„Da brauchst fast a Sekretärin“
Man könnte meinen, es ist längst Routine, auf dem Fußballfeld mal eben einen Spieler zu tauschen. Aber seitdem das Kontingent im Zuge der Corona-krise auf fünf Wechsel erhöht wurde, ist ganz genaues Mitzählen mehr denn je das Gebot der Stunde. Sogar Bayerns Cheftrainer Julian Nagelsmann geriet in Freiburg ziemlich in Verwirrung. Als zwölfter Mann werden ja gemeinhin die eigenen Fans bezeichnet. Für 16 Sekunden spazierte er beim Bundesliga-tabellenführer leibhaftig über den Platz.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass laut Regelwerk allein der Verein und nicht der Schiedsrichter für das Prozedere verantwortlich ist. Um das Durcheinander zu klären und beim Deutschen Fußball-bund (DFB) überhaupt Ermittlungen anzustoßen, musste deshalb ausgerechnet der SC Freiburg mit einem Einspruch aktiv werden, obwohl der Klub unbeteiligt gewesen ist. Denn verwechselt hatte sich der FC Bayern.
Gleichwohl geriet nach dem Wirrwarr in Freiburg nun auch Referee Christian Dingert ins Visier und wurde durch Schiedsrichterbeobachter Knut Kircher öffentlich angezählt. Ohnehin stand er nicht zum ersten Mal in dieser Saison im Fokus. Dem VFL Wolfsburg kostete im vergangenen August ein folgenschwerer Fehler den Einzug in die nächste Dfb-pokalrunde – mit Dingert als Schiedsrichter. Das 3:1 gegen Preußen Münster verwandelte sich am grünen Tisch in ein 0:2.
Denn: Zwar war vor der Einführung von fünf Wechseln tatsächlich ein zusätzlicher Tausch in der Verlängerung erlaubt. Im Augenblick ist mit fünf Umstellungen aber das maximale Kontingent erschöpft, egal wie lange das Spiel dauert. Weil Wolfsburgs damaliger Trainer Mark van Bommel sechs Wechsel vornahm, landete der Vorgang schließlich beim Sportgericht – und widerrief den Einzug des Bundesligisten in die zweite Runde. Als es bis ins Jahr 1967 überhaupt nicht erlaubt war, einen frischen Mann auf das Feld zu schicken, war alles noch ganz einfach. Den ersten Fauxpas in dieser Hinsicht leistete sich zehn Jahre später Hennes Weisweiler, als er als Kölner Bundesliga-trainer gegen Frankfurt verbotenerweise einen dritten ausländischen Spieler brachte.
Reputation als Trainer schützt nicht vor einem Fehlgriff. Giovanni Trapattoni passierte es, als er in der Saison 1994/95 Dietmar Hamann als vierten Vertragsamateur auf den Rasen beorderte – obwohl drei erlaubt waren. Bayerns 5:2-Triumph kassierte das Sportgericht. Kaiserslauterns Meistermacher Otto Rehhagel schickte 1998 einen Nichteuropäer zu viel aufs Feld.
Gut hinsehen und am besten mitzählen wird auch in Zukunft angebracht sein. Denn die Fußball-regelhüter des International Football Association Board (Ifab) haben entschieden, dass es in Zukunft dauerhaft fünf Auswechslungen pro Team und Spiel geben soll. Diesen Weg hat nun auch die englische Premiere League beschlossen und beendet damit ihre Sonderstellung.
Denn auf der Insel durfte als einziger europäischer Topliga bislang nur dreimal getauscht werden, Corona hin oder her. „Nur drei Wechsel in der intensivsten Liga der Welt? Das ist nicht richtig“, kritisierte zum Beispiel Teammanager Jürgen Klopp vom FC Liverpool noch im vergangenen Dezember.
Wie van Bommel im Dfb-pokal stolperte, so unübersichtlich ist die Regel-konfusion auch in den unteren Spielklassen Thüringens. In Kreisliga und Kreisoberliga sind vier Wechsel möglich, in der Landesklasse oder Verbandsliga als höchste Spielklassen sind es wie eh und je lediglich drei. Aber aufgepasst! Spielen Carl Zeiss Jena oder Rot-weiß Erfurt mal im Landespokal, dann dürfen sie – entgegen der Vorgaben in ihren Spielklassen mit fünf erlaubten Wechseln – richtig: ebenso nur dreimal tauschen.
Selbst Klaus Augenthaler verlor schon mal den Überblick. Der einstige Libero als Vertreter des erkrankten Cheftrainers Franz Beckenbauer nahm es aber mit bayerischem Humor, als er im Frühjahr 1996 beim 2:2 seines FC Bayern München gegen Fortuna Düsseldorf versehentlich einen Spieler zu viel tauschte: „Wahnsinn, auf was man alles aufpassen muss. Amateure, Ausländer, neue Regeln, da brauchst fast a Sekretärin.“Sie hätte ganz sicher auch Bayerns Fehlgriff in Freiburg verhindert.