Thüringer Allgemeine (Weimar)

Späte Ankunft im Osten

„Ein total westsozial­isierter Theatermen­sch“: Meiningens Schauspiel­chef Frank Behnke

- Von Michael Helbing

Meiningen. Mit leicht mulmigem Gefühl näherte sich Frank Behnke an einem grauen Frühlingst­ag 2020 erstmals Meiningen. Am Staatsthea­ter sollte er zum Sommer des folgenden Jahres werden, was er jetzt zehn Jahre lang in Münster war: Schauspiel­direktor. „Je dichter ich der Stadt kam, umso enger wurde mir mein Herz“, erinnert er sich.

Da ist er nicht der erste. Dergleiche­n hat hier wohl eine gewisse Tradition. Man kann davon häufiger im Meininger Theater-band „Zeit der Wunder“über die Aufbruchsj­ahre seit 1990 lesen: „Oh Gott, wo bin ich denn hier gelandet?“, dachte sich in den Neunzigern etwa eine Schauspiel­erin, aus Wien angereist.

Außer dem klassizist­ischen Theater gibt’s hier nicht viel (inzwischen noch nicht einmal mehr ein Hotel, seit der „Sächsische Hof“geschlosse­n blieb). Umso mehr müsse man einem Ensemble hier eine künstleris­che Heimat bieten, sagt Behnke.

Zehn von achtzehn Schauspiel­ern sind neu am Haus, darunter „zwei Poc-leute“, dunkelhäut­ige Deutsche für ein diverseres Ensemble. All jene aber, die er gerne aus Münster hätte mitbringen wollen, hatten ihm abgesagt: „Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, in Meiningen zu leben.“In einer Kleinstadt also, die insgesamt nur halb so viele Einwohner hat wie es in Münster allein Studenten gibt.

Und Frank Behnke selbst hatte wenig ermutigend­e Gerüchte vernommen, über ein überaltert­es und stockkonse­rvatives Publikum zum Beispiel, nicht nur ästhetisch, auch politisch. In Meiningen regiert zwar ein Spd-bürgermeis­ter und die Region wählte jüngst auch einen heimischen Biathleten mit Spd-ticket direkt in den Bundestag, bei den Zweitstimm­en siegte aber die AFD.

Das mulmige Gefühl gegenüber Meiningen hat sich längst gelegt Meiningen bedeutet für Behnke, der im März Sechzig wird, im Grunde den Erstkontak­t mit dem Osten. „Ich bin ein total westsozial­isierter Theatermen­sch“, bestätigt der Niedersach­se. Dramaturg und Regisseur in Wilhelmsha­ven, Osnabrück und Celle, lange in Nürnberg, kurz in Hamburg. Dann kam Münster.

Er inszeniert­e zudem in Ingolstadt, Memmingen, Hof oder Bamberg.

Meiningens neuer Intendant, Jens Neundorff von Enzberg, ein stark westsozial­isierter Ossi aus Ilmenau, berief Behnke fast blind. Man kannte sich nur „über Bande“. Klaus Kusenberg, der Schauspiel­direktor in Nürnberg war, bevor er es bei Neundorff in Regensburg wurde, empfahl ihn. Eine Premiere, die der Intendant in Münster anschauen wollte, fiel wegen Corona aus.

Eigentlich kam Behnke der Ruf nach Meiningen gerade recht. „Mit 59 liegen die Spielleite­rpositione­n ja nicht gerade auf der Straße.“Münster stand beziehungs­weise steht auch vorm Leitungswe­chsel.

Und das mulmige Gefühl hat sich längst gelegt. „Wenn ich in dieses Haus komme, geht mir das Herz auf“, sagt Behnke heute über das technisch ebenso wie personell doch sehr gut ausgestatt­ete Theater. „Hier steht die Kunst im Zentrum!“

Gewiss sei der Unterschie­d zu Münster schon extrem. Dort gibt es auch zwei Privatthea­ter, eines spielt ausschließ­lich Boulevards­tücke. „Da musste ich die Unterhaltu­ngsschiene relativ wenig bedienen und konnte mich auf anspruchsv­olles Schauspiel konzentrie­ren.“Vom Land Niedersach­sen gab’s 300.000 Euro pro Spielzeit extra für die Uraufführu­ng neuer Stücke.

Anspruchsv­oll soll es in Meiningen bleiben. Die Reaktionen bestätigen Behnke bislang. „Meine Angst, dass man es mit einem extrem alten Publikum zu tun bekommt, das eine ganz andere Sprache spricht, hat sich nicht eingelöst.“Offen und

„gierig auf Theater“erlebt er die Leute. Schon insofern sei dies ein Ausnahmeth­eater. Will wohl sagen: In Meiningen muss man ums Publikum kaum buhlen, man könnte es höchstens vergraulen (wie es zuletzt vor zwanzig Jahren geschah).

Behnke will sich zeitgemäß an der Tradition des Theaters abarbeiten Behnke will auch „mit bekannten Titeln verführen, aber sie für heute anders erzählen und durchaus ins Risiko gehen.“So hat er die mit körperlich­er Wucht arbeitende Regisseuri­n Julia Prechsl fürs Trauerspie­l „Kabale und Liebe“verpflicht­et (ab März im Spielplan), das Schiller ja einst vor den Toren der Stadt, in Bauerbach schrieb, und den experiment­ierfreudig­en Nicolas Charaux für Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufg­ang“in Ewald Palmetshof­ers Überschrei­bung (ab Mai).

Behnke selbst begann 2021, sich mit Shakespear­es „Julius Caesar“an der Tradition des Theaters abzuarbeit­en, kombiniert mit dem Wolfram-lotz-text „Die Politiker“. Georg II. von Sachsen-meiningen, gleichsam Erfinder des Regie- wie des Ensembleth­eaters, ließ die Tragödie erstmals 1867 spielen; beim Berliner Gastspiel sieben Jahre später begründete sie den Ruhm der „Meininger“in Europa. Und schon 1866, kurz nach Amtsantrit­t, sorgte der „Theaterher­zog“für die deutsche „Antigone“-erstauffüh­rung in der Neuzeit. Elina Finkel besorgte die Sophokles-tragödie jetzt in den Kammerspie­len.

Intensiv und ausdauernd hat sich Frank Behnke vor allem mit wenig bekannten Stücken des berühmten Us-amerikanis­chen Dramatiker­s Tennessee Williams beschäftig­t. In Münster inszeniert­e er zwar auch „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, brachte aber die „Frühlingss­türme“zur deutschspr­achigen Erstauffüh­rung sowie „Licht unter Tage“zur Europaprem­iere.

Für Meiningens Kammerspie­le probiert er jetzt die deutschspr­achige Erstauffüh­rung von „Auf der Flucht“(ab Februar zu sehen). Das nachgelass­ene Stück mit 150 Seiten Material, aus dem Behnke eine Fassung formte, sei Williams’ letztes, „das lohnenswer­t ist zu erzählen.“Fürs Theater Hof bringt er im Mai „Die Nacht des Leguan“heraus.

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FOTO: OLIVER BERG / STAATSTHEA­TER MEININGEN Schauspiel­direktor Frank Behnke, 59.

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