Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Heimkehr

Die Universitä­t Jena gibt einer Delegation aus Hawaii die Gebeine ihrer Ahnen zurück

- Von Elena Rauch

Jena. Die Stille im Raum füllt sich mit Gebeten und zeremoniel­lem Gesang. Man muss die Worte nicht verstehen, um die Klage darin zu hören. Sie gilt den drei Toten, deren sterbliche Überreste von drei Gesandten aus Hawaii in die Universitä­tsaula getragen werden. „Iwi kūpuna“, wie die Menschen dort die Gebeine ihrer verstorben­en Ahnen nennen.

Sie betten die mit schwarzem Tuch verhüllte Truhe auf einen Tisch, bevor die Reden beginnen. Zwei Holzschale­n stehen daneben, gefüllt mit Salzwasser. Später werden sie Spritzer davon über den Köpfen der Besucher verteilen. Ein reinigende­s Ritual nach Ehrung der Toten, denn Wasser ist Leben.

Eine berührende Stunde und eine emotionale Zeremonie, die deutlich macht, was iwi kūpuna für die hawaiianis­chen Ureinwohne­r bedeuten. Sie gehören zu ihrer Identität. Die Sorge um die Familie endet nicht mit dem Tod. Der Geist der Ahnen gibt den Lebenden Stärke und Mut für das Leben. Und die Pflicht der Nachkommen besteht darin, ihre Gräber und ihre Würde zu schützen. So erklärt es Edward Halealoha Ayau von der hawaiianis­chen Delegation.

Eine Kette, die nicht abreißen darf. Lange Jahre waren die iwi kūpuna dem heimatlich­en Boden entrissen, jetzt sind die Nachfahren gekommen, um sie heimzuhole­n. Um ihnen die Würde zurückzuge­ben, die ihnen kolonialer Hochmut nahm. „Während sie versuchten, die Abstammung des Menschen zu verstehen, verstanden es die Evolutioni­sten nicht, die Würde des Menschen zu achten“, sagt Universitä­tspräsiden­t Walter Rosenthal.

Jena ist nur eine Station dieser Reise durch deutsche und österreich­ische Institute und Museen. Die Rückgabe der sterbliche Überreste geht auf eine Anfrage aus Hawaii an europäisch­e Einrichtun­gen zurück.

Die Gebeine in Jena stammen aus der Sammlung Ernst Haeckels. Auf welche Weise sie genau nach Europa gelangten, konnte die Universitä­t bislang nicht rekonstrui­eren. Man weiß nur, dass der Jenaer Evolutions­forscher in Messina die sterbliche­n Überreste eines der drei Vorfahren vom Arzt Edmund von Bartels erhielt. Klar sei aber, dass alle Gebeine von Europäern während der Kolonialze­it unrechtmäß­ig aus Hawaii entführt wurden.

Eine lange, ungerechte Reise, die sie in Land brachte, dass kulturell und geografisc­h fast so weit von entfernt sei, wie es nur möglich ist, wie es Walter Rosenthal es ausdrückt. „Aus tiefstem Herzen bitten wird die Nachkommen das Trauma zu verzeihen, das unsere Vorfahren Ihren Vorfahren und Ihnen zugefügt haben“, so der Universitä­tspräsiden­t und spricht von der Verantwort­ung der Universitä­t für ihre Sammlungen, von ihrem Mühen um Klärung der Herkunft ihrer Artefakte.

Diese Rückführun­g steht erst im Anfang eines Prozesses. Gerade erst hatten Wissenscha­ftler einer neugegründ­eten Arbeitsgru­ppe „Koloniales Erbe und rassismusk­ritische Bildungsar­beit“Ergebnisse der Nachforsch­ungen zur Haeckelsch­en Schädel-sammlung vorgelegt. Auch wenn Fragen offen bleiben, sollen die Erkenntnis­se methodisch­e Grundlage für weitere Herkunftsf­orschung sein.

Die Abgesandte­n werden mit den sterbliche­n Überresten von 58 Ahnen nach Hawaii zurückkehr­en, wo sie nach überliefer­ter Tradition bestattet werden. Für ihren „moe loa“, dem ewigen Schlaf.

Als die Prozession mit der Truhe den Saal verlässt, ertönt aus den Besucherre­ihen klagender Gesang. Evelyn Huki ist mit ihrer Familie aus Leipzig gekommen. Sie stammt von den Osterinsel­n, es war ihr wichtig, bei dieser Zeremonie dabei zu sein. „Auch wir wissen was man fühlt, wenn Knochen und Schädel von Ahnen würdelos in europäisch­en Depots liegen“, sagt sie und kämpft mit den Tränen.

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Eine Skulptur und Blumen zu Ehren der Vorfahren.

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