Thüringer Allgemeine (Weimar)

Friedrich, der Große

Bobsport Wie Francesco Friedrich der beste Pilot der Welt wurde

- Von Peter Wenig

Erfurt. Seinen ersten großen öffentlich­en Auftritt hat Francesco Friedrich bei diesen Spielen bereits hinter sich. Bei der Eröffnungs­feier trug der weltbeste Bob-pilot mit Eisschnell­läuferin Claudia Pechstein die deutsche Fahne. Ab Montag wird es für den 31-Jährigen aus dem sächsische­n Pirna auf gewohntem Terrain ernst. Im Zweier- und im Vierer-bob will er wie 2018 im südkoreani­schen Pyeongchan­g Olympiasie­ger werden. 2021 blieb er bei allen Wettkämpfe­n ungeschlag­en.

Auf der Suche nach dem Erfolgsgeh­eimnis des dreizehnma­ligen Weltmeiste­rs lohnt ein Gespräch mit René Spies. „Franz ist jemand, der unfassbar akribisch arbeitet“, so der Bundestrai­ner: „Ich kenne keinen anderen Bobfahrer, der alle Facetten unserer Sportart so profession­ell bedient. Von der Athletik über Training im Eiskanal bis zum Kümmern um das beste Material.“

Was Spies meint, war bei den Weltcup-rennen zu beobachten – etwa in Innsbruck im November. Durch die strengen Corona-maßnahmen im Hochinzide­nzgebiet Tirol lebte das Team in einer Blase, pendelte nur zwischen Leichtathl­etik-halle, Bahn und Hotel. Friedrich nahm dies kaum wahr: „Für Besuche in der Altstadt wäre sowieso kaum Zeit gewesen.“

Stattdesse­n: Training, Training, Training. Man hätte denken können, dass sich das „Team Friedrich“auf ein Leichtathl­etik-event vorbereite­t. Mit Hürdenläuf­en, Trampolin-sprüngen und Krafttrain­ing. Dabei überrasche­n die Leistungen der Anschieber nicht – viele Bob-teams setzen seit Jahren auf ehemalige Leichtathl­eten. Thorsten Margis, 2018 Anschieber bei Friedrichs Olympiasie­g im Zweier, kommt aus dem Zehnkampf. Candy Bauer, Anschieber in Friedrichs Gold-vierer, war einst Kugelstoße­r. Wirklich verblüffen­d indes der Chef: Friedrich schultert im Krafttrain­ing bei Kniebeugen 200-Kilo-hanteln und kann seinen Oberkörper nach hinten biegen wie ein Yoga-lehrer. „Franz bringt wahnsinnig­e athletisch­e Fähigkeite­n mit“, sagt Spies.

Jeden Abend wechselte das „Team Friedrich“in den zur Werkstatt umfunktion­ierten Keller des Hotels. Mit feinem Schleifpap­ier wurden die Kufen poliert, aus dem Lautsprech­er tönte ein Podcast mit Steuerspar­tipps. Beim Material zählt für Friedrich nur das Beste, für einen Spitzensat­z Kufen zahlt er bis zu 15.000 Euro. „Ich war immer ein Materialtü­ftler“, sagt Friedrich.

Doch weder Athletik noch Akribie allein können seinen Erfolg erklären. Die Historie kennt Legionen hochtalent­ierter Sportlern, die ewige zweite Sieger blieben, weil sie im entscheide­nden Moment an ihren Nerven scheiterte­n. Nicht so Friedrich. „Ich bin jetzt seit 30 Jahren in der Bobszene dabei. Aber ich habe noch nie einen Piloten mit diesem Killerinst­inkt erlebt“, so Spies.

Berlin, Ende August. Friedrich kommt zum Interview in ein Hotel. Im persönlich­en Gespräch wirkt er nicht wie ein Dominator, spricht leise und nachdenkli­ch. Wir reden über Familiengl­ück, 2014 heiratete er seine Jugendfreu­ndin Magdalena, das Paar hat zwei Söhne. Friedrich lehnt Homestorys strikt ab, Privates bleibt privat. Wir sprechen über den harten Kampf um die Finanzieru­ng

seines Sports. Den Slogan auf seinem Bob „Eine Region schiebt an“betrachtet Friedrich als Verpflicht­ung. Er backt Brot für die örtliche Landbäcker­ei, verlost Helme und Mützen bei Wohltätigk­eitsverans­taltungen.

Und dann sprechen wir über den Moment, der seine Karriere hätte beenden können, bevor sie wirklich begann. An diesem Tag im November 2006 steuert der 16-jährige Francesco Friedrich einen Zweierbob durch die Heimatbahn in Altenberg, es ist erst seine siebte Fahrt als Pilot. Hinter ihm sitzt sein vier Jahre älterer Bruder David, der ein Jahr zuvor in einem Viererbob schwer stürzte und drei Wochen mit schwerem Schädelhir­ntrauma im Koma lag. In Kurve 13 verdreht sich Francescos Helm, er sieht nichts mehr, der Bob kippt. Während er nur Prellungen davonträgt, verletzt sich David erneut schwer, bricht sich einen Rückenwirb­el. Der Bruder erholt sich, das Duo macht weiter – und rast 2011 zum Silber bei der Junioren-wm 2011.

„Aber ich habe dann doch aufgehört, da ich nach den Fahrten oft schwere Migräne-anfälle hatte. Wahrschein­lich hat sich durch den Rückenwirb­elbruch ein Nerv eingeklemm­t.“Hat er jetzt Angst um seinen Bruder? „Nein, Franz ist Vollprofi. Er weiß genau, was er tun muss. Er achtet auf alles.“

Wie Spies preist er Francescos „unheimlich­e Athletik“. In den Jugendjahr­en habe man damit nicht rechnen können. „Ich war der bessere Athlet.“Mit Disziplin und Ehrgeiz habe sein Bruder an seiner Fitness gearbeitet, sich von Rückschläg­en nie entmutigen lassen. „Franz lässt sich durch äußere Umstände nie aus der Ruhe bringen.“

Wissenscha­ftler sprechen von Resilienz, von der Fähigkeit, negativen Einflussfa­ktoren standzuhal­ten. Erst die Rückschläg­e, so scheint es, haben Francesco Friedrich zu „Friedrich, dem Großen“gemacht. „Am Anfang meiner Karriere hat mir ein Trainer gesagt, dass mein Potenzial nicht reicht“, sagt er. Also trainierte Friedrich noch härter, arbeitete als Bademeiste­r auf 400Euro-basis, um seinen Sport zu finanziere­n.

Umstände, die nicht zu ändern sind, akzeptiert Friedrich klaglos. Die drei Wochen Olympia-vorbereitu­ng in Peking im vergangene­n Oktober mit dem strikten Verbot, ohne Begleitung das Hotel oder die Bahn zu verlassen, hätten bei seinem Team einen Lagerkolle­r auslösen können. Friedrich sagt nur: „Das war gar nicht so schlecht, denn so konnten wir uns auf die Bahn, das Training und das Materialte­sten konzentrie­ren.“Spies kennt diese Einstellun­g von den Spielen in Pyeongchan­g. Vor vier Jahren klagten viele deutsche Sportler über zu harte Matratzen und baten um Abhilfe: „Als wir Franz gefragt haben, ob er mit dem Bett klarkommt, hat er uns angeguckt, als würde er die Frage gar nicht verstehen.“Spies ist überzeugt, dass man seinen besten Mann in Peking auch auf ein Brett betten könnte: „Der zieht trotzdem sein Ding durch.“Sein Ding, das ist das erneute Doppel-gold.

Die komplette Reportage lesen Sie im Heft „PEKING.22“, das auf 148 Seiten über die deutschen Sportler informiert. Das Magazin kostet 5 Euro. Zu bestellen online über www.2020magazi­n.de

 ?? FOTO: ROBERT MICHAEL / DPA ?? Bereit für Gold: Francesco Friedrich aus Pirna.
FOTO: ROBERT MICHAEL / DPA Bereit für Gold: Francesco Friedrich aus Pirna.

Newspapers in German

Newspapers from Germany