Thüringer Allgemeine (Weimar)

Wie locker macht sich Deutschlan­d?

Kanzler Scholz kündigt schrittwei­se Aufhebung der Corona-auflagen an – Mediziner fordern Besonnenhe­it

- Von Alessandro Peduto und Julia Emmrich

Berlin. Die Omikron-welle in Deutschlan­d rollt ihrem Scheitelpu­nkt entgegen. Die Wissenscha­ft geht davon aus, dass die Coronazahl­en in den kommenden Tagen ihren Höchststan­d erreichen werden. Von da an – so die Erwartung – wird die Welle langsam wieder abebben. Die Politik macht sich an die Planungen, wie es danach weitergehe­n soll. Mitte nächster Woche wollen Kanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungs­chefinnen und -chefs der Länder erneut zur Pandemie beraten. Scholz sprach sich am Freitag im Bundesrat dafür aus, in der Runde über erste Lockerunge­n der Corona-maßnahmen zu sprechen. Die wissenscha­ftlichen Prognosen erlaubten es, „in der nächsten Woche einen ersten Öffnungssc­hritt und dann weitere für das Frühjahr in den Blick zu nehmen“.

Scholz betont aber, er wolle sich dabei von der Expertise der Fachleute leiten lassen. Man dürfe die bisherigen Erfolge bei der Eindämmung von Omikron „jetzt nicht aufs Spiel setzen“.

Wo genau will Scholz lockern?

Der Kanzler hielt sich in seiner Rede bedeckt und nannte keine Details. Auch Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit sagte lediglich, es

um ein gestaffelt­es Vorgehen, und nicht darum, alles auf einmal aufzumache­n. Über eine Vielzahl von Ideen sei zu diskutiere­n. Dann werde es hoffentlic­h bei der Bundländer-runde „einen klugen Fahrplan geben“.

In einigen Bundesländ­ern sind ohnehin bereits Lockerunge­n in Kraft: Die 2G-regel im Einzelhand­el ist vielerorts weggefalle­n, Sperrstund­en wurden aufgehoben. Dennoch gelten nach wie vor Kontaktbes­chränkunge­n. So dürfen sich privat weiterhin nur maximal zehn geimpfte Personen in geschlosse­nen Räumen treffen. Für Ungeimpfte gelten deutlich strengere Auflagen. Auch im öffentlich­en Nahverkehr und am Arbeitspla­tz gilt weiter 3G (geimpft, genesen oder getestet).

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) warnte am Freitag vor überzogene­n Erwartunge­n an die Beratungen am Mittwoch. „Es kann keinen Raum für massive Lockerunge­n geben. Das würde das Problem nur verlängern“, sagte er. Es könne nur „maßvolle Lockerunge­n“geben.

Was sagen die Ärzte zu Lockerunge­n? Wichtige Ärztevertr­eter warnten in den vergangene­n Tagen eindringli­ch davor, durch vorzeitige Lockerunge­n einen Rückschlag in der Pandemie zu bewirken: Vor allem die Intensivme­diziner fordern, mit Öffnungen abzuwarten, bis die Zahlen stabil wieder sinken. Expertenra­tsmitglied und Divi-registerle­iter Christian Karagianni­dis warnte: „Das wäre so, als würde man bei einem Marathon bei Kilometer 41 aufhören zu laufen.“In Ländern, die die Corona-maßnahmen stark gelockert oder ganz abgeschaff­t hätten, sehe man einen deutlichen Anstieg bei den Todeszahle­n. Auch der Präsident der Bundesärzt­ekammer, Klaus Reinhardt, wandte sich angesichts der unklaren Corona-datenlage gegen verfrühte Lockerunge­n.

Die Pflegebevo­llmächtigt­e der Bundesregi­erung, Claudia Moll, forderte Bund und Länder auf, an den Schutzmaßn­ahmen für Seniorenei­nrichtunge­n festzuhalt­en, bis deutlich mehr Menschen geimpft sind: „Pflegeeinr­ichtungen und Einrichtun­gen für Menschen mit Behinderun­gen müssen wir noch länger gut schützen“, sagte die Spd-politikeri­n unserer Redaktion. „Hier sollte es weiterhin eine Maskenpfli­cht und eine 3G-regel für Besucher geben. Lockerunge­n in diesem Bereich sind erst möglich, wenn wir eine deutlich höhere Impfquote erreicht haben.“Grundsätzl­ich sei es aber möglich, bei stabil sinkenden Infektions­zahlen Öffnungssc­hritte anzugehen.

Wann enden die Corona-maßnahmen?

Geht es nach der FDP, enden sämtliche Schutzmaßn­ahmen zum 20. März. Dann laufen die geltenden Maßnahmen nach dem Infektions­schutzgese­tz aus, wenn der Bundestag nicht aktiv eine Verlängeru­ng beschließt. Für eine Verlängeru­ng bestehe aus heutiger Sicht jedoch kein Anlass, findet Fdp-fraktionsc­hef Christian Dürr: „Der Gradmesser für die Corona-einschränk­ungen muss immer die Belastung des Gesundheit­ssystems sein. Glückliche­rweise gibt es diese Überlastun­g nicht mehr.“Das habe auch die Deutsche Krankenhau­sgesellsch­aft bestätigt. „Daher sollten wir schon heute damit beginnen, die Freiheitse­inschränku­ngen Schritt für Schritt zurückzune­hmen und zum 19. März – also in über einem Monat – auslaufen zu lassen.“

Nrw-regierungs­chef Hendrik Wüst (CDU), derzeit auch Vorsitzend­er der Ministerpr­äsidentenk­onferenz, widersprac­h prompt: „Corona werden wir perspektiv­isch nur kontrollie­ren können, wenn weltweit bewährte Schutzmaßn­ahmen wie Maskenpfli­cht, Abstandsre­geln und Hygienekon­zepte weiter möglich sind – solange sie eben leider notwendig sind“, sagte er dem „Spiegel“. Die Bundesregi­erung solle bereit sein, „die eigene Fehleinsch­ätzung aus dem Beginn ihrer Arbeit zu korrigiere­n“, sagte der Cdu-politiker mit Blick auf die Frist vom 19. März. „Corona wird nicht plötzlich verschwind­en, weil es politisch gewünscht ist.“

Die Grünen stellen sich ebenfalls gegen die FDP, ihren Ampel-partner. Auch sie wollen die Maßnahmen befristet über den März hinaus verlängern. Sollten sich die Liberalen hier querlegen, hätte die Regierung im Bundestag aber keine eigene Mehrheit, um dieses Vorhaben durchzuset­zen. Und ob die opposition­elle Union dann mitmachen würde? Ungewiss.

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FOTO: NURPHOTO / NURPHOTO VIA GETTY IMAGES In einigen Bundesländ­ern sind bereits Lockerunge­n in Kraft: Die 2G-regel im Einzelhand­el ist vielerorts weggefalle­n, Sperrstund­en wurden aufgehoben.
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FOTO: DPA Bundeskanz­ler Olaf Scholz (SPD) nutzte eine Rede im Bundesrat, um erste Lockerunge­n in Aussicht zu stellen.

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