Späte Ankunft im Osten
„Ein total westsozialisierter Theatermensch“: Meiningens Schauspielchef Frank Behnke
Meiningen. Mit leicht mulmigem Gefühl näherte sich Frank Behnke an einem grauen Frühlingstag 2020 erstmals Meiningen. Am Staatstheater sollte er zum Sommer des folgenden Jahres werden, was er jetzt zehn Jahre lang in Münster war: Schauspieldirektor. „Je dichter ich der Stadt kam, umso enger wurde mir mein Herz“, erinnert er sich.
Da ist er nicht der erste. Dergleichen hat hier wohl eine gewisse Tradition. Man kann davon häufiger im Meininger Theater-band „Zeit der Wunder“über die Aufbruchsjahre seit 1990 lesen: „Oh Gott, wo bin ich denn hier gelandet?“, dachte sich in den Neunzigern etwa eine Schauspielerin, aus Wien angereist.
Außer dem klassizistischen Theater gibt’s hier nicht viel (inzwischen noch nicht einmal mehr ein Hotel, seit der „Sächsische Hof“geschlossen blieb). Umso mehr müsse man einem Ensemble hier eine künstlerische Heimat bieten, sagt Behnke.
Zehn von achtzehn Schauspielern sind neu am Haus, darunter „zwei Poc-leute“, dunkelhäutige Deutsche für ein diverseres Ensemble. All jene aber, die er gerne aus Münster hätte mitbringen wollen, hatten ihm abgesagt: „Sie konnten sich einfach nicht vorstellen, in Meiningen zu leben.“In einer Kleinstadt also, die insgesamt nur halb so viele Einwohner hat wie es in Münster allein Studenten gibt.
Und Frank Behnke selbst hatte wenig ermutigende Gerüchte vernommen, über ein überaltertes und stockkonservatives Publikum zum Beispiel, nicht nur ästhetisch, auch politisch. In Meiningen regiert zwar ein Spd-bürgermeister und die Region wählte jüngst auch einen heimischen Biathleten mit Spd-ticket direkt in den Bundestag, bei den Zweitstimmen siegte aber die AFD.
Das mulmige Gefühl gegenüber Meiningen hat sich längst gelegt Meiningen bedeutet für Behnke, der im März Sechzig wird, im Grunde den Erstkontakt mit dem Osten. „Ich bin ein total westsozialisierter Theatermensch“, bestätigt der Niedersachse. Dramaturg und Regisseur in Wilhelmshaven, Osnabrück und Celle, lange in Nürnberg, kurz in Hamburg. Dann kam Münster.
Er inszenierte zudem in Ingolstadt, Memmingen, Hof oder Bamberg.
Meiningens neuer Intendant, Jens Neundorff von Enzberg, ein stark westsozialisierter Ossi aus Ilmenau, berief Behnke fast blind. Man kannte sich nur „über Bande“. Klaus Kusenberg, der Schauspieldirektor in Nürnberg war, bevor er es bei Neundorff in Regensburg wurde, empfahl ihn. Eine Premiere, die der Intendant in Münster anschauen wollte, fiel wegen Corona aus.
Eigentlich kam Behnke der Ruf nach Meiningen gerade recht. „Mit 59 liegen die Spielleiterpositionen ja nicht gerade auf der Straße.“Münster stand beziehungsweise steht auch vorm Leitungswechsel.
Und das mulmige Gefühl hat sich längst gelegt. „Wenn ich in dieses Haus komme, geht mir das Herz auf“, sagt Behnke heute über das technisch ebenso wie personell doch sehr gut ausgestattete Theater. „Hier steht die Kunst im Zentrum!“
Gewiss sei der Unterschied zu Münster schon extrem. Dort gibt es auch zwei Privattheater, eines spielt ausschließlich Boulevardstücke. „Da musste ich die Unterhaltungsschiene relativ wenig bedienen und konnte mich auf anspruchsvolles Schauspiel konzentrieren.“Vom Land Niedersachsen gab’s 300.000 Euro pro Spielzeit extra für die Uraufführung neuer Stücke.
Anspruchsvoll soll es in Meiningen bleiben. Die Reaktionen bestätigen Behnke bislang. „Meine Angst, dass man es mit einem extrem alten Publikum zu tun bekommt, das eine ganz andere Sprache spricht, hat sich nicht eingelöst.“Offen und
„gierig auf Theater“erlebt er die Leute. Schon insofern sei dies ein Ausnahmetheater. Will wohl sagen: In Meiningen muss man ums Publikum kaum buhlen, man könnte es höchstens vergraulen (wie es zuletzt vor zwanzig Jahren geschah).
Behnke will sich zeitgemäß an der Tradition des Theaters abarbeiten Behnke will auch „mit bekannten Titeln verführen, aber sie für heute anders erzählen und durchaus ins Risiko gehen.“So hat er die mit körperlicher Wucht arbeitende Regisseurin Julia Prechsl fürs Trauerspiel „Kabale und Liebe“verpflichtet (ab März im Spielplan), das Schiller ja einst vor den Toren der Stadt, in Bauerbach schrieb, und den experimentierfreudigen Nicolas Charaux für Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“in Ewald Palmetshofers Überschreibung (ab Mai).
Behnke selbst begann 2021, sich mit Shakespeares „Julius Caesar“an der Tradition des Theaters abzuarbeiten, kombiniert mit dem Wolfram-lotz-text „Die Politiker“. Georg II. von Sachsen-meiningen, gleichsam Erfinder des Regie- wie des Ensembletheaters, ließ die Tragödie erstmals 1867 spielen; beim Berliner Gastspiel sieben Jahre später begründete sie den Ruhm der „Meininger“in Europa. Und schon 1866, kurz nach Amtsantritt, sorgte der „Theaterherzog“für die deutsche „Antigone“-erstaufführung in der Neuzeit. Elina Finkel besorgte die Sophokles-tragödie jetzt in den Kammerspielen.
Intensiv und ausdauernd hat sich Frank Behnke vor allem mit wenig bekannten Stücken des berühmten Us-amerikanischen Dramatikers Tennessee Williams beschäftigt. In Münster inszenierte er zwar auch „Die Katze auf dem heißen Blechdach“, brachte aber die „Frühlingsstürme“zur deutschsprachigen Erstaufführung sowie „Licht unter Tage“zur Europapremiere.
Für Meiningens Kammerspiele probiert er jetzt die deutschsprachige Erstaufführung von „Auf der Flucht“(ab Februar zu sehen). Das nachgelassene Stück mit 150 Seiten Material, aus dem Behnke eine Fassung formte, sei Williams’ letztes, „das lohnenswert ist zu erzählen.“Fürs Theater Hof bringt er im Mai „Die Nacht des Leguan“heraus.