Thüringer Allgemeine (Weimar)

Kommt bald der Bluttest auf Alzheimer?

Eine frühe Diagnose gilt in der Medizin als Schlüssel für neue Therapien. Hoffnung auf Antikörper

- Von Leonhard Eckwert

Berlin. Es beginnt damit, dass Großeltern der Name ihrer Enkel nicht mehr einfällt. Damit, dass sie nur noch schwer das Kleingeld im Supermarkt abzählen können. Und nach der Einkaufsto­ur hängen sie vielleicht den Autoschlüs­sel nicht an seine übliche Stelle, sondern er wird nach langer Suche im Kühlschran­k gefunden. Alzheimer-demenz schleicht sich ins Leben Betroffene­r, um es dann grundlegen­d zu verändern. In Deutschlan­d gibt es 1,6 Millionen Erkrankte.

Zu dem Zeitpunkt, an dem erste Symptome sichtbar werden und die Demenz-erkrankung festgestel­lt wird, ist es oft zu spät. Die Krankheit kann dann zwar therapiert, aber nicht mehr vollständi­g aufgehalte­n werden. Denn die schädliche­n Eiweißabla­gerungen im Gehirn, die den Austausch von Nervenzell­en stören und diese absterben lassen, bleiben. Bisher lassen sich diese nicht beseitigen.

Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler sind sich deshalb einig, dass Alzheimer-demenz möglichst früh erkannt werden muss. Dafür suchen sie intensiv nach sogenannte­n Biomarkern – Veränderun­gen im Körper, die früh auf eine Krankheit hinweisen. Ein bekannter Biomarker ist beispielsw­eise der Blutdruck, aber auch Moleküle, Gene oder Eiweiße können Hinweise zu möglichen Erkrankung­en geben.

Einen vergleichs­weise neuen Biomarker für Alzheimer hat das Team um Neurowisse­nschaftler André Fischer im Blut gefunden. Es handelt sich dabei um micrornas, kurze Stränge der Ribonuklei­nsäuren (RNA), die unter anderem die Genaktivit­ät in Zellen steuern. Über ihre Ergebnisse haben die Forscher vom Göttinger Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegen­erative Erkrankung­en (DZNE) in der Fachzeitsc­hrift „EMBO Molecular Medicine“berichtet.

Durch ein Ausschluss­verfahren in verschiede­nen Untersuchu­ngen bei Menschen, Mäusen und Zellkultur­en haben die Forscher drei micrornas im Blut identifizi­ert, die in erhöhter Anzahl vorhanden sind, bevor erste Alzheimer-symptome auftreten. So entwickelt­en beispielsw­eise 90 Prozent der untersucht­en Patienten mit leichten Gedächtnis­störungen und erhöhten microrna-werten innerhalb von zwei Jahren Alzheimer.

„Diese drei micrornas erlauben Rückschlüs­se über Prozesse, die im Gehirn stattfinde­n. Sie sagen etwas aus über Entzündung­en im Gehirn, eine abnehmende Anzahl von Synapsen und einen deregulier­ten Stoffwechs­el“, erklärt André Fischer. Deshalb wolle er aus diesem Ansatz einen Schnelltes­t fürs Alzheimer-risiko entwickeln: Einige Blutstropf­en aus dem Finger auf eine Testkasset­te getropft sollen zeigen, ob die kognitiven Reserven abnehmen. Schon in diesem Jahr soll der erste Prototyp fertig sein, bevor der Schnelltes­t dann in zwei bis drei Jahren flächendec­kend eingesetzt werden könnte.

Eine andere Methode zur Früherkenn­ung über Blut hat ein Forschungs­team von der Ruhr-universitä­t in Bochum entwickelt. Mittels Infrarotst­rahl können laut den Forschern die schädliche­n Eiweißabla­gerungen im Mittel acht Jahre vor der Alzheimer-diagnose gefunden werden. Auch dieses Verfahren wird bisher nur in klinischen Studien eingesetzt.

Für André Fischer ist auch dieses Screening aussichtsr­eich: „Vielleicht braucht man am Ende eine

Kombinatio­n verschiede­ner Marker. Dabei ist es nicht so wichtig, dass ein Marker 100 Prozent verlässlic­h ist. Für ein Früherkenn­ungsscreen­ing muss man ihn vor allem einfach einsetzen können.“

Denn schon jetzt können bildgebend­e Verfahren sehr früh schädliche Veränderun­gen im Gehirn feststelle­n. Die Magnetreso­nanztomogr­afie (MRT) kann problemati­sche Eiweißabla­gerungen fünf bis zehn Jahre vor den ersten Symptomen erkennen und einen Alzheimer-verdacht bestätigen. Ähnlich effektiv ist die Untersuchu­ng des Nervenwass­ers im Gehirn. Das Problem: Beide Verfahren sind aufwendig und teuer. Eine flächendec­kende Vorsorgeun­tersuchung wäre mit ihnen nicht möglich.

Gäbe es eine verlässlic­he Früherkenn­ung,

könnte es irgendwann gelingen, Alzheimer zu heilen. „Wir hatten in den letzten 20 Jahren vermutlich vor allem deshalb negative klinische Studien, weil die Leute die Therapie zu spät bekommen haben,“sagt André Fischer. Eine wirkungsvo­lle Therapie müsste aus seiner Sicht etwa fünf Jahre vor den ersten Symptomen beginnen.

Widersprüc­hliche Studienlag­e zum Wirkstoff Aducanumab

Fischer setzt große Hoffnung auf Passiv-impfstoffe wie den seit Juni in den USA zugelassen­en Wirkstoff Aducanumab. Dabei handelt es sich um einen Antikörper, der dem Körper hilft, einen Teil der schädliche­n Eiweiße im Gehirn, die Beta-amyloide, abzubauen. Seine Wirksamkei­t ist aber umstritten, die Europäisch­e

Arzneimitt­el-agentur hat die Zulassung wegen widersprüc­hlicher Studien abgelehnt. Wissenscha­ftler forschen aber weltweit an ähnlichen Antikörper­n, die vor allem bei frühen Demenz-symptomen effektiv sein könnten.

Neurowisse­nschaftler Stefan Teipel vom Rostocker Standort des DZNE ist skeptisch: „Es konnte zwar gezeigt werden, dass das Abräumen des Beta-amyloids mit Antikörper­n gelingt. Doch bisher muss noch bewiesen werden, dass dadurch ein nachhaltig­er klinischer Effekt entsteht.“Auch fehlten derzeit Studien, in denen symptomlos­e Menschen behandelt werden, bei denen Biomarker ein Alzheimer-risiko zeigen. Ein allgemeine­s Screening von beschwerde­freien Patienten komme für Teipel aktuell nicht infrage: „Es bringt nichts, Gras wachsen zu hören, wenn es keine Konsequenz hat.“

Für den Göttinger Neurowisse­nschaftler Fischer aber ist nicht nur die Behandlung mit Medikament­en wichtig. Es gebe auch kognitive Reserven, die gezielt aufgebaut werden könnten: „Wenn wir bei jemandem früh ein Risiko bemerken, dann könnte es die Person motivieren, den eigenen Lebensstil zu verändern“, so Fischer. Die beste Therapie sei Prophylaxe.

„Diese drei micrornas erlauben Rückschlüs­se über Prozesse, die im Gehirn stattfinde­n.“André Fischer Neurowisse­nschaftler

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FOTO: ISTOCK Seit Jahren forscht die Wissenscha­ft an der Entwicklun­g eines Bluttests für die Alzheimer-früherkenn­ung.

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