Miteinander reden über die Pandemie
Ein privat initiiertes Seuchenparlament vereint in Bad Berka Menschen mit unterschiedlichen Meinungen zu Corona-maßnahmen und Impfungen
Bad Berka. In der Pandemie prallen Meinungen aufeinander. Wie bringt man die unterschiedlichen Auffassungen zusammen? Wie gelingt es, dass die scheinbar Unversöhnlichen miteinander reden und sich zuhören? Der Weimarer Nikolaus Huhn hatte dafür die Idee eines Seuchenparlaments und schrieb mehrere Gemeinden im Weimarer Land an. In Bad Berka fand er in Bürgermeister Michael Jahn einen aufgeschlossenen Partner. Gut 60 Interessenten bewarben sich auf Aushänge in der Stadt.
20 ausgesuchte Parlamentarier sind es schließlich, die sich an einem späten Freitagnachmittag für gut vier Stunden im Zeughaus von Bad Berka treffen. Ihre Hintergründe könnten nicht unterschiedlicher sein: Ein Virologe, eine Ordensschwester, ein Pandemiestab-mitarbeiter, ein Bürgermeister, ein Personalrat, eine Gastronomin, eine Förderschullehrerin, eine junge Frau, die das Café einer Wohngemeinschaft betreut und als Gemeinschaftsberaterin Menschen Tipps für alternative Projekte gibt. Keiner weiß vom anderen. Erst im Laufe des Abends wird klar werden, wer welche Positionen vertritt. Huhns Idee hat sich aber wohl schon rumgesprochen. Von der Bühne schaut eine Handvoll „Gäste mit Beobachter-status“zu, die in Leipzig, Gera oder Bautzen ähnliches planen.
Wie ernst es Huhn mit dem Reden und Zuhören ist, zeigt sein durchstrukturierter Ablaufplan. Es gibt eine Sanduhr für die beschränkte Redezeit, gelbe und rote Karten gegen notorische Dauerredner. Letzteres wird später nicht gebraucht. Das „Parlament“habe weder Mitsprache- noch Beratungsfunktion für irgendwen oder irgendwas, sagt der Initiator. Gäbe es einen Gewinner, wäre der Preis, am Anderen, dessen Meinung man nicht teilt, dennoch ein Körnchen Wahrheit, ein gutes Haar zu entdecken.
Tatsächlich erinnert das Seuchenparlament über weite Strecken an Gruppentherapien. Paarweise hören sich die Parlamentarier in einer ersten Sequenz die Ansichten ihres Gegenübers an. Worum es geht, bleibt ihr Geheimnis. Ihren Frust schreiben sie auf Hölzchen, mit denen Huhn kurz darauf – um auch buchstäblich miteinander warm zu werden – bei einer kurzen Vorstellungsrunde auf der Freifläche vor dem Zeughaus über einem Stövchen Glühwein für alle kocht.
Und dann reden sie, Sequenz für Sequenz, Runde für Runde. Huhn projiziert das Bild „Medusa“von Niklas Mohr an die Wand. Entstanden schon 2015 und das Virus doch irgendwie vorwegnehmend, weckt es im Parlament Assoziationen zu aktuellen Ängste, Befremdlichkeiten, Verwirrung, Verletzungen sowie Isoliertheit, Einsamkeit und Verlorenheit. Am blauen Seil, einer
Art Skala zwischen Für und Wider, Schwarz und Weiß, definieren sie den Grad ihrer Zustimmung oder Ablehnung zu Freiheit oder Sicherheit, Lockdown, Impfungen, der Situation in Pflege und Kliniken. Richtig heftig wird es nur einmal, als eine Teilnehmerin in der Schlussrunde die mrna-impfstoffe in Frage stellt und der Virologe sich gegen die „abartige Position“verwahrt.
Geändert hat an diesem Abend seine Haltung wohl niemand. Am Ende überwiegt der Dank, mit dem was man meint und fühlt, gehört worden zu sein. Auch deshalb will Nikolaus Huhn weitermachen. In Bad Berka ist der Raum für die Fortsetzung am 4. März schon geblockt. Bewerbungen sind noch möglich.