Sag, wie viele Schäflein stehn …
Frank Quilitzsch weiß endlich, wie er einschlafen kann
Im Abschlussbericht meiner Reha steht, der Patient leide unter chronischen Schlafstörungen. Das habe ich auf meinem Fragebogen wahrheitsgemäß so angekreuzt. Aber leide ich darunter?
Nein, ich kenne es nicht anders. In meiner Jugend hielten mich Liebeskummer, Kränkungen, Prüfungen, Sportwettkämpfe und mein von der Mutter angestachelter Ehrgeiz wach. Und schon immer arbeite ich, mich von einer Seite auf die andere wälzend, prophylaktisch an Problemen, die im Alter nicht weniger werden. Möglicherweise habe ich als Kleinkind mal durchgeschlafen – oder wohl eher nicht, weil ich, wie später auch mein Sohn, im Dunkeln nach der Flasche schrie. Heute, mit satten 65, greife ich manchmal selbst zur Flasche, doch die Unruhe weicht nur kurz.
Auch jetzt, um 3.21 Uhr, grüble ich schlaflos, wie es weitergeht – mit Handwerkern, die auf meine Anrufe nicht reagieren, mit der maroden Wasserleitung, für die sich niemand zuständig fühlt, mit der Inflation und dem Ukraine-krieg, mit K., die in einer radfahrerfeindlichen Stadt zur Arbeit radelt, und mit ihren Töchtern E. und T., die spüren, wie sich der Klimawandel vor ihre Zukunft schiebt. Den Kopf aufs Kissen betten und an gar nichts denken? Funktioniert bei mir nicht.
Ich tappe durch den Garten und schaue hilfesuchend zum Mond. „Versuch’s mal mit Schäfchen zählen“, rät mir K. Also lege ich mich wieder hin, stelle mir eine große Schafherde auf einer grünen Wiese vor und beginne zu zählen. Bei 2224 geht die Sonne auf, und ich muss dringend aufs Klo. Im Sitzen schlummere ich ein.
Frank Quilitzsch: Alter, du wirst abgehängt. Die besten Kolumnen, Klartextverlag, 176 S., 16,95 Euro