Brisanz der Bachwochen
Trotz einiger Risiken startet Thüringens großes Musikfestival jetzt im „Normalbetrieb“
Erfurt. Die großen Passionen, die hmoll-messe und manches mehr, gespielt und gesungen an den authentischen Lebensstationen des barocken Genies: Zum 30. Mal starten die Thüringer Bachwochen (Samstag, 9. April, bis Sonntag, 1. Mai) dieses Jahr ihre Saison – und doch ist alles anders. Vor allem für den Veranstalter sind die Risiken in vermeintlich postpandemischen Zeiten kaum kalkulierbar.
„Der Vorverkauf fängt jetzt erst an“, erklärt Geschäftsführer Christoph Drescher kurz vor Festivalbeginn mit hörbarem Galgenhumor. Denn eigentlich stehen die Systeme bereits seit November auf „Go!“, jedoch möchten immer weniger Altemusik-fans sich vorfristig binden: Wer kann schon die Corona-lage am Konzerttag vorhersehen und sicher sein, dass er nicht selbst per Positiv-test verhindert ist?
Deshalb hätten auch die meisten überregionalen Reiseveranstalter im Februar ihre Buchungen wieder storniert, bedauert Drescher. So gibt es für alle 46 Veranstaltungen an insgesamt zwölf Spielorten im Lande noch Tickets; die Auslastung liegt zurzeit bei knapp der Hälfte.
An der Attraktivität des Angebots kann es nicht liegen. Die Bachwochen bieten eine Phalanx an klangvollen Namen der Szene auf, haben Ensembles wie die Cappella Amsterdam, die Lautten Compagney Berlin, die Tölzer Knaben und das Armida Quartett sowie Weltklassekünstler wie Daniil Trifonov, Pierrelaurent Aimard, Uri Caine und Olivier Latry im Programm. Viele Besucher werden erst am Konzerttag buchen, vermutet Drescher – und hat dafür Verständnis.
Nach Rücksprache mit örtlichen Gesundheitsämtern bestehen für die Veranstaltungen keinerlei Corona-auflagen. „Es gibt kein 2G oder 3G mehr“, betont Drescher. Gleichwohl werde man das Publikum darauf hinweisen, dass Ffp2-masken im Saal gern erlaubt sind. „Das Risiko muss jeder für sich selbst einschätzen“, sagt der 45-jährige Musikmanager. „Ich persönlich werde auf jeden Fall eine Maske tragen.“
Corona-ausfälle unter den Künstlern muss Drescher einkalkulieren
Denn der größte anzunehmende Unbill für die Bachwochen wäre eine Infektion im eigenen Team, das so kompakt wie perfekt eingespielt ist. „Wir haben aber kein Back-up“, konzediert Drescher; seine Spezialisten mit präzisen Ortskenntnissen wüsste er nicht zu ersetzen.
Dass er Ausfälle unter den Künstlern kurzfristig wird kompensieren müssen, ist für den pragmatischen Festivalmacher so gut wie sicher. Umbesetzungen in Chören oder Instrumental-ensembles bereiten da geringere Probleme, als wenn es Solisten trifft. Als erste Prominente hat sich die katalanische Stimm-artistin Nuria Rial krankgemeldet. Sie sollte nächsten Sonntag Werke von Joseph Haydn und dem gleichaltrigen Bach-sohn Johann Christian gegenüberstellen; nun ist Julia Sophie
Wagner ad hoc bei den Proben mit der Jenaer Philharmonie eingesprungen und rettet den Nachmittag in der Arnstädter Bachkirche.
Drescher hält das für verkraftbar, muss allerdings auch mit kurzfristigen Konzertabsagen rechnen. Auswärtige Hörer sollten sich daher am Konzerttag möglichst via Website informieren. „Wieso sollte unsere Branche da mit weniger Risiken leben als andere?“, fragt er gelassen.
Die übrigen Nöte der anderen kriegt er ebenso zu spüren: steigende Kosten für Saalmieten und Hotels, für Logistik und Honorare stehen stagnierenden Zuwendungen im 800.000-Euro-etat entgegen. Bei schwer kalkulierbaren Einnahmen macht dies Christoph Drescher größeres Kopfzerbrechen. „Ich weiß, dass wir im ziemlichen Blindflug durch diese Saison gehen müssen“, sagt er. „Aber ich bin optimistisch.“
Zumal Alte-musik-fans nun für zwei lange Jahre die Live-erlebnisse weitgehend entbehrt haben. Ein wenig Trost und innere Sammlung bei Bachs Musiken tut allen wohl. Und Geflüchtete aus der Ukraine heißt man eintrittsfrei willkommen.
www.thueringer-bachwochen.de