„Das ist einfach nur frech!“
Warum zwei Weimarer Opernsänger in Erfurts „La Traviata“ausgewechselt worden sind
Erfurt. Für gewöhnlich sind die Sopranistin Eleonore Marguerre und der Tenor Uwe Stickert sehr gut bei Stimme. Ein eher routinemäßiger Anruf unserer Zeitung machte das freischaffende Weimarer Sängerpaar jedoch erst einmal sprachlos: als sie eben nur derart erfuhren, dass ihre „La Traviata“plötzlich doch im März am Theater Erfurt Premiere feiert – allerdings ohne sie.
Die Vermutung, sie wären anderweitig gebunden, bestätigt Marguerre nicht. „Wir hätten das terminlich hinbekommen“, sagt sie, auch wenn sie Ende März Proben in Gelsenkirchen aufnimmt, er in Cottbus.
Das Ehepaar war in der Inszenierung Martin Schülers mit den Hauptpartien Violetta Valéry und Alfredo Germont besetzt worden, als man die Verdi-oper für den Herbst 2020 vorbereitete. Nach sechs Wochen Arbeit erreichte man noch die Klavierhauptprobe, dann kam Corona-lockdown Nummer zwei. Nichts ging mehr, auch nicht im nächsten März, wohin die Premiere erst mal verschoben wurde. „Auf jeden Fall 2021/22“werde die Oper aber kommen, so Intendant Guy Montavon damals, um sie später dann doch für die Saison darauf zu programmieren. Letzter Stand schließlich, den man so Marguerre und Stickert mitteilte: 2024/25.
Jetzt aber zieht man die nachzuholende Premiere wieder vor. Sie ersetzt die ihrerseits „aufgrund der aktuellen pandemischen Lage“erneut verschobene Uraufführung „Julie et Mao“von Jeffrey Ching, die Montavon inszenieren will. Man hätte in der jetzigen Situation wohl zu viele Kompromisse eingehen müssen bei einer Oper, die laut Intendant auf Altchinesisch gesungen wird, also auch Gäste aus China braucht, zudem achtzig Choristen und rund hundert Musiker im Graben.
Termine wären erst in einem neuen Vertrag festgelegt worden
Die „Traviata“-ankündigung des Theaters illustrierte ein Szenenfoto mit Marguerre und Stickert, einige Tage lang auch im Internetauftritt. Violetta und Alfredo singen jetzt aber Lana Kos aus Kroatien und Riccardo Della Sciucca aus Italien. „Das ist einfach nur unglaublich frech!“, entfährt es Marguerre. „So geht das doch nicht“, findet sie und schaltete ihren Agenten ein, wohlwissend, dass sie wenig in der Hand hat. „Justiziabel ist da gar nichts.“
Vorstellungsanzahl und Gagenhöhe seien fertig ausgehandelt, die Termine aber gemäß Pandemieverlauf variabel gehalten worden; sie hätten erst in einem neuen und entsprechenden Vertrag stehen sollen. Die neue Lage teilte das Theater den beiden Sängern derweil nicht mit.
„Ich bin nicht ansatzweise verpflichtet, Frau Marguerre zu informieren, dass ich eine Traviata vorziehe“, sagt Montavon trotzig. Sie und Stickert seien „hervorragende Sänger“. Er habe aber entschieden, „andere Künstler zu engagieren, die sehr gut geeignet sind“und eine Kompensation für in der Pandemie ausgefallene „Aida“-aufführungen erführen, die er nicht honorierte.
Ähnlich war es Stickert ergangen, der Anfang 2020 in Erfurt sein „Lohengrin“-debüt gab, bevor alles dicht machte. Anders als das DNT Weimar etwa zahlt Erfurt keine Corona-ausfallhonorare (wir berichteten). Stickert bot Montavon stattdessen den „Traviata“-gastvertrag an, mit Covid-klausel: null Prozent bei Ausfall. Am Ende einigte man sich auf einen Festvertrag über acht Monate, bis in den April 2021.
Marguerre kämpft für die Rechte Freischaffender. Ein Rachemotiv? Insbesondere Marguerre aber engagiert sich eben nicht allein für die eigenen Rechte. Im Musiktheaternetzwerk „Krea[k]tiv“und in der Bühnen-genossenschaft vertritt sie Interessen freischaffender Künstler gerade in diesen Corona-zeiten. Und schon 2017 verfasste sie unter Pseudonym „Vom Ton zum Lohn“, einen Ratgeber für Opernsänger. Vor einem Gespräch mit Kulturminister Benjamin-immanuel Hoff Ende 2020 erkundigte sie sich bei Kollegen auch über die Lage Freischaffender in Erfurt. Montavon soll davon Wind bekommen haben. „Seitdem ist er nicht so gut auf mich zu sprechen.“Im Gespräch mit ihrem Agenten soll er so argumentiert haben, kolportiert Marguerre.
Unserer Zeitung gegenüber bestreitet der Intendant dergleichen; er wisse davon nichts. Besetzt hätte er beide vor allem, weil ein Ehepaar als Liebespaar auf der Bühne damals Vorteile hatte: zwei aus einem Haushalt, keine Abstandsregeln.
Für die auf sie zugeschnittene Inszenierung galten sie im Team aber jedenfalls als ein großer Glücksgriff. „Ich mochte die Produktion total“, betont auch Eleonore Marguerre. „Die ist einfach schön geworden!“