalitionä­re verramscht wird. Er hatte sich selbst überrasche­nd beworben und darauf gesetzt, dass es schwer wird, eine überzeugen­de Persönlich­keit gegen ihn ins Rennen zu schicken. Gegen ihn, den ehemaligen Kanzleramt­schef, Spd-fraktionsv­orsitzende­n und doppelten Außenminis­ter, der fast alle Staatsober­häupter und Regierungs­chefs aus persönlich­en Begegnunge­n kennt.

„Ich weiß, dass ich nicht von vornherein auf eine Mehrheit in der Bundesvers­ammlung bauen kann“, sagte Steinmeier in seiner fünfminüti­gen Bewerbungs­rede Ende Mai. Aber er wolle durch seine frühzeitig­e Bewerbung für Klarheit sorgen – auch wenn er sich der Wiederwahl nicht sicher sein könne.

Dass es jetzt so kam, ist eine Mischung aus Fortune und kluger Berechnung und beschert den Sozialdemo­kraten neben dem Bundeskanz­ler und der Bundestags­präsidenti­n nun zum zweiten Mal auch das höchste Amt im Staate. Die Spd-vorsitzend­en Saskia Esken und Lars Klingbeil begrüßten die Erklärung der Grünen. Mit seiner „ausgleiche­nden und klaren Haltung“und seiner „menschlich­en Zugewandth­eit“leiste Steinmeier einen „unschätzba­ren Beitrag für den Zusammenha­lt und Respekt im Land“, teilten sie mit.

So groß das offizielle Lob der Grünen für Steinmeier auch ist – in Wahrheit hätten viele in der Partei gern erstmals eine Frau im Schloss gesehen. Man hätte mit Bundestags­vizepräsid­entin Katrin Göringecka­rdt auch eine würdige Kandidatin ins Rennen schicken können.

Erst vor Kurzem beschrieb der Bewerber für den Grünen-vorsitz, Omid Nouripour, im Interview mit unserer Redaktion das Dilemma seiner Partei: „Den Grünen als feministis­cher Partei würde es gut zu Gesicht stehen, eine eigene Kandidatin aufzubiete­n. Es ist eine Tragödie dieser Wahlen in der Bundesvers­ammlung, dass Frauen immer von den Parteien aufgestell­t wurden, die keine Mehrheit hatten.“

Auch die Grünen hätten für eine eigene Kandidatin diese Mehrheit in der Bundesvers­ammlung nicht gefunden. Den politische­n Preis für das Zugeständn­is an die SPD, Steinmeier­s zweite Amtszeit durchzuwin­ken, werden Robert Habeck und Annalena Baerbock noch an anderer Stelle aufrufen.

Die Parteien der Ampelkoali­tion haben jetzt – sollte es nicht zu viele Abweichler geben – ausreichen­d Stimmen für eine erneute Wahl Steinmeier­s schon im ersten Wahlgang: Nach dpa-recherchen werden SPD, Grüne und FDP zusammen 776 der 1472 Mitglieder in die Bundesvers­ammlung entsenden. Das wären 39 Stimmen mehr, als im ersten und zweiten Wahlgang nötig sind.

Die Union wollte eigentlich eine eigene Kandidatin aufstellen, wird diesen Plan aber wohl aufgeben. Nrw-ministerpr­äsident Hendrik Wüst nahm die Entscheidu­ng der Grünen „mit Respekt zur Kenntnis“, kritisiert­e aber: „Die Absage an einen Aufbruch an der Spitze des Staates ist eine verpasste Chance. Eine Bundespräs­identin, die für das weltoffene und fortschrit­tliche Deutschlan­d steht, wäre ein starkes Zeichen in dieser Zeit des Umbruchs gewesen.“Aus „staatspoli­tischer Verantwort­ung heraus“werde er „persönlich Frank-walter Steinmeier für eine zweite Amtszeit unterstütz­en“.

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FOTO: DANIEL PILAR/LAIF Frank-walter Steinmeier vor dem Eingang von Schloss Bellevue. Der Bundespräs­ident feiert heute seinen 66. Geburtstag.
 ?? ?? Bundespräs­ident: Steinmeier nach seiner Vereidigun­g im März 2017 mit Bundestags­präsident Lammert.
Bundespräs­ident: Steinmeier nach seiner Vereidigun­g im März 2017 mit Bundestags­präsident Lammert.
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FOTO: AP/PA Kanzleramt­schef: Frank-walter Steinmeier 2003 mit Bundeskanz­ler Schröder.
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FOTO:GETTY(2) Außenminis­ter: Steinmeier 2014 bei einem Besuch in Moskau.

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