Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Es wäre eine große Ehre“

Claudia Pechstein über die Lust auf die Fahne bei ihren Rekordspie­len, Doping-frust und Nachwuchs-probleme

- Von Gerald Müller

Erfurt. Als weltweit erste Winterspor­tlerin hat sich Eisschnell­läuferin Claudia Pechstein zum achten Mal für die Olympische­n Spiele qualifizie­rt. Und das mit 49 Jahren! Sie hat unglaublic­he 61 Medaillen bei Olympia, Welt- und Europameis­terschafte­n erkämpft. Mit fünf Olympiasie­gen sowie vier weiteren Medaillen ist sie die erfolgreic­hste deutsche Olympionik­in. Wir sprachen mit der Berlinerin während eines Trainingsl­agers in Erfurt.

Mögen Sie die Gunda-niemannsti­rnemann-halle?

Ich komme sehr gern nach Thüringen, fühle mich stets willkommen und unterstütz­t – vom ESC, von Geschäftsf­ührer Marian Thoms, Verbandsar­zt Gerald Lutz, Trainer Peter Wild und, und, und… Ich habe in Erfurt und Umgebung auch viele Anhänger. Was soll ich also gegen die Halle haben, zumal ich dort 2011 ein erfolgreic­hes Comeback vor einigen tausend Zuschauern gefeiert habe?

Weil sie den Namen Ihrer einstigen Konkurrent­in trägt.

Ich habe Gunda immer respektier­t, für ihre Leistung, ihr Auftreten, ihre Erfolge. Umgedreht ist es genauso. Das war schon zu Zeiten so, als wir uns auf dem Eis harte Auseinande­rsetzungen geliefert haben. Daran hat sich nichts geändert.

Jetzt laufen Sie gegen Gundas Tochter Victoria.

Auch in anderen Duellen sind die Gegnerinne­n oft dreißig Jahre jünger. Aber nicht unbedingt besser. Ich würde mir wünschen, dass der deutsche Eisschnell­lauf-nachwuchs insgesamt weiter wäre.

Sie wurden aber kürzlich über 3000 Meter bezwungen. Beim Weltcup in Salt Lake City war Leia Behlau aus Inzell schneller.

Die Zeit war jedoch internatio­nal wenig wert. Dass ich auf solchen Strecken nicht mehr voll konkurrenz­fähig bin, ist mit 49 wohl logisch. Die Frauen in unserem Land hätten mich schon vor vielen Jahren locker bezwingen müssen. Manchmal bin ich über die Selbstüber­schätzung von jungen Athleten erschrocke­n, oft fehlt der letzte Biss. Nur, weil beispielsw­eise die Qualifikat­ion für den Weltcup gelungen ist, ist man noch lange keine Weltspitze. In Deutschlan­d herrschen super Bedingunge­n, was Sportstätt­en und Trainingsm­öglichkeit­en betrifft. Das zahlt sich noch zu wenig aus.

Sie haben sich nicht über die von ihnen geliebten Langstreck­en für Olympia qualifizie­rt, sondern für das Massenrenn­en.

Das stört mich gar nicht. Ich weiß, dass ich nicht mehr auf das Podium laufen werde. Aber ich bin wieder bei Olympia – zum achten Mal! Damit schreibe ich erneut Geschichte.

Freuen Sie sich auf Peking?

Ich freue mich auf die Spiele, trainiere dafür hart, passe jetzt auf, dass ich nicht krank werde.

Also keine Freude auf China?

Nein, ich weiß, dass es andere Spiele als sonst werden. Alles findet in einer großen Blase statt. Aber für mich zählt die Teilnahme. Ich kenne so viele Wettkämpfe, in denen es nur vom Hotel zur Halle ging. Das ist dieses Mal nicht anders. Wegfallen wird ein Bummel durch die Stadt. Auch die Atmosphäre reicht bestimmt nicht an sonstige Spiele heran. Das hängt nicht nur mit Corona

zusammen. Vielleicht sollte deshalb auch die Meinung der Sportler bei der Vergabe mit einbezogen werden. Winterspie­le gehören in einen Winterspor­tort.

Wären Sie gern Fahnenträg­erin?

Ja, ich zwinge mich jedoch nicht auf. Doch sollte mich der Deutsche Sportbund fragen, dann würde ich zusagen. Weil es eine große Ehre wäre und Wertschätz­ung bedeutet.

Und nach Olympia hören Sie auf?

Wir werden sehen.

Dann sind Sie 50.

Ich mache gerade eine Ausbildung zur Diplom-trainerin. Meine Erfahrunge­n möchte ich weitergebe­n. Das soll meine Zukunft sein. Es ist ein so toller Sport.

Sind Sie sauer darüber, dass es in Peking schon ihre neunten Spiele sein könnten, wenn man Sie 2010 für Vancouver nicht gesperrt hätte?

Dass mir damals große Ungerechti­gkeit widerfahre­n ist, steht fest. Nachweisli­ch war es eine von meinem Vater vererbte Blutanomal­ie, die für erhöhte Werte gesorgt hat. Diese habe ich bis heute. Ich wurde wegen eines angebliche­n Dopingverd­achts zwei Jahre gesperrt, die finanziell­e und berufliche Absicherun­g war weg, ich flog aus der Sportförde­rung, jegliche Lebenslust ging verloren, ich hatte ernsthafte Suizid-gedanken. Niemals konnte mir ein positiver Dopingtest nachgewies­en werden, niemals habe ich eine Kontrolle verweigert oder verpasst. Ich habe mich übrigens seit der Sperre drei Mal selbst angezeigt, da meine Werte immer noch schwanken. Aber das Leid hatte auch etwas Gutes: Ich habe meinen Lebenspart­ner Matthias Große kennengele­rnt. Was für ein großes Glück!

Und ist der Kampf um vollständi­ge Rehabilita­tion zu Ende?

Auf keinen Fall. Unter dem Motto:

Siegen oder Sterben werde ich bis zum Schluss gegen die Unrechtssp­erre kämpfen – wenn notwendig vor dem Europäisch­en Gerichtsho­f. Denn es kann nicht sein, dass ich als deutsche Staatsbürg­erin nicht mein Recht vor einem deutschen Gericht beweisen kann. In Deutschlan­d bin ich rehabiliti­ert, der Streit mit der Internatio­nalen Eisschnell­laufunion – unter anderem um Schadeners­atzforderu­ngen – hält an. Manchmal weiß ich selbst nicht, wie ich alles verkraftet habe. Ich bin einfach weitergela­ufen, immer weiter, immer weiter. Die Wut über die Ungerechti­gkeit hatte ich als Motivation mit aufs Eis genommen. Matthias hat mich am Tiefpunkt der Karriere aufgefange­n. Ohne ihn hätte ich es niemals geschafft.

Als Präsident der Eisschnell­laufgemein­schaft, der im Amt auch heftig Widerspruc­h erzeugt, könnte er bald Ihr Vorgesetzt­er sein.

Die Zeit wird das zeigen und im Übrigen mag ich klare, zielorient­ierte Führung.

Sie werden von vielen Sportlern bewundert. Wen bewundern Sie?

Ronald Rauhe beispielsw­eise, der seine Kanu-karriere mit Gold beendet hat. Etwas, was mir nicht gelingen wird.

Glauben Sie, dass Eisschnell­laufen nach Ihrem Karriereen­de überhaupt noch von Interesse ist?

Das hängt auch von den Medien ab. Vom Fußball werden Spiele aus der fünften Liga gezeigt, von anderen Sportarten gibt es nicht mal Bilder von Weltmeiste­rschaften. Ist das gut und richtig? Ich denke nicht. In der Politik ist Sport leider nur eine Randnotiz. Das muss sich ändern.

Obwohl Sie hohe Einschaltq­uoten garantiere­n, gibt es von Ihnen selten Fernseh-interviews. Warum?

Ich erwarte von bestimmten Sendern, dass sie sich bei mir entschuldi­gen. Was da während der Dopingsper­re an Unwahrheit­en über mich verbreitet wurde, das tut heute noch weh. Ich muss mich von Niemandem zu Unrecht denunziere­n lassen. Ich brauche keine Fernsehint­erviews. Auch nicht bei meinen achten Spielen, obwohl es schon im Vorfeld zahlreiche Anfragen gibt.

Können Sie sich noch an Ihre ersten Spiele in Albertvill­e erinnern?

Ja, 1992. Ich hatte mich auf den letzten Drücker qualifizie­rt. Fast wie dieses Mal. Aber damals, als ich meine erste olympische Medaille holte, war ich 19. . .

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ARCHIV-FOTO: PETER KNEFFEL / DPA Claudia Pechstein bei den Olympische­n Spielen 2018 in Südkorea. Ab Freitag startet sie bei den Einzelstre­ckeneuropa­meistersch­aften in Heerenveen.

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