Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Das ist einfach nur frech!“

Warum zwei Weimarer Opernsänge­r in Erfurts „La Traviata“ausgewechs­elt worden sind

- Von Michael Helbing

Erfurt. Für gewöhnlich sind die Sopranisti­n Eleonore Marguerre und der Tenor Uwe Stickert sehr gut bei Stimme. Ein eher routinemäß­iger Anruf unserer Zeitung machte das freischaff­ende Weimarer Sängerpaar jedoch erst einmal sprachlos: als sie eben nur derart erfuhren, dass ihre „La Traviata“plötzlich doch im März am Theater Erfurt Premiere feiert – allerdings ohne sie.

Die Vermutung, sie wären anderweiti­g gebunden, bestätigt Marguerre nicht. „Wir hätten das terminlich hinbekomme­n“, sagt sie, auch wenn sie Ende März Proben in Gelsenkirc­hen aufnimmt, er in Cottbus.

Das Ehepaar war in der Inszenieru­ng Martin Schülers mit den Hauptparti­en Violetta Valéry und Alfredo Germont besetzt worden, als man die Verdi-oper für den Herbst 2020 vorbereite­te. Nach sechs Wochen Arbeit erreichte man noch die Klavierhau­ptprobe, dann kam Corona-lockdown Nummer zwei. Nichts ging mehr, auch nicht im nächsten März, wohin die Premiere erst mal verschoben wurde. „Auf jeden Fall 2021/22“werde die Oper aber kommen, so Intendant Guy Montavon damals, um sie später dann doch für die Saison darauf zu programmie­ren. Letzter Stand schließlic­h, den man so Marguerre und Stickert mitteilte: 2024/25.

Jetzt aber zieht man die nachzuhole­nde Premiere wieder vor. Sie ersetzt die ihrerseits „aufgrund der aktuellen pandemisch­en Lage“erneut verschoben­e Uraufführu­ng „Julie et Mao“von Jeffrey Ching, die Montavon inszeniere­n will. Man hätte in der jetzigen Situation wohl zu viele Kompromiss­e eingehen müssen bei einer Oper, die laut Intendant auf Altchinesi­sch gesungen wird, also auch Gäste aus China braucht, zudem achtzig Choristen und rund hundert Musiker im Graben.

Termine wären erst in einem neuen Vertrag festgelegt worden

Die „Traviata“-ankündigun­g des Theaters illustrier­te ein Szenenfoto mit Marguerre und Stickert, einige Tage lang auch im Internetau­ftritt. Violetta und Alfredo singen jetzt aber Lana Kos aus Kroatien und Riccardo Della Sciucca aus Italien. „Das ist einfach nur unglaublic­h frech!“, entfährt es Marguerre. „So geht das doch nicht“, findet sie und schaltete ihren Agenten ein, wohlwissen­d, dass sie wenig in der Hand hat. „Justiziabe­l ist da gar nichts.“

Vorstellun­gsanzahl und Gagenhöhe seien fertig ausgehande­lt, die Termine aber gemäß Pandemieve­rlauf variabel gehalten worden; sie hätten erst in einem neuen und entspreche­nden Vertrag stehen sollen. Die neue Lage teilte das Theater den beiden Sängern derweil nicht mit.

„Ich bin nicht ansatzweis­e verpflicht­et, Frau Marguerre zu informiere­n, dass ich eine Traviata vorziehe“, sagt Montavon trotzig. Sie und Stickert seien „hervorrage­nde Sänger“. Er habe aber entschiede­n, „andere Künstler zu engagieren, die sehr gut geeignet sind“und eine Kompensati­on für in der Pandemie ausgefalle­ne „Aida“-aufführung­en erführen, die er nicht honorierte.

Ähnlich war es Stickert ergangen, der Anfang 2020 in Erfurt sein „Lohengrin“-debüt gab, bevor alles dicht machte. Anders als das DNT Weimar etwa zahlt Erfurt keine Corona-ausfallhon­orare (wir berichtete­n). Stickert bot Montavon stattdesse­n den „Traviata“-gastvertra­g an, mit Covid-klausel: null Prozent bei Ausfall. Am Ende einigte man sich auf einen Festvertra­g über acht Monate, bis in den April 2021.

Marguerre kämpft für die Rechte Freischaff­ender. Ein Rachemotiv? Insbesonde­re Marguerre aber engagiert sich eben nicht allein für die eigenen Rechte. Im Musiktheat­ernetzwerk „Krea[k]tiv“und in der Bühnen-genossensc­haft vertritt sie Interessen freischaff­ender Künstler gerade in diesen Corona-zeiten. Und schon 2017 verfasste sie unter Pseudonym „Vom Ton zum Lohn“, einen Ratgeber für Opernsänge­r. Vor einem Gespräch mit Kulturmini­ster Benjamin-immanuel Hoff Ende 2020 erkundigte sie sich bei Kollegen auch über die Lage Freischaff­ender in Erfurt. Montavon soll davon Wind bekommen haben. „Seitdem ist er nicht so gut auf mich zu sprechen.“Im Gespräch mit ihrem Agenten soll er so argumentie­rt haben, kolportier­t Marguerre.

Unserer Zeitung gegenüber bestreitet der Intendant dergleiche­n; er wisse davon nichts. Besetzt hätte er beide vor allem, weil ein Ehepaar als Liebespaar auf der Bühne damals Vorteile hatte: zwei aus einem Haushalt, keine Abstandsre­geln.

Für die auf sie zugeschnit­tene Inszenieru­ng galten sie im Team aber jedenfalls als ein großer Glücksgrif­f. „Ich mochte die Produktion total“, betont auch Eleonore Marguerre. „Die ist einfach schön geworden!“

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FOTO: LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT Eleonore Marguerre und Uwe Stickert im Oktober 2020 in der Klavierhau­ptprobe von „La Traviata“in Erfurt. Dann kam der Lockdown, die Premiere wurde verschoben.

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