Literaturhochburg Tautenburg und andere Aha-erlebnisse
Detlef Ignasiak bringt 1100-seitiges Kompendium „Das literarische Thüringen“heraus
Die wenigsten wissen, dass sich im Dörfchen Tautenburg nahe Jena einst zahlreiche Literaten von Rang getummelt haben. Beispielsweise verlebten dort 1882 Friedrich Nietzsche und Lou Andreas-salomé einen glücklichen Sommer, wenn auch beargwöhnt von Nietzsches Schwester Elisabeth. Auch der Schriftsteller Georg Bötticher, Vater von Joachim Ringelnatz, kam oft mit der Familie in die Sommerfrische hierher. Ricarda Huch flüchtete vor den Bombenangriffen auf Jena nach Tautenburg. Und der international erfolgreiche Kinderbuchautor James Krüss („Timm Thaler“) strandete ebenfalls um dieselbe Zeit im idyllischen Walddorf. Als junger Mann erholte er sich dort kurz nach Kriegsende auf dem Weg zurück in die Heimat Helgoland.
Tautenburg ist einer von hunderten Orten, die Detlef Ignasiak in seinem 1100-seitigem Kompendium „Das literarische Thüringen“vorstellt. In lexikalischer Kürze liefert der promovierte Germanist und Kulturhistoriker Ort für Ort unzählige literarische Fakten – für die Landeshauptstadt Erfurt ebenso wie für die kleine Siedlung Tautenburg, für die Kreisstadt Altenburg wie für die Klassikerstadt Weimar.
Die Lektüre dieses beeindruckenden Standardwerkes beschert viele Aha-erlebnisse. So ist etwa der Publizist Eduard Baltzer außerhalb Nordthüringens kaum bekannt. Dabei prägte der Nordhäuser Freidenker im 19. Jahrhundert den Begriff „Jugendweihe“und begründete die deutsche Vegetarier-bewegung.
Detlef Ignasiak hat für sein Übersichtswerk den Literaturbegriff weit gefasst. Neben den Autoren geht er auf Nebenfiguren der Literatur ein, wie etwa Charlotte von Stein, sowie auf Fachbuchautoren, wie Christoph Wilhelm Hufeland. Der Arzt aus der Goethe-zeit habe mit der „Kunst, das menschliche Leben zu verlängern“einen Weltbestseller des 19. Jahrhundert geschrieben, sagt der 71-jährige Thüringer Autor. „Das ist natürlich Literatur.“
Selbst Komponisten wie Heinrich Schütz fanden Eingang ins „Literarische Thüringen“. Schütz‘ Oper „Dafne“, die vermutlich erste deutsche Oper überhaupt, wurde wohl 1627 auf Schloss Osterstein in Gera zweitaufgeführt. Die Partitur, die sich lange in der Stadt befand, ist seit 1945 verschollen. Ignasiaks stattlicher Wälzer ist aber nicht nur Nachschlagewerk. Er bietet sich auch trefflich als Inspirationsquelle für kommende Kulturtrips durch Thüringen an. Zumal der Autor stets auf die lokalen Spuren verweist, die vor Ort anzutreffen sind,
vom Dichterhaus übers Literaturmuseum und Theater bis zum Denkmal und zur Gedenktafel.
Darüber hinaus stellt Detlef Ignasiak literarische Zusammenhänge her, erläutert etwa noch einmal, was es mit der Jenaer Romantik auf sich hat oder mit dem Greizer Kreis, jener Ddr-kritischen Literatenszene in der Provinz, die seinerzeit intensiv bespitzelt wurde. Gelegentlich bietet sich zudem die Chance, Originaltexte zu lesen.
Seit 2008 arbeitete der Thüringer Autor und Verleger an seinem Mammutwerk zur literarischen Geschichte Thüringens. Auslöser war seine Mitarbeit am „Literarischen Führer Deutschland“des Insel-verlages. In den kommenden Jahren will Ignasiak ein ähnliches Kompendium zu Brandenburg vorlegen.
Detlef Ignasiak: „Das literarische Thüringen – Autoren-galerien und Dichterstätten“. Quartus-verlag Bucha bei Jena, 1100 Seiten, 59,90 Euro