Thüringer Allgemeine (Weimar)

Was die Ukraine-krise für Anleger bedeutet

Die Gefahr eines Krieges ist am Finanzmark­t noch nicht eingepreis­t. An manchen Börsen könnte es turbulent werden

- Von Tobias Kisling

Berlin. Der Konflikt zwischen der Ukraine und Russland spitzt sich zu – doch an den Börsen passiert wenig. Der Deutsche Aktieninde­x (Dax) bewegt sich in dieser Woche im Bereich zwischen 15.100 und 15.600 Punkten. Selbst die von Außenminis­terin Annalena Baerbock (Grüne) getätigte Ankündigun­g, Deutschlan­d sei „bereit, einen hohen wirtschaft­lichen Preis zu zahlen“, um der Ukraine mit Sanktionen gegen Russland beizustehe­n, ließ die Börse kalt.

„Die Börse ignoriert den Ukraine-russland-konflikt bisher“, sagt Christian Kahler im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Chefanlage­stratege der Dz-bank, der Zentralban­k der Volks- und Raiffeisen­banken in Deutschlan­d, sieht Parallelen zur Annexion der Krim 2014: „Auch damals haben die Märkte erst reagiert, als es bereits so weit war.“

Dabei hasst die Börse eigentlich Unsicherhe­iten. Und Unsicherhe­iten bietet die Krise zuhauf. Was heißt das für die Geldanlage? „Was langfristi­ges Vermögen angeht, lautet die Devise: Augen zu und durch“, sagt Ulrich Kater im Gespräch mit unserer Redaktion. Der Ökonom war früher Mitglied im Rat der Wirtschaft­sweisen, seit 2004 ist er Chefvolksw­irt der Dekabank, des Wertpapier­hauses der deutschen Sparkassen. Wer indes im nächsten halben Jahr Geld brauche, der sollte einen Blick in sein Depot werfen, rät Kater. Unsere Redaktion macht den Depotcheck:

Aktien

Wer breit investiert hat, etwa in einem weltweit agierenden Fonds, sollte nach Einschätzu­ng des Experten gut auf alle denkbaren Szenarien eines Konflikts vorbereite­t sein. „Derzeit laufen die Aktien von Us-banken, großen Us-technologi­ewerten und weltweiten Ölversorge­rn gut – und damit die Titel, die beispielsw­eise im MSCI World hoch gewichtet sind“, sagt Kahler. Viele Anleger neigen allerdings zum sogenannte­n Home Bias, sie legen sich vor allem Wertpapier­e aus dem eigenen Land ins Depot. Das könnte in der jetzigen Situation ein Nachteil sein. Denn der Dax ist geprägt von sogenannte­n zyklischen Werten, also Unternehme­n, die in einem besonderen Maße von der Entwicklun­g der Konjunktur abhängig sind, beispielsw­eise Industrieu­nternehmen. Die wiederum sind auf günstige Energie aus Russland angewiesen. Laut Kahler könnte der Dax im Falle einer Eskalation um mehr als zehn Prozentpun­kte zurücksetz­en. Danach müsste man schauen, wie sich der Konflikt weiterentw­ickeln würde. Bei bisherigen Konflikten, etwa im Irak 2003, aber auch im Syrienkonf­likt, hatten sich die Kurse nach deutlichen Verlusten zeitnah wieder erholt – aber „ein Krieg in Europa wäre ein neues Szenario und dürfte sich auf die hiesigen Börsen anders auswirken“.

Allerdings gibt es auch schon heute Auswirkung­en an den Börsen: „Besonders betroffen sind heute bereits Aktien, Renten und Währungen aus Russland und der Ukraine, die deutlich nachgegebe­n haben“, sagte Ulrich Stephan, Chefanlage­stratege der Privatkund­enbank Deutschlan­d der Deutschen Bank, unserer Redaktion. An der Moskauer Börse ging es bereits steil abwärts. Der in Dollar gehandelte russische Index RTS verlor zwischenze­itlich mehr als 25 Prozent.

Gold

Viele Privatanle­ger schätzen Gold als vermeintli­ch sicheren Hafen und Krisenwähr­ung. Die Analysten sind aber skeptisch. „Im Falle einer

Eskalation könnte der Goldpreis zwar um zehn Prozent nach oben gehen“, sagt Kater. Aber ein sicherer Hafen sei es auch nicht, da auch Gold weiter Kursschwan­kungen unterliege­n würde. Dz-bank-chefanlage­stratege Kahler fehlt beim Gold die Fantasie. „Da sind derzeit eher Kryptowähr­ungen gefragt“, sagt er.

Bundesanle­ihen

Wer defensiv investiert, hat mitunter Staatsanle­ihen im Depot – die aber keine Rendite bringen. Im Januar lag die Rendite der zehnjährig­en Bundesanle­ihe bei minus 0,06 Prozent – immerhin. Zu Beginn der Corona-krise lag sie bei minus 0,83 Prozent. Anleger zahlten also drauf. Zuletzt zog die Rendite aber an und lag mit mehr als 0,2 Prozent im positiven Bereich. „Die Bundesanle­ihe würde im Falle einer Eskalation gefragter werden, die Rendite einen Dämpfer bekommen“, schätzt Kater.

Rohstoffe

An den Rohstoffmä­rkten geht es turbulent zu. „Der Gaspreis ist zwar gemessen an niederländ­ischen Terminkont­rakten von in der Spitze 181 Euro auf 75 Euro pro Megawattst­unde gefallen, liegt aber immer noch wesentlich über dem Niveau von knapp gut 15 Euro vor zwölf Monaten“, sagt Deutscheba­nk-chefanlage­stratege Ulrich Stephan. Auch Öl bleibt teuer: Ein Barrel (rund 159 Liter) der Nordsee-sorte Brent kostet derzeit über 90 Dollar (rund 79 Euro) – 15 Prozent mehr als zum Jahresanfa­ng.

Doch Russland ist nicht nur Energielie­ferant. Es ist der weltweit fünftgrößt­e Förderer von Eisenerz, hat die viertgrößt­en Nickelvork­ommen der Welt und ist der drittgrößt­e Palladiump­roduzent.

Im Falle einer Eskalation hält Deka-chefvolksw­irt Kater einen höheren Gaslieferp­reis von mehr als zehn Prozent für realistisc­h. Der Ölpreis könnte kurzfristi­g auf über 100 Dollar steigen, schätzt Dz-bank-chefanlage­stratege Kahler. Aber: „Wir gehen davon aus, dass wir in einem Jahr wieder bei 75 Dollar pro Barrel liegen werden.“Lohnt sich die Spekulatio­n auf steigende Rohstoffpr­eise am Terminmark­t dennoch? „Das wäre mir ein zu heißes Eisen, da ist es eigentlich schon zu spät für“, sagt Kahler.

„Was langfristi­ges Vermögen angeht, lautet die Devise: Augen zu und durch.“

Chefvolksw­irt der Dekabank

 ?? FOTO: TED SHAFFREY / DPA ?? An der Wall Street spielt der Ukraine-konflikt kaum eine Rolle – ein Vorteil für breit investiere­nde Anlegerinn­en und Anleger.
FOTO: TED SHAFFREY / DPA An der Wall Street spielt der Ukraine-konflikt kaum eine Rolle – ein Vorteil für breit investiere­nde Anlegerinn­en und Anleger.
 ?? ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany