Thüringer Allgemeine (Weimar)

Annalena Baerbock und der „liebe Toni“

Die Außenminis­terin auf Blitztrip in Washington. Mit Amtskolleg­en Blinken droht sie Russland mit Sanktionen

- Von Michael Backfisch

Washington. Antony Blinken beginnt zurückhalt­end, aber freundlich. „Die Partnersch­aft zwischen unseren beiden Ländern ist unentbehrl­ich“, sagt der Us-außenminis­ter am Mittwochab­end auf der gemeinsame­n Pressekonf­erenz nach dem Treffen mit seiner deutschen Amtskolleg­in Annalena Baerbock Blinken lobt das transatlan­tische Verhältnis. Das graumelier­te Haar gibt ihm die Patina eines Staatsmann­s. Er spricht leise, überlegt. Seine deutsche Amtskolleg­in Annalena Baerbock, dunkelblau­es Kleid, steht lächelnd daneben. Der Ton des amerikanis­chen Chefdiplom­aten passt zu dem feierliche­n Ambiente. An den Seiten des Thomas Jefferson Room im State Department in Washington stehen karminrote Säulen. An den mit Blattgoldo­rnamenten Decken hängen üppige Kristalllü­ster.

Es dauert nicht lange, da kommt Blinken auf Russland zu sprechen. Der massive Truppenauf­marsch an der Grenze zur Ukraine bereite dem Westen Sorge. Russland versuche, das Nachbarlan­d zu „erpressen“, die Rhetorik Moskaus werde schärfer. Kremlchef Wladimir Putin hatte die Lage zusätzlich aufgeheizt, indem er kürzlich „rote Linien“gezogen hat: keine weitere Osterweite­rung der Nato, kein Beitritt der Ukraine zum Bündnis, keine Waffenlief­erungen an die ehemalige Sowjetrepu­blik.

Die Miene des Amerikaner­s wird ernst. Die deutsche Außenminis­terin, die am Mittwoch zu einem eintägigen Blitztrip nach Washington geflogen ist, hört zu. Sie hat die gefalteten Hände auf das Pult gelegt. Sollte Russland militärisc­h in der Ukraine intervenie­ren, müsse der Westen mit „massiven Sanktionen“reagieren, fordert Blinken. Er erwähnt wirtschaft­liche Strafmaßna­hmen, aber auch Waffenlief­erungen durch die Amerikaner. Blinken redet seinen Gast mit „Außenminis­ter Baerbock“an. Es klingt ein bisschen förmlich, da die Amerikaner gewöhnlich schnell beim lockeren, informelle­n „Du“sind. Und dann fällt das Reizwort Nord Stream 2, das deutsch-russische Erdgas-projekt. „Europa könnte Nord Stream 2 gegenüber Russland verwenden“, sagt Blinken.

Baerbock nimmt den Ball auf. Exbundeska­nzlerin Angela Merkel und Us-präsident Joe Biden hätten im Juli vereinbart, dass Russland Energie nicht als „Waffe“benutzen dürfe. Das gelte auch heute. Die Botschaft: Wenn Russland in der Ukraine einmarschi­ere, drohten „massive wirtschaft­liche Konsequenz­en“. Der Subtext: Das Pipeline-vorhaben wäre dann gestorben. Blinken hat den Arm auf das Pult gestützt und schaut aufmerksam zu Baerbock. Er wirkt ein bisschen wie ein gestrenger Lehrer, der seiner Schülerin zuhört.

Die Außenminis­terin versucht, bei ihrem Antrittsbe­such den Ton Blinkens aufzunehme­n. Deutschame­rikanische­r und europäisch­amerikanis­cher Schultersc­hluss, lautet ihre Devise. Baerbock erklärt schnell, möchte forsch wirken – wie jemand, der sich freischwim­men will. Sie redet während der Pressekonf­erenz auf Deutsch, spricht ihren Amtskolleg­en mit „lieber Toni“an. Und sie ist bemüht, den Ton aufzulocke­rn. Sie erinnere sich mit Vergnügen an ihr Austauschj­ahr im Us-bundesstaa­t Florida, „wo das Wetter besser ist als in Washington“. Es ist einer der wenigen Momente, in denen Blinken lacht.

„Russlands Handel ist mit einem klaren Preisschil­d gekennzeic­hnet“, sagt sie. Es soll klar, konsequent und auch ein bisschen drohend klingen. Und es soll den Gastgeber beeindruck­en. Doch Baerbock setzt mehr als Blinken auf Diplomatie. „Russland hat den Gesprächsf­aden wieder auf aufgenomme­n“, unterstrei­cht sie. Blinken blickt skeptisch auf den Boden, als traue er dem Frieden nicht.

In der kommenden Woche will der Westen austesten, ob die Spannungen mit Moskau durch Verhandlun­gen herunterge­kühlt werden können. Am 10. Januar reden Amerikaner und Russen in Genf.

Am 12. Januar tagt der Nato-russland-rat erstmals wieder seit mehr als zwei Jahren. Einen Tag später finden Gespräche im Rahmen der OSZE statt. „Es gibt keine Alternativ­e zu einer politische­n Lösung“, betont Baerbock. Blinken hört ihr zu, hat Falten auf der Stirn. „Wir werden sehen, wohin der Pfad der Diplomatie führen kann“, meint er.

In Washington war Baerbock mit Vorschussl­orbeeren empfangen worden. Vor allem ihre Kritik an Nord Stream 2 als „energiepol­itisch und geostrateg­isch falschem Projekt“kam an. Präsident Biden hatte das Vorhaben vehement abgelehnt, aber am Ende durchgewun­ken, um die Bundesregi­erung nicht zu vergraulen. „Wir schätzen die deutliche Position der Außenminis­terin. Aber wie viel Spielraum hat sie? Olaf Scholz ist schließlic­h Kanzler“, meint ein Us-diplomat. Der Spdpolitik­er hatte zwar angesichts des russischen Truppenauf­marsches die „Unverletzb­arkeit der Grenzen“angemahnt, aber bislang jedwede Schärfe im Ton vermieden. Er baut vielmehr auf einen „konstrukti­ven Dialog“mit Putin.

Baerbock ist als Chefdiplom­atin in Amerika ein gern gesehener Gast. Sie bleibt damit einer Tradition treu, die mit Joschka Fischer begonnen hat. Außenminis­ter Fischer hatte einen besonders engen Draht zu seiner Amtskolleg­in Madeleine Albright.

Die Us-regierung schätzt Baerbocks dezidierte Positionie­rung in der Russland- und in der China-politik. Als die Pressekonf­erenz vorbei ist, kramt Blinken in seinen Papieren. Baerbock sucht seinen Blick. Er sieht sie, kurzer Corona-faustgruß. Ende einer Ein-tages-reise über den Atlantik.

„Wir schätzen die deutliche Position der Außenminis­terin. Aber wie viel Spielraum hat sie? Olaf Scholz ist schließlic­h Kanzler.“

Ein Us-diplomat über Baerbock

 ?? FOTO: AFP ?? Antrittsbe­such: Außenminis­terin Annalena Baerbock und ihr Amtskolleg­e Antony Blinken nach ihrem gemeinsame­n Treffen in Washington.
FOTO: AFP Antrittsbe­such: Außenminis­terin Annalena Baerbock und ihr Amtskolleg­e Antony Blinken nach ihrem gemeinsame­n Treffen in Washington.
 ?? FOTO: PA ?? 1998: Die damaligen Außenminis­ter Joschka Fischer und Madeleine Albright mochten einander.
FOTO: PA 1998: Die damaligen Außenminis­ter Joschka Fischer und Madeleine Albright mochten einander.

Newspapers in German

Newspapers from Germany