Legendäre Frage und Hundertstel-drama
Wo ist Behle? Die Antwort auf die legendäre Frage fällt in diesen Tagen anders aus als vermutet. Obwohl der 61-Jährige als Experte für Eurosport über die olympischen Skilanglauf-wettbewerbe fachsimpelt, ist Jochen Behle nicht in China, sondern sitzt zu Hause in Willingen-schwalefeld an seinem Schreibtisch. „Die Coronablase ist in Peking extrem. Du kommst an keinen Sportler, Trainer oder irgendeine Person heran. Um Informationen zu erhalten muss man telefonieren, das kann ich auch von hier aus erledigen“, erzählt Behle in einem Interview.
Vor 42 Jahren erlangte er in Lake Placid auf kuriose Art Berühmtheit.
Ich nahm als gerade 13-Jähriger meine ersten Olympischen Winterspiele bewusst wahr. Begeistert guckte ich zu, wie Eric Heiden ebenso anmutig wie kraftvoll seinen Runden drehte und alle fünf Eisschnelllauf-distanzen gewann. In Erinnerung geblieben ist mir aber vor allem das Skilanglauf-rennen über 15 Kilometer. Es war der 17. Februar, ein Sonntag und der stand in unserer sportverrückten Familie ganz im Zeichen der Olympiaübertragung. Wie meistens lief Westfernsehen. Bei Sport wechselten wir zwar gewöhnlich mal zum DDR-TV, aber ob dort der Lauf übertragen wurde, weiß ich nicht mehr. Zumal mit Alf-gerd Deckert ohnehin nur ein Ddr-skilangläufer am Start war und als 37. unter ferner liefen einkam.
Nach fünf Kilometern hatte einer die beste Zeit, den niemand kannte. Ein (West)-deutscher, 19 Jahre alt, aus Willingen, war couragiert losgestürmt. Bloß zu sehen war er nicht. Zdf-sportreporter Bruno Moravetz wartete ebenso wie meine Brüder und ich vergeblich auf Bilder von der Startnummer 40. „Behle haben wir noch nicht gesehen. Haben sie was gegen Behle oder ist er nicht da oder was ist denn los?“, klagte Moravetz. Während die Usfernsehregie in den verschneiten Wäldern nur ihre Landsleute und die Favoriten einfing, klang der
Kommentator konsterniert. Mit seiner unverwechselbaren Reibeisenstimme sprach er seufzend immer wieder eine Frage ins Mikro: „Wo ist Behle?“
Diese drei Worte inspirierten später Marius Müller-westernhagen sogar zu einen gleichnamigen Song, der 1998 auf dem Album „Radio Maria“erschien, jedoch textlich als auch musikalisch kein Highlight darstellt.
Behle wurde schließlich als bester Mitteleuropäer beachtlicher Zwölfter – bei einem der spektakulärsten Langlaufrennen der Olympiageschichte. Nach 41 Minuten, 57 Sekunden und 64 Hundertstel lief Juha Mieto, der bärtige Recke aus Finnland, ins Ziel. Doch dann rauschte der Schwede Thomas Wassberg heran. Die Uhr blieb bei 41:55,63 Minuten stehen. Nur eine winzige Hundertstel Vorsprung also. Mathematiker berechneten, dass dies 3,3 Zentimeter ausmacht. Wassbergs Vorschlag, zwei Goldmedaillen zu vergeben, lehnte das
IOC ab. Damit sich solche Dramen nicht wiederholen, handelte der Weltverband. Seitdem zählt im Skilanglauf nur noch die erste Sekundenstelle hinter dem Komma.
Bleibt noch eine Frage. Wo ist Bruno Moravetz? Er verstarb 2013 im Alter von 92 Jahren und ist nun im Reporterhimmel.