Beflügelt vom Befreiungsschlag
Biathlon Herrmanns Einzel-sieg sorgt für reichlich Rückenwind vor dem Sprint-rennen
Zhangjiakou. In knapp zwei Jahrzehnten mit regelmäßigen internationalen Wettkämpfen hat Denise Herrmann einiges erlebt – das Gefühl, als frischgebackene Olympiasiegerin in ein Rennen zu gehen, war der munteren Wintersportlerin aus dem Erzgebirge bislang allerdings fremd. Mit ihrem Einzel-gold am Montag hat sich dieser Zustand schlagartig geändert, entsprechend bekommt der Sprint am Freitag (10 Uhr MEZ) für die frühere Langläuferin nun ein ganz besonderes Flair.
„Ich weiß nicht, wie es sich anfühlt, wenn man mit sowas im Rücken wieder am Start steht. Ich hoffe natürlich, dass sich das gut anfühlt – und es sich vielleicht ein bisschen leichter laufen lässt“, sinniert Herrmann vor der zweiten Einzelentscheidung. Fest steht, dass sie die Glücksmomente vom Wochenbeginn bewusst in den Hintergrund rücken möchte. „Es steht ja noch einiges an. Da muss man die Spannung jetzt hochhalten“, hämmert sich die 33-Jährige ein.
Gemeinsam mit der Ältesten im Team, die 2014 bereits eine olympische Bronzemedaille mit der Langlauf-staffel ergatterte und in Peking aktuell ihre dritten Spiele erlebt, wollen die drei anderen Starterinnen den Schwung aus Herrmanns Überraschungscoup mitnehmen. Die Basis für eine positive Fortsetzung jedenfalls ist gelegt: Olympianovizin Vanessa Voigt aus Rotterode schrammte bei ihrem vierten Platz im Einzel um 1,3 Sekunden nur haarscharf an einer Sensation vorbei. Teamkollegin Vanessa Hinz zeigte sich mit nur einem Fehlschuss bei 20 Versuchen und Rang 14 ebenfalls verbessert. Auch Franziska Preuß deutete bei ihrem ersten Rennen nach zwei Monaten Pause als 25. an, was in ihr steckt.
Fürs Erste lässt der Klassiker über 15 Kilometer erahnen, dass die Frauen-coaches Kristian Mehringer und Florian Steirer mit ihrer Trainingsplanung für den Olympiawinter richtig lagen. Der Thüringer Erik Lesser, nur 67. im Einzel, kritisierte vor Saisonbeginn gegenüber dieser Zeitung zum Beispiel, dass die Dsv-biathletinnen die finale Vorbereitung nicht wie die Männer im schneesicheren Norden Finnlands absolviert hätten. Sondern mit Obertilliach in Tirol die angenehmere Variante gewählt hätten.
Auffällig war zudem der starke Fokus in der weiblichen Abteilung auf Höhentrainingslagern. Und der macht sich bei Herrmann, die diese Schwerpunkte seit Jahren regelmäßig setzt, auf dem Kunstschnee in Chinas Bergen offenkundig im richtigen Augenblick bezahlt. Auch diesmal war die Wahl-ruhpoldingerin über Weihnachten wieder in Davos. Der Schweizer Kurort liegt mit 1560 Metern auf ähnlicher Höhe wie die knapp 1700 Meter hoch gelegene Anlage in Zhangjiakou. Schon zu Zeiten, als Herrmann sich noch bei den Spezialistinnen tummelte, bereiteten ihr Wettkämpfe in höheren Lagen Probleme. „Deswegen musste ich mich mit dem Thema befassen“, erklärt die erste deutsche Olympiasiegerin im Einzel seit Andrea Henkel (2002).
Ihr Triumph im Biathlon-klassiker sei laut Herrmann „irgendwie ein Befreiungsschlag“gewesen, der das gesamte Team erfasst habe. Ob dieser Flow die deutschen Skijägerinnen weiter auf der frischen Erfolgswelle reiten lässt, wird sich als nächstes im Sprint zeigen. Wobei für die Thüringerin Voigt bereits vor dem Startschuss klar ist: „Der Motivationsschub ist auf jeden Fall gegeben.“Denn: „Wir wissen alle, dass es das Team beflügelt – und es cool ist, eine Olympiasiegerin zu haben.“