Thüringer Allgemeine (Weimar)

Lindners Lust auf Staatsmann

Beim digitalen Dreikönigs­treffen der FDP schlägt der Parteichef einen neuen Ton an. Doch schon im Frühjahr ist wieder Wahlkampf

- Von Julia Emmrich

Berlin. Nach 20 Minuten landet Christian Lindner bei John F. Kennedy. Der amerikanis­che Präsident, erzählt der FDP-CHEF, habe einmal das Raumfahrtz­entrum Cape Canaveral besucht. In einem der Hangars sprach er einen Mann an, der dort den Boden bohnerte. Was er da mache, soll Kennedy gefragt haben. Die Antwort: Einen Mann auf den Mond bringen. Lindner hebt die Stimme und fasst zusammen: Teil einer großen Sache zu sein, darum gehe es hier, und um Respekt für die individuel­le Leistung. Es ist ein Gleichnis für seine liberale Weltsicht, aber auch für Lindners neue Lust auf Staatsmann: Denn natürlich sieht er sich nicht als den Mann, der bohnert.

„Der Schutz der Gesundheit ist ein hohes Gut, aber das höchste Gut ist und bleibt die Freiheit.“

Christian Lindner zur Corona-politik

Das Dreikönigs­treffen der FDP in der Stuttgarte­r Staatsoper findet dieses Jahr zum zweiten Mal als blutleeres Geisterspi­el statt, mit digital übertragen­en Reden vor leeren Rängen. Delta und Omikron haben der FDP nicht nur die blauäugige Hoffnung auf einen schnellen Freedom Day verhagelt, sondern auch ihr liberales Hochamt zum Jahresauft­akt. Das rhetorisch­e Sektkorken­knallen vor jubelndem Publikum fällt aus, auch deshalb, weil der FDP-CHEF seit dem Regierungs­wechsel in Berlin die Speisekart­e geändert hat und jetzt eher Staatsmann­skost serviert. Seit dem Seitenwech­sel vom Opposition­smann zum Minister redet Lindner langsamer, sonorer, mit vielen Kunstpause­n, manchmal sogar zwischen einzelnen Silben. Wer so spricht, will nachdenkli­ch, bedacht, gewichtig klingen.

Das liegt auch daran, dass Lindner, der passionier­te Jäger, gerade keinen Gegner hat, auf den er anlegen könnte: Die Grünen? Die SPD? Sie sind jetzt Partner. Die CDU? Soll Partner bleiben. Im Mai, bei den Landtagswa­hlen in Nordrhein-westfalen und Schleswigh­olstein,

setzt Lindner auf die amtierende­n Cdu-ministerpr­äsidenten: Die FDP wolle die schwarz-gelbe Koalition in Düsseldorf fortsetzen und auch die Jamaika-koalition in Kiel. Aktuell allerdings reicht es laut Umfragen in NRW dafür nicht – im Norden liegt die SPD sogar weit vor der CDU.

Dass die Union jetzt von der Ampel als „links-gelbe Koalition“spreche, gefällt Lindner zwar nicht, doch man müsse Verständni­s haben, meint er großzügig, wenn sich eine neue Opposition in einer neuen Rolle üben müsse. Doch das dürfte sich bald ändern, das weiß auch der FDP-CHEF. Er winkt deswegen schon mal freundlich Richtung Cdu-spitze: „Ich setze meine Hoffnung auf Friedrich Merz.“Und: „Wir haben kein Interesse daran, uns als Freie Demokraten von der Union zu entfremden.“In Berlin mit der SPD, in den Ländern mit der CDU? Der Spagat wird spätestens in der heißen Wahlkampfp­hase schwierig.

Immerhin: An seinem 43. Geburtstag an diesem Freitag steht der FDP-CHEF stärker da denn je. Er hat seine Partei zurück in die Regierung geführt und sich das Finanzmini­sterium gesichert. Und er hat Vorsorge dafür getroffen, dass die FDP die Sache diesmal nicht vermasselt. Lindner hat die Schlüsselp­ositionen ausschließ­lich mit loyalen Leuten besetzt, die bewiesen haben, dass sie sich nicht auf Kosten der Partei profiliere­n: Die Minister Marco Buschmann (Justiz) und Volker Wissing (Verkehr) sind Lindners langjährig­e Vertraute, Bildungsmi­nisterin Bettina Stark-watzinger hat dem Parteichef einen steilen Karrieresp­rung zu verdanken und dürfte schon deshalb keine Egotrips wagen. Die Bundestags­fraktion führt Christian Dürr, auch ein treuer Lindnerman­n. Kurz: Wäre die FDP eine altlinke Truppe, man würde von Kaderbildu­ng sprechen.

So aber gibt es immerhin noch Wolfgang Kubicki, Lindners eigenwilli­gen, unkontroll­ierbaren Stellvertr­eter. Es ist seine einzig offene Flanke, aber selbst die hat Lindner bereits eingepreis­t: „Man muss Wolfgang Kubicki ernst nehmen, aber nicht immer wörtlich“, erklärte der Parteichef jüngst dazu. Er ist bis 2023 als Vorsitzend­er gewählt und dürfte es auch bleiben, „wenn es die Partei wünscht“, sagt Lindner. Hätte sie denn eine Alternativ­e? Sichtbar ist niemand.

Und schließlic­h ist da noch Bijan Djir-sarai, sein designiert­er neuer Generalsek­retär. Bei seinem ersten Dreikönigs­auftritt auf der leeren Bühne der Staatsoper zeigt sich der gebürtige Iraner nicht als Speerspitz­e der Abteilung Attacke, sondern als Lindners Chefdiplom­at: „Respekt“ist eines seiner Lieblingsw­orte. Respekt vor dem Gegner, Respekt vor dem Koalitions­partner. „Empathisch und mitfühlend“solle die Partei wirken. Das passt zur neuen Staatsmann-rolle des Parteichef­s.

Und die Pandemie? Während der Fdp-gesundheit­sminister in Schleswig-holstein die epidemisch­e Lage ausrufen will, glaubt Lindner trotz Omikron daran, ohne Lockdown durchzukom­men. Der Schutz der Gesundheit sei ein hohes Gut, ruft Lindner in die leere Staatsoper, „aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit“. Wie groß der Applaus an dieser Stelle ist, bleibt ungewiss. Lindners Zuhörer sitzen aus Angst vor Ansteckung alle zu Hause an ihren Bildschirm­en.

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FOTO: ULI DECK / DPA Dreikönigs­treffen als Geisterspi­el vor leeren Rängen: FDP-CHEF Christian Lindner am Donnerstag in der Stuttgarte­r Staatsoper.

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