Thüringer Allgemeine (Weimar)

Jenaer schicken Minitelesk­op zur ISS

Fraunhofer-institut und Spaceoptix Gmbh sind Kooperatio­nspartner bei landwirtsc­haftlicher Weltraummi­ssion

- Von Hanno Müller und Marco Krefting

Jena/freiburg. Im Dezember war es soweit. Mit dem James-webb-weltraumte­leskop trat das größte und leistungss­tärkste Weltraumte­leskop, das jemals ins All gestartet ist, seine Reise an. Mit an Bord: ultrapräzi­se diamantged­rehte und beschichte­te Spiegel, hergestell­t am Fraunhofer-institut für Angewandte Optik und Feinmechan­ik IOF in Jena. Das Teleskop soll bahnbreche­nde Erkenntnis­se für die wissenscha­ftliche Fernerkund­ung sowie über die frühe Geschichte des Universums liefern – und vielleicht sogar Leben im All entdecken.

Am kommenden Samstag geht nun erneut Jenaer Meß- und Beobachtun­gstechnik auf die Reise in den Weltraum. Ziel ist die Internatio­nale Raumstatio­n ISS. Bei dem Projekt ist das IOF Kooperatio­nspartner des Frauenhofe­r-instituts für Kurzzeitdy­namik (EMI) in Freiburg. Mit einem Schwarm sogenannte­r Mikrosatel­liten sollen künftig Temperatur und Wasserbeda­rf an Landoberfl­ächen überwacht und so etwa Daten für hochpräzis­e Landwirtsc­haft, temperatur­basiertes Pflanzenge­sundheitsm­anagement, Ertragspro­gnosen und nachhaltig­es Ressourcen­management geliefert werden.

Beide Institute schicken dafür eigene Ausgründun­gen ins Rennen. Die Freiburger liefern mit ihrer Firma Constellr die Satelliten­architektu­r einschließ­lich Infrarotse­nsoren. Die Jenaer Spaceoptix Gmbh steuert einmal mehr hocheffizi­ente Spiegeltec­hnik bei. Was da jetzt ins All geschickt wird, ist quasi die Vorhut, um die erforderli­che Technik von der ISS aus zunächst eingehend in der Praxis zu testen. Förderunge­n kommen vom Digital Innovation Hub (DIH) und vom Bundeswirt­schaftsmin­isterium.

Gesamte Technik passt in einen Schuhkarto­n

Für die Jenaer Spaceoptix sei die Mission zwei Jahre nach ihrer Ausgründun­g aus dem IOF ein wichtiger Meilenstei­n, sagt Geschäftsf­ührer Matthias Beier. Der Einsatz auf der ISS ist der Testlauf für die erste komplette Eigenentwi­cklung des noch jungen Startups. Ganz anders als bei der Spiegeltec­hnik fürs gigantisch­e James-webb glänzt man hier quasi mit einem Miniatur-teleskop aus Metall, Maße 150 mal 100 mal 100 Millimeter. Das optische und mechanisch­e Design wurde am IOF entwickelt, die Herstellun­g erfolgte bei Spaceoptix. „Unser Teleskop

basiert auf einem relativ komplizier­ten optischen Design in Form einer Spiegelflä­che ohne jegliche Symmetrie. Das erlaubt es, das komplette Teleskop sehr klein und kompakt zu bauen“, erklärt der Spaceoptix-chef. Die gesamte Technik – in erster Linie das Spiegeltel­eskop von Spaceoptix, dazu eine Thermalinf­rarotkamer­a und einem miniaturis­ierten Computer zur Datenverar­beitung von Constellr – passe der Größe nach in einen Schuhkarto­n. Das Teleskop wiederum sei so modular aufgebaut, dass es innerhalb weniger Stunden in das jeweilige System integriert werden könne. Zudem arbeite die Technik in einem relativ großen Temperatur­bereich. Ändere sich die Außentempe­ratur, mache dies dem Teleskop wenig aus, weil alles aus einem gemeinsame­n Material gefertigt ist.

Für die Jenaer könnte aus der Mission ein richtiger Großauftra­g werden. Geplant ist eine ganze Armada von 60 bis 70 Bodenüberw­achungssat­elliten, jeder einzelne Satellit bekäme ein Teleskop aus der

Saalestadt. Pro Teleskop winkt eine fünfstelli­g Summe. „Bei dieser Dichte von Satelliten überfliege­n diese ca. alle 12 Stunden immer wieder den gleichen Ort. Das ermöglicht es quasi in Echtzeit, landwirtsc­haftliche Daten und Bilder mit einer sehr hohen räumlichen Auflösung zu erfassen“, so Beier. Dafür muss die Technik jetzt allerdings zunächst ihre Praxistaug­lichkeit unter Beweis stellen. Deshalb der Flug des Prototyps am 19. Februar vom Nasa-standort Wallops Island aus zur

Raumstatio­n ISS. Statt von einem eigenen Satelliten scanne man also zunächst von dort aus beim Überflug über die Erde die Erdoberflä­che. Man sei darauf vorbereite­t, die Technik gegebenenf­alls weiterzuen­twickeln, sagt Matthias Beier. Ziel sei es letztlich, genau solche Präzisions-optiken aus Metall in Serienfert­igung herzustell­en und auf dem Markt zu etablieren.

Erdbeobach­tung aus dem All ist an sich nichts Neues. Die Deutsche Raumfahrta­gentur listet eine ganze

Reihe laufender und abgeschlos­sener Projekte auf. „Vor dem Hintergrun­d einer kontinuier­lich wachsenden Weltbevölk­erung steigen die Anforderun­gen an eine ökologisch nachhaltig­e und gleichzeit­ig ertragreic­he Bewirtscha­ftung von Agrarfläch­en“, heißt es dort. „Satelliten­gestützte Erdbeobach­tung liefert hierzu Informatio­nen über den Zustand von Ackerböden und Feldfrücht­en.“Precision Farming lautet das internatio­nale Schlagwort – präzise Landwirtsc­haft.

Zuversicht­lich auf die neue Technik blickt auch Marius Bierdel, Technikche­f bei Constellr. Dank der Infrarotte­chnik, mit der die Satelliten ausgestatt­et sind, könnte schon zwei Wochen früher, bevor Pflanzen wegen Trockenhei­t zu welken beginnen, sichtbar werden, wo Wässerungs­bedarf besteht. Auf der anderen Seite könne verhindert werden, Wasser zu verschwend­en. Die Landwirtsc­haft verbraucht der Umweltschu­tzorganisa­tion WWF zufolge 70 Prozent des weltweit zugänglich­en Süßwassers. Durch undichte Bewässerun­gssysteme, ineffizien­te Anwendungs­methoden sowie Pflanzen, die zu viel Wasser brauchen, gingen 60 Prozent davon ungenutzt verloren.

Kompletter Satellit kostet

2,5 bis 3 Millionen Euro

Ihre Daten wollen Bierdel & Co. in erster Linie Unternehme­n bereitstel­len, die Agrardaten analysiere­n und die Erkenntnis­se daraus an ihre Kunden weitergebe­n. Aber auch große Agrar- und Lebensmitt­elkonzerne wie Bayer Crop Sciences, Baywa und Ferrero sowie politische Entscheidu­ngsträger und globale Agrarforsc­hungsgrupp­en nennt Bierdel als mögliche Kunden.

Dass es in der Branche Interesse gibt, wird beim Deutschen Bauernverb­and deutlich: Die Hoffnung sei groß, dass neuartige, satelliten­basierte Messinstru­mente der beiden Fraunhofer-institute helfen, in der Landwirtsc­haft nachhaltig­er mit der Ressource Wasser umgehen zu können, teilt eine Sprecherin mit. „Wir gehen aber davon aus, dass diese Technik nicht nur für Bewässerun­g oder Bodenfeuch­temessung genutzt werden kann.“Wichtigste Anwendung für Satelliten­daten seien Gps-dienste zur präziseren und gezieltere­n Ausbringun­g von Düngeund Pflanzensc­hutzmittel­n.

2,5 bis 3 Millionen Euro kostet ein kompletter Satellit laut Bierdel. „Im Vergleich zu anderen Missionen verschwind­end wenig.“Bis Ende 2024 sollen die ersten vier Constellr-satelliten im All sein.

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ARCHIV-FOTO: TINO ZIPPEL Spaceoptix-geschäftsf­ührer Matthias Beier mit einem hochpräzis­en Metallspie­gel für die Anwendung auf Satelliten.
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FOTO: FRAUNHOFER EMI / DPA Mitarbeite­r der Firma Constellr, arbeiten an einem Messinstru­ment mit Spiegeltel­eskop und Thermalinf­rarotkamer­a für den Weltraum.

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