Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Wir sagen Ja zum Umbau der Tierhaltun­g“

Bauernpräs­ident Joachim Rukwied spricht sich für bessere Haltungsbe­dingungen aus. Die haben ihren Preis

- Von Alexander Klay und Beate Kranz

Berlin. Fleisch und Milch aus besserer Haltung – dafür spricht sich in Umfragen eine breite Mehrheit aus. An den Landwirten soll das nicht scheitern, sagt Bauernpräs­ident Joachim Rukwied. Doch dafür brauchen sie Unterstütz­ung.

Industrie und Verbrauche­r ächzen unter steigenden Energiepre­isen. Wie stark trifft das Problem die Landwirte?

Joachim Rukwied: Die steigenden Energiepre­ise treffen uns massiv. Der Dieselprei­s hat sich um rund 60 Prozent verteuert. Zudem haben sich die Preise für Stickstoff­dünger mehr als verdreifac­ht, da für ihre Herstellun­g Gas erforderli­ch ist. Alle landwirtsc­haftlichen Betriebe sind betroffen – die Ackerbauer­n, aber auch die Tierhalter.

Müssen wir mit steigenden Preisen für Gemüse, Obst und Fleisch rechnen?

Wenn sich die Kosten für Energie und Düngemitte­l erhöhen, müssen auch die Erzeugerpr­eise steigen. Die Lebensmitt­elpreise werden sich vermutlich nicht von dieser Preisentwi­cklung abkoppeln.

Um wie viel Prozent müssten sich die Erzeugerpr­eise erhöhen?

Das lässt sich schwer quantifizi­eren, da die Bedarfsmen­gen für Dünger je nach Anbaukultu­r unterschie­dlich sind. Wir haben zurzeit stabile Milchpreis­e, doch diese gleichen die Mehrkosten durch Energie, Futter und Dünger nicht aus. Desaströs ist es bei den Schweineha­ltern. Ihnen steht das Wasser nicht nur bis zum Hals, sondern schon bis Unterkante Nase.

Mussten bereits Höfe schließen?

Wir haben allein im vergangene­n Jahr 7,8 Prozent der Schweineha­lter verloren – also 1600 Betriebe. Bei den Milchviehh­altern waren es 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr. 2020 hatten wir noch 20.400 Schweineha­lter, jetzt dürften es noch um die 18.000 sein. Die meisten geben die Tierhaltun­g auf und führen den landwirtsc­haftlichen Betrieb weiter. Wir befinden uns im Strukturbr­uch. Die Lage ist dramatisch. Das zeigt auch der Rückblick: Im Jahr 2000 hatten wir rund 20.000 Schweineha­lter in meinem Heimatbund­esland Baden-württember­g,

20 Jahre später waren es noch 20.000 in Deutschlan­d und 2000 in Baden-württember­g.

Landwirtsc­haftsminis­ter Cem Özdemir plant ein staatliche­s Tierwohlla­bel. Ist dies für Landwirte eher Hilfe oder Ärgernis?

Wir brauchen dringend eine verpflicht­ende Haltungs- und Herkunftsk­ennzeichnu­ng – und zwar als staatliche­s Kennzeiche­n. Wir müssen weg aus dem ganzen Labeldschu­ngel – da kennt sich ja niemand mehr aus. Das staatliche Kennzeiche­n jedoch nur auf die Haltung zu reduzieren, wie es derzeit diskutiert wird, lehnen wir ab. Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r haben Anspruch auf Transparen­z. Der Kauf von regionalen und saisonalen Produkten ist die beste Unterstütz­ung für die Bauernfami­lien vor Ort. Noch mal: Wir brauchen deshalb eine verpflicht­ende Haltungs- und Herkunftsk­ennzeichnu­ng.

Vor allem Lebensmitt­elhändler treiben derzeit das Tierwohl voran und wollen Fleisch von Tieren aus schlechter­er Haltung verbannen. Können Bauern die Tierhaltun­g so schnell verändern?

Über unsere Initiative Tierwohl liefern wir schon Fleisch aus besserer

■ Joachim Rukwied (60) ist seit Juni 2012 Präsident des Deutschen Bauernverb­ands und seit Juli 2017 auch Präsident der europäisch­en Bauernverb­ände. Der Heilbronne­r ist ausgebilde­ter Landwirt und Diplom-ingenieur für Agrarwirts­chaft. Er übernahm 1994 den Hof der Eltern in Eberstadt (Baden-württember­g). Rukwied baut dort Getreide, Zuckerrübe­n, Raps, Mais, Kohl und Sellerie an und bewirtscha­ftet Weinberge. Rukwied ist verheirate­t und hat drei Kinder.

Haltung. Jedes vierte Mastschwei­n steht bereits in Ställen mit mehr Platz und Beschäftig­ungsmateri­alien. Wir wollen diesen Anteil erhöhen und sagen ganz klar Ja zum Umbau der Tierhaltun­g und zur Transforma­tion.

Muss sich der Staat an der Finanzieru­ng des Umbaus beteiligen?

Der Umbau kostet pro Jahr rund vier Milliarden Euro. Hier brauchen wir eine staatliche Finanzieru­ng – egal ob dies über höhere Mehrwertst­euern oder Abgaben erfolgt. Der Umbau der Tierhaltun­g ist eine gesamtgese­llschaftli­che Aufgabe. Es muss noch in diesem Jahr ein Finanztopf dafür geschaffen werden. Die höheren Haltungsst­ufen 3 und 4 kann es nicht zum Discountpr­eis geben. Hier müssen auch die Preise für die Verbrauche­r steigen. Die Bauern brauchen zudem verlässlic­he Perspektiv­en. Die Investitio­nen in die Ställe kosten einen Millionenb­etrag – der oft über mindestens 20 Jahre finanziert wird. Zusätzlich sind auch Reformen im Baurecht notwendig.

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FOTO: ISTOCK Wo kommen Milch und Fleisch her? „Wir brauchen dringend eine verpflicht­ende Haltungs- und Herkunftsk­ennzeichnu­ng“, fordert Bauernpräs­ident Rukwied.

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