„Wir sagen Ja zum Umbau der Tierhaltung“
Bauernpräsident Joachim Rukwied spricht sich für bessere Haltungsbedingungen aus. Die haben ihren Preis
Berlin. Fleisch und Milch aus besserer Haltung – dafür spricht sich in Umfragen eine breite Mehrheit aus. An den Landwirten soll das nicht scheitern, sagt Bauernpräsident Joachim Rukwied. Doch dafür brauchen sie Unterstützung.
Industrie und Verbraucher ächzen unter steigenden Energiepreisen. Wie stark trifft das Problem die Landwirte?
Joachim Rukwied: Die steigenden Energiepreise treffen uns massiv. Der Dieselpreis hat sich um rund 60 Prozent verteuert. Zudem haben sich die Preise für Stickstoffdünger mehr als verdreifacht, da für ihre Herstellung Gas erforderlich ist. Alle landwirtschaftlichen Betriebe sind betroffen – die Ackerbauern, aber auch die Tierhalter.
Müssen wir mit steigenden Preisen für Gemüse, Obst und Fleisch rechnen?
Wenn sich die Kosten für Energie und Düngemittel erhöhen, müssen auch die Erzeugerpreise steigen. Die Lebensmittelpreise werden sich vermutlich nicht von dieser Preisentwicklung abkoppeln.
Um wie viel Prozent müssten sich die Erzeugerpreise erhöhen?
Das lässt sich schwer quantifizieren, da die Bedarfsmengen für Dünger je nach Anbaukultur unterschiedlich sind. Wir haben zurzeit stabile Milchpreise, doch diese gleichen die Mehrkosten durch Energie, Futter und Dünger nicht aus. Desaströs ist es bei den Schweinehaltern. Ihnen steht das Wasser nicht nur bis zum Hals, sondern schon bis Unterkante Nase.
Mussten bereits Höfe schließen?
Wir haben allein im vergangenen Jahr 7,8 Prozent der Schweinehalter verloren – also 1600 Betriebe. Bei den Milchviehhaltern waren es 4,4 Prozent weniger als im Vorjahr. 2020 hatten wir noch 20.400 Schweinehalter, jetzt dürften es noch um die 18.000 sein. Die meisten geben die Tierhaltung auf und führen den landwirtschaftlichen Betrieb weiter. Wir befinden uns im Strukturbruch. Die Lage ist dramatisch. Das zeigt auch der Rückblick: Im Jahr 2000 hatten wir rund 20.000 Schweinehalter in meinem Heimatbundesland Baden-württemberg,
20 Jahre später waren es noch 20.000 in Deutschland und 2000 in Baden-württemberg.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir plant ein staatliches Tierwohllabel. Ist dies für Landwirte eher Hilfe oder Ärgernis?
Wir brauchen dringend eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung – und zwar als staatliches Kennzeichen. Wir müssen weg aus dem ganzen Labeldschungel – da kennt sich ja niemand mehr aus. Das staatliche Kennzeichen jedoch nur auf die Haltung zu reduzieren, wie es derzeit diskutiert wird, lehnen wir ab. Verbraucherinnen und Verbraucher haben Anspruch auf Transparenz. Der Kauf von regionalen und saisonalen Produkten ist die beste Unterstützung für die Bauernfamilien vor Ort. Noch mal: Wir brauchen deshalb eine verpflichtende Haltungs- und Herkunftskennzeichnung.
Vor allem Lebensmittelhändler treiben derzeit das Tierwohl voran und wollen Fleisch von Tieren aus schlechterer Haltung verbannen. Können Bauern die Tierhaltung so schnell verändern?
Über unsere Initiative Tierwohl liefern wir schon Fleisch aus besserer
■ Joachim Rukwied (60) ist seit Juni 2012 Präsident des Deutschen Bauernverbands und seit Juli 2017 auch Präsident der europäischen Bauernverbände. Der Heilbronner ist ausgebildeter Landwirt und Diplom-ingenieur für Agrarwirtschaft. Er übernahm 1994 den Hof der Eltern in Eberstadt (Baden-württemberg). Rukwied baut dort Getreide, Zuckerrüben, Raps, Mais, Kohl und Sellerie an und bewirtschaftet Weinberge. Rukwied ist verheiratet und hat drei Kinder.
Haltung. Jedes vierte Mastschwein steht bereits in Ställen mit mehr Platz und Beschäftigungsmaterialien. Wir wollen diesen Anteil erhöhen und sagen ganz klar Ja zum Umbau der Tierhaltung und zur Transformation.
Muss sich der Staat an der Finanzierung des Umbaus beteiligen?
Der Umbau kostet pro Jahr rund vier Milliarden Euro. Hier brauchen wir eine staatliche Finanzierung – egal ob dies über höhere Mehrwertsteuern oder Abgaben erfolgt. Der Umbau der Tierhaltung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es muss noch in diesem Jahr ein Finanztopf dafür geschaffen werden. Die höheren Haltungsstufen 3 und 4 kann es nicht zum Discountpreis geben. Hier müssen auch die Preise für die Verbraucher steigen. Die Bauern brauchen zudem verlässliche Perspektiven. Die Investitionen in die Ställe kosten einen Millionenbetrag – der oft über mindestens 20 Jahre finanziert wird. Zusätzlich sind auch Reformen im Baurecht notwendig.