Auf dem Rad aus Weimar bis zum Mond
Der 59-jährige Harald Brachmann ist seit mehr als 20 Jahren als Fahrradkurier in der Stadt unterwegs
Weimar. Sechs Fahrradkuriere gibt es derzeit in Weimar. Zu den Dienstältesten gehört Harald Brachmann. Seit mehr als 20 Jahren rollt er als Kurier, Zusteller oder Abholer auf zwei Rädern durch die Stadt. Bei Wind und Wetter – auch in diesen unwirtlichen Januar-tagen.
„Auf dem Mond war ich mit dem Fahrrad schon“, sagt er angesichts von rund 50 Kilometern, die er durchschnittlich am Tag in Weimar zurücklegt. Würde die Stadtverwaltung Experten für den Radverkehr in Weimar suchen, sie müsste nicht nur Akademiker bemühen. Im Jahr 2001 war es, als Harald Brachmann von Freunden angesprochen wurde: „Das wär doch was für dich.“Die Firma Zweirad vom Stadtring suchte Kuriere. Brachmann fuhr seit Kindertagen mit dem Rad. Also versuchte er es. Wenigstens übergangsweise, wie er damals dachte. Er blieb, die Branche änderte sich.
In der Spitze gab es zwölf bis 14 Fahrradzusteller in Weimar. Echte Kurierfahrten mit Sofortzustellung am Ort haben aber abgenommen. Eilige Briefpost wird meist elektronisch abgewickelt, weiß er. Kurieraufträge kommen eher aus Arztpraxen, die eine Laborprobe schnell ins Klinikum bringen lassen.
Heute sagt der gelernte Werkzeugmacher aus dem Weimar-werk: „Auf dem Rad hat es mir immer gefallen, auch im Winter.“Erkältungen kennt der 59-Jährige nicht. Ein paar Blessuren gab es. Einmal hat er sich sogar alle Finger einer Hand gebrochen. Das setzte ihn zwei Wochen außer Gefecht. Eher belustigt erinnert er sich an die Landung in einer Schneewehe, als er vom Dorotheenhof zur Dürrenbacher Hütte fuhr. Seit ein paar Monaten arbeitet Harald Brachmann für die Funkepost, zu der seine letzte Firma „Mail Cats“überging. Bei etwa 50 Kunden holt er täglich Briefe ab. Das Gros kennt er seit Jahren: Ärzte, Anwälte,
Institutionen, Schulen oder Firmen. Es würde auffallen, käme Harald Brachmann nicht.
Nur einmal ist das in 20 Jahren tatsächlich passiert: am 8. Februar vor einem Jahr, als Weimar im Schnee versank. Am Tag darauf war er wieder mit dem Rad unterwegs. Es ist der vierte Drahtesel im Beruf: zwei sind gebrochen, einer wurde gestohlen. Dem Fahrradkurier geht es da nicht anders als dem Durchschnittsradler. „In der Regel kommt man mit dem Fahrrad gut durch Weimar“, findet der Fahrrad-profi. „Da wurde echt viel gemacht.“Nur mit der Schillerstraße kann er sich nicht anfreunden: Postautos werden dort toleriert, nicht aber er als Fahrradkurier. Ohnehin trenne die Straße für Radfahrer die Stadt. Das geht besser, findet er.